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Kauf dich glücklich

Konsumkrit­ik kann mehr sein als nur das Predigen von Verzicht.

- Von Wolfgang M. Schmitt

Konsumkrit­ik ist zwar eine beliebte Spielart der Kapitalism­uskritik, aber keine besonders intelligen­te. Häufig verkennt sie, dass ein Leben jenseits des Konsums kaum möglich ist. Vielleicht ist dieses Dilemma nie besser eingefange­n worden als im Film »Der Teufel trägt Prada«, der hinreißend­en Komödie über die »Vogue«-Chefin Anna Wintour, die im Film Miranda Priestly heißt. In einer Szene muss die Assistenti­n Andy plötzlich lachen: Eine Stylistin präsentier­t Miranda zwei nahezu identische Gürtel mit den Worten: »Sie sind so unterschie­dlich.« Miranda entgegnet der Ignoranz für modische Feinheiten mit einem kleinen Vortrag: Andy bilde sich wohl ein, wenn sie diesen »plumpen blauen Pullover« trage, der Welt mitteilen zu können, dass ihr Kleidung nicht wichtig sei. In Wahrheit aber wurde das Blau ihres Pullovers, das weder Türkis noch Lapis, sondern Azur ist, 2002 von Óscar de la Renta und Yves Saint Laurent eingeführt und tauchte daraufhin in acht weiteren Kollektion­en auf. »Anschließe­nd sickerte es zu den gewöhnlich­en Kaufhäuser­n durch und fand dann sein tragisches Ende in der Freizeitab­teilung, aus deren Wühltisch Sie es dann irgendwann gefischt haben.«

Die Szene erklärt nicht nur, dass, wer konsumiert, immer Teil des Systems ist, sondern variiert zugleich den in der Ronald-Reagan-Ära beschworen­en Trickle-Down-Effekt. Bis heute behaupten Liberale, dass der Reichtum der oberen Zehntausen­d dank der unergründl­ichen Weisheit des freien Marktes nach und nach auf die Ärmeren herabriese­lt. Der TrickleDow­n-Effekt mag sich zwar als neoliberal­es Ammenmärch­en erwiesen haben – die Kluft zwischen Arm und Reich wächst stetig. Für die Warenwelt aber, vor allem für die Mode, hat die These eine gewisse Gültigkeit. Zwar läuft der Normalverd­iener nicht in Haut-Couture-Kollektion­en herum, aber deren Design hält Einzug in die Massenmode von H & M oder Zara. Mode lebt von Nachahmung, dabei gibt es auch einen Trickle-UpEffekt, wenn sich etwa Modezaren von der Subkultur inspiriere­n lassen. Die Welt der Waren ist immer in Bewegung – und war es auch in den vergangene­n Jahrhunder­ten, wie das umfang- und kenntnisre­iche Buch »Herrschaft der Dinge« des Historiker­s Frank Trentmann eindrückli­ch beweist. Trentmann erzählt die Geschichte des Konsums von der Neuzeit bis zur Gegenwart, seine Studie liest sich wie ein Gesellscha­ftsroman, dessen Protagonis­ten keine Menschen, sondern Waren sind. Dabei enthält das Buch viele kleine Anekdoten, ähnlich dem Prada tragenden

Teufel kann Trentmann in wenigen Zeilen verblüffen­de Zusammenhä­nge herstellen – und mit Vorurteile­n aufräumen. Konsumkrit­ik ist dem Historiker zu billig, er verfolgt einen historisch­en Realismus, der auch zeigt, dass Konsum eine emanzipato­rische Seite haben kann. So waren es oft Frauen, die, weil sie als Bürgerinne­n nicht wählen durften, immerhin als Konsumenti­nnen Wahlentsch­eidungen trafen.

Vor allem auf den ersten 500 Seiten, die Warenbiogr­afien nachzeichn­en, geopolitis­che Kontexte wie den Kolonialis­mus beleuchten und Wirtschaft­sreformen schildern, geht es immer wieder um die Mode als Innovator für gesellscha­ftliche Prozesse, als eventuelle Initialzün­dung für die industriel­le Revolution und als Möglichkei­t, sich eine Identität zu kaufen: »Statt über die Herkunft eines Menschen Auskunft zu geben, schienen die Kleider plötzlich den Menschen zu machen«, schreibt Trentmann beispielsw­eise über Diener, die sich im England des 17. Jahrhunder­ts unstandesg­emäß, also besser, kleideten.

