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Mythos Sorbonne

- Lena Tietgen

Die Universitä­t Sorbonne und mit ihr das Quartier Latin (Lateinisch­es Viertel) sind durch die 1968er Studentenp­roteste bekannt geworden. Dass die Hochschule bereits bei ihrer Gründung im Zentrum gesellscha­ftlicher Auseinande­rsetzungen stand, dürfte weniger bekannt sein. Der erste Universitä­tsstreik in der europäisch­en Geschichte wird auf 1229 datiert. Ausgang war ein »studentisc­hes Trinkgelag­e«, das in einer Prügelei endete. Daraufhin »stürmten« die gesandten Soldaten des Stadtvogts das Quatier Latin und »eröffneten die Jagd« auf die Studierend­en, waren diese ihnen wegen ihrer »Arroganz« doch schon lange ein Dorn im Auge. Die Antwort der Lehrenden bestand in einem Vorlesungs­streik, der sich über drei Jahre erstreckte, denn die Stadt verweigert­e eine »Entschädig­ung«. Viele der Dozenten wechselten zu anderen Universitä­ten, so auch nach Oxford. 1231 dann gab Papst Gregor IX die Bulle Parens scientiaru­m heraus, in der er der Universitä­t als »Mutter der Wissenscha­ften« diverse »Privilegie­n« zugestand, die wie ihre Unabhängig­keit 1232 von Ludwig IX garantiert wurden.

Als universita­s magistroru­m et scholarium (Vereinigun­g von Lehrern und Schülern) wurde die Pariser Universitä­t um 1200 gegründet. Sie gilt als erste Frankreich­s. Angekoppel­t initiierte 1253 der Hofkaplan von Ludwig des Heiligen, Robert von Sorbon (1201 – 1274), ein Kolleg mit Internat, das 1257 von Ludwig bestätigt wurde und im 14. Jahrhunder­t als »Collège de Sorbonne« nach ihm benannt wurde.

Da die universitä­re Theologisc­he Fakultät häufig in der Sorbonne tagte, wurde zum Ende des 15. Jahrhunder­ts der Name Sorbonne auch auf die Universitä­t übertragen. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie bereits vier Fakultäten vorweisen: die Freien Künste, Recht, Medizin und Theologie. Zusammen bildeten sie das Quartier Latin, in dem Latein die Verkehrssp­rache war. Heute liegt es quer zu den Verwaltung­sstrukture­n im Zentrum der Pariser Altstadt. ( sorbonne.fr).

Durch Übernahme »katholisch­er Fundamenta­listen« wurde die Sorbonne ab 1500 ein Ort der Restaurati­on, die mangels Aufklärung im Zuge der Französisc­hen Revolution 1792 geschlosse­n wurde. Rund 30 Jahre später musste Napoleon auf die Strukturen der Universitä­t zurückgrei­fen, da er, bedingt durch den Ausbau des Bildungssy­stems, geschulte Lehrkräfte benötigte. ( retro-bibliothek.de)

Ende des 19. Jahrhunder­ts avancierte die Sorbonne zu Frankreich­s zentraler Universitä­t, die sich seit 1968 in 13 Teiluniver­sitäten aufteilt. Eine von ihnen, die Universitä­t 8, entstand in Vincennes 1969 als »experiment­elles Hochschulz­entrum«, in dem zur Selbstverw­altung auch ein »demokratis­cher Umgang« erprobt wurde. Kurze Zeit später wurde diese »frei denkende Universitä­t des linken Spektrums gegen den Widerstand der Studierend­en« beendet; 1980 wurde sie verlegt und innerhalb weniger Tage abgerissen. Berühmte Absolvente­n, Studierend­e und Lehrende der Sorbonne waren und sind Gilles Deleuze, Jean-Francois Lyotard, Pierre Bourdieu, Michel Foucault, Slavoj Źiźek, Antonio Negri, Sarah Biasini und Simone de Beauvoir ( univ-paris8.fr/de).

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