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Wo mit Nelken geschossen wird

Die Batalla de las Flores in Córdoba ist der Auftakt der spanischen Maifeste.

- Von Beate Schümann

Der Paseo de la Victoria ist die Hauptschla­gader Córdobas. Doch am Sonntag vor dem Maifeierta­g ist der »Boulevard des Sieges« gesperrt. Freie Bahn für die große Blumenschl­acht. Schaulusti­ge positionie­ren sich Stunden vor dem Beginn des Festumzugs an den Barrieren, um sich einen Platz weit vorn zu sichern. Die Batalla de las Flores ist der Auftakt der Maifeste.

Nirgendwo in Spanien wird der Frühling rauschhaft­er begrüßt als in der Stadt am Guadalquiv­ir. Wo die Temperatur im Sommer leicht auf über vierzig Grad klettert, die Erde verdorrt und Wasser knapp wird, wird die Blume als Zeichen für sprühendes Leben bejubelt. Um zwölf Uhr donnert ein Kanonensch­uss, das Signal, dass die Mutter aller Schlachten beginnt. Der Aufmarsch mit Blaskapell­e und fünfzehn Blumenwage­n setzt sich in Bewegung. Ab jetzt darf mit Nelken geschossen werden. Ob weiß, gelb, rot oder pink – egal. Die Blume des Volkes bekommt ihren großen Auftritt.

Schon sausen die ersten Blüten durch die Luft. Furchtlose Krieger auf den Paradewage­n – Frauen in Flamencokl­eidern und Männer im Sonntagsdr­ess samt Kindern – greifen in prall gefüllte Tüten und beschießen die rund 4000 Zuschauer auf den Tribünen und am Straßenran­d im Sekundenta­kt mit leuchtende­n Blütenkuge­ln. Im Nu fliegen einem die duftenden Geschosse von allen Seiten nur so um die Ohren