Der Philosoph als Lyriker
Waldquell
Hatt’ mich verlor’n in
Blüthenhain,
Sprang silberhell ein Waldquell
drein,
Im Murmelfall, von oben Stehn Lorbeerbäum’ gehoben.
Die sehn ihn lang hinüberfliehn, Die sehn ihn stets am Fusse
ziehn,
Brennt fort im duft’gen Schatten, Mögt’ sich dem Luftmeer gatten.
Doch wie er strebt vom harten
Land, Lautdonnernd stößt die
Felsenwand,
Wälzt stumm in
Schwindelweisen,
Die Fluth zu Wolkenkreisen.
So wallt er fort durch
Blumenhain,
Schlingt Todtschmerz tief in sich
hinein,
Dann wehn die Lorbeerbäume, Von oben süsse Träume.
*** Sonett an Jenny Eines muß ich Dir, mein Kind,
noch sagen,
Fröhlich schließt mein
Abschiedsgesang den Reihn, Denn die letzten Silberwellen
schlagen,
Sich in Jenny’s Hauche Klang zu
leihn,
So wird kühn durch
Felsensprung und Ragen, Laut durch Fluthenfall und Hein, Fort der Stundenlauf des Lebens
schlagen,
Zur Vollendung sich zu Dir zu
weihn.
Kühn gehüllt in weiten
Glauthgewanden, Lichtverklärt das
stolzgehob’ne Herz, Herrschend losgesagt von
Zwang und Banden, Tret’ ich festen Schritt’s durch
weite Räume, Schmett’re vor Dein Antlitz hin
den Schmerz,
Und zum Lebensbaum
entsprühn die Träume!
Karl Marx hat als 18-Jähriger, in der Hochzeit der Spätromantik, Lyrik verfasst – Gedichte auf seinen Vater, die Natur und die Liebe, darunter natürlich Lobpreisungen seiner angebeteten Jenny. Der Bonner J.H.W. Dietz Verlag präsentiert eine wunderschöne Edition, versehen mit handschriftlichen Faksimiles: »Karl Marx. Weltgericht. Dichtungen aus dem Jahre 1837« (372 S., geb., 36 €). Im gleichen Verlag erscheint jetzt auch »Karl Marx. Gesammelte Volkslieder« (160 S., geb., 12 €). Als knapp 20-Jähriger stellte Marx seiner Verlobten Jenny von Westphalen eine Sammlung mit Volksliedern aus Deutschland und anderen europäischen Ländern zusammen, darunter spanische, griechische, lettische, lappländische, estnische und albanische.