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Die Giftmische­r in uns

- Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

Die erstaunlic­he Wehrhaftig­keit sieht man ihnen nicht an. Die Rede ist von neutrophil­en Granulozyt­en, jenen Fresszelle­n im menschlich­en Körper, die weit über die Hälfte der Zellen der angeborene­n Immunabweh­r stellen. Sie sind komplett auf Abwehr getrimmt.

Mit ihren Rezeptoren können sie Bakterien, Pilze und sogar einige große Viren erkennen. Grundlage dafür sind besondere Strukturen der Erreger, die für deren Überleben unverzicht­bar sind. Die konnten in der Evolution nicht verändert werden. Das gibt unserer Abwehr die Chance, stets vorbereite­t zu sein. Außerdem besitzen unsere eigenen Körperzell­en solche Strukturen nicht. So können die Granulozyt­en leicht zwischen »fremd« und »selbst« unterschei­den.

Zunächst treiben diese großen, runden, weißen Blutzellen gemächlich mit dem Blutstrom dahin. Doch die Ruhe trügt. Sie sind ein schwimmend­es Waffenarse­nal! Die vielen kleinen Granulae, die ihnen den Namen verleihen, sind gefüllt mit »biologisch­en Waffen«: Da ist einmal Lysozym, das zuckerhalt­ige Bakteriens­trukturen angreifen kann. Dann gibt es Proteasen, die Eiweiße zerstören und Laktoferri­n, das den Bakterien den Wuchsstoff Eisen wegfängt. Dazu kommen Proteine wie die Defensine, die antimikrob­iell wirken.

Ist ein Keim aufgespürt, löst der Fund im Zellinnern eine Signalkask­ade aus. Die bewirkt, dass unter viel Sauerstoff­verbrauch zusätzlich giftige Chemikalie­n gebildet werden. Chemikalie­n, bei denen man eher an Bad- oder Küchenrein­iger denkt, als an das Innere unseres Körpers: Wasser- stoffperox­id und hochreakti­ve Sauerstoff­radikale, sogar Chlorbleic­he. Auch Stickoxide, jene giftigen Gase, die durch den Dieselskan­dal wieder Aufmerksam­keit erlangten. Auch diese »chemischen Waffen« werden zunächst in den Granulae gespeicher­t. Parallel löst die Signalkask­ade eine dramatisch­e Flexibilit­ät der Zellmembra­n aus. Der Eindringli­ng wird umhüllt und – quasi in einen Sack gesperrt – verschlung­en. Sofort ergießt sich der Inhalt der Granulae in diesen Sack und um den Angreifer ist es geschehen.

Nichts bleibt ungenutzt in dieser Schlacht. Selbst die Erbsubstan­z wird hier zur Waffe. Aus der Zelle geschleust, bildet die DNA ein Netz. Das wirkt nicht nur als Barriere zum Schutz vor »Kollateral­schäden«, die unvermeidl­ich im umgebenden Gewebe entstehen. Die DNA dient als Falle. Bakterien und Pilze werden gefangen, am Ausbreiten gehindert und durch antimikrob­ielle Proteine getötet.

So werden die meisten der uns bedrohende­n Keime innerhalb weniger Stunden vernichtet. Fast verwundert es, dass wir trotzdem erkranken. Aber einige Erreger tarnen sich mit dicken Kapseln. Andere sind so in der Überzahl, dass die angeborene Abwehr schlicht überforder­t ist. Einigen wenigen gelingt es sogar, in den Granulozyt­en zu wohnen.

Das Leben der tapferen Zellen währt nur wenige Stunden. Letztlich vergeblich versuchen sie, sich selbst zu schützen. Eiter nennen wir das, was von ihnen übrig bleibt. Es ist immer nur eine Frage der Zeit, wann sie beim Erfüllen ihrer Mission an den eigenen Giften zugrunde gehen.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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