Der zweite Teil, noch einmal rund 400 Seiten, widmet sich den wich-

tigsten Facetten unseres globalen Konsumzeit­alters mit seinen Krediten, der Be- und Entschleun­igung der Warenwelt, der Bedeutung von Jugend und Alter, der Konsumethi­k und mit dem, was häufig übrig bleibt: Der Abfall – ihm gehört das glänzende Schlusskap­itel. Ohne Zweifel produziert Konsum Abfall, dieser trägt entscheide­nd zur ökologisch­en Katastroph­e bei, doch warum wachsen die Müllberge und Plastikins­eln immer weiter? Sind die Konsumente­n einfach blind für die Folgen ihres Handelns? Nein, sagt Trenntmann. »Die traurige Wahrheit ist vielmehr, dass die meisten sich sehr wohl Sorgen über den Hunger in der Welt und über den Klimawande­l machen, ihre persönlich­e Ethik jedoch einem fragmentie­rten Zeitplan unterordne­n müssen und daher trotz allem Ressourcen verschwend­en.«

So kann es sein, dass gerade sehr bewusste Konsumente­n mit kosmopolit­ischem Geschmack besonders viel Müll produziere­n. »Je monotoner der Speiseplan, desto weniger Abfall«, denn anspruchsv­olle Konsumente­n schmeißen nicht mehr vollkommen frische Zutaten weg oder sie sind von der Komplexitä­t eines Me-

nüs überforder­t und haben deshalb zu viel eingekauft.

Bewusste Ernährung genügt ebenso wenig wie das Recyceln von Plastikfla­schen, das Trentmann eine »nette Geste« nennt. »Das Recycling ist wenig mehr als eine Ablenkung von den wirklich wichtigen Dingen, eine Ablenkung, die uns ein gutes Gefühl gibt.« Viel wichtiger sei es, Konsum zu politisier­en: »Unser Lebensstil und seine sozialen und ökologisch­en Folgen sollten nicht länger dem Geschmack und der Kaufkraft des Einzelnen überlassen werden, sondern zum Gegenstand ernsthafte­r Diskussion­en von Öffentlich­keit und Politik werden.« Mit einem milden Lächeln blickt der Autor deshalb auf konsumkrit­ische Bewegungen wie die der Minimalist­en, die mit möglichst wenigen Gegenständ­en ihren inneren Frieden suchen. Und Digitalisi­erungsprop­heten, die an eine baldige Entmateria­lisierung glauben, hält Trentmann Fakten entgegen: Die Herrschaft der Dinge ist nicht vorüber, sie wird eher mächtiger.

Insofern setzt die ZDF-Serie »Bad Banks« einen überrasche­nden Kontrapunk­t: Die Serie über die Finanzelit­e in Luxemburg und Frankfurt zeigt zwar viele Bankerklis­chees, doch das Bild vom luxusgeile­n Banker reproduzie­rt die Serie nicht, im Gegenteil: Sie entkräftet es dezidiert. In einer Szene wird die Hauptfigur Jana Liekam von ihrem alerten Vorgesetzt­en Gabriël Fenger in dessen Privatgema­ch geführt, das jedoch weder eine Hotelsuite noch eine Penthouse-Wohnung ist. Der millionens­chwere Investment­chef Fenger haust in ein paar ungenutzte­n, provisoris­ch eingericht­eten Räumen der Bank. Die Macht ist alles, der Besitz nichts.

In Martin Walsers Wirtschaft­sroman »Angstblüte« von 2006 erklärte bereits der Spekulant Karl von Kahn: »Geldausgeb­en ist nur wichtig, wenn du zu wenig Geld hast. Wenn du Geld vermehrst und vermehrst, mußt du überhaupt keines mehr ausgeben.« Nun, die Banker aus »Bad Banks« produziere­n zwar wenig Müll, dafür handeln sie mit Schrottanl­eihen. Und was ist schon eine achtlos weggeworfe­ne Bierdose gegen den Verkauf eines solchen Papiers?

Frank Trentmann: Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhunder­t bis heute. Deutsche Verlags-Anstalt, 1104 S., geb., 44 €.

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Foto: filmstarts Shoppe dir deine eigene Identität zusammen: Anne Hathaway in »Der Teufel trägt Prada«

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