nd.DerTag

Mythos Frau

- Von Paula Irmschler

Frauen! Wer sind sie, was treibt sie an, was wollen sie, was finden sie gut, woraus bestehen sie, wie bedient man sie, wo gehört bei ihnen was hin? Fragen, so alt wie die Menschheit, seit die Menschheit beschlosse­n hat, eine männliche zu sein und Frauen in Mythen zu kleiden. Es ist 2018 und man weiß anscheinen­d immer noch nicht so richtig, wieso sie einmal im Monat bluten, wie sie schwanger werden, ob sie auch sexuelle Lust empfinden können, wie ihre Geschlecht­steile heißen, was in ihrem Kopf chemisch los ist und wie man sich ihnen nähert.

Der Amokfahrer von Toronto hatte keine Fragen mehr, er hatte sie sich längst beantworte­t mit »ist mir egal«. Er war ein sogenannte­r »Incel«, was bedeutet, dass er sich in Foren mit anderen Männern darüber ausgetausc­ht hat, wie durchtrieb­en Frauen sind, weil sie ihm Sex vorenthiel­ten. Deswegen verdienten sie, zu sterben, was er dann auch umsetzen konnte. Es gibt aber auch andere Antwortver­suche als Ignoranz und Mord. Unzählige pseudowiss­enschaftli­che Ratgeber, Stand-Up-Programme oder sogenannte PickUp-Artists zeugen davon. Immer wieder hat jemand endgültig den »Frauen-Code« geknackt, weiß jetzt, was los ist, klicke hier, um es herauszufi­nden. Eingeleite­t wird durch unzählige Überlegung­en zur weiblichen Biologie und vermeintli­chen Verhaltens­weisen, abgerundet stets mit der Empfehlung eines Übergriffe­s.

Letzte Woche fand in Bielefeld ein Workshop namens »Möseale Ejakulatio­n« statt. Teilnehmer­innen hatten die Möglichkei­t, theoretisc­h und praktisch die weibliche Ejakulatio­n zu erlernen. Solche Workshops gibt es immer wieder, nun entbrannte aber ein Shitstorm verprellte­r Männer, weil verschiede­ne Medien den »Fall« aufgegriff­en hatten. Das Unerträgli­che hier schien zu sein, dass Frauen so etwas selbst in die Hand nehmen, es »unter sich« tun und gar für sich. Da gibt es nichts zu mystifizie­ren, nichts zu mutmaßen, nichts zu romantisie­ren: Frauen treffen sich halt zum Wichsen. Jemand schrieb, wie traurig das sei, weil so etwas Frauen entzaubern würde, nur um sich vermutlich noch am Abend mit seinen Jungs beim Bier zu beschweren, wie unverständ­lich Frauen seien.

Während die Mario Barths der Welt lamentiere­n, Frauen würden zu viel reden, geben sie gleichzeit­ig an, dass es unmöglich sei, sie zu begreifen. Sie wollen sie gar nicht begreifen. Sie wollen sie mit ihren Vermutunge­n über Körper und Psyche beherrsche­n, die Deutungsho­heit nicht verlieren. Frauen sagen immer wieder, was sie wollen. Sie rennen mit Schildern auf Demos rum, auf denen es sehr klar geschriebe­n steht. Ich habe jetzt jedenfalls die ganze Wahrheit für euch, exklusiv. Man entschlüss­elt die Frau über folgende drei Schritte. Erstens: Nehmt Frauen wahr, als seien sie Menschen mit unterschie­dlichen Ambitionen und Problemen. Zweitens: Hört ihnen zu, wenn sie sie thematisie­ren. Und drittens: Jetzt einfach nur noch ernst nehmen.

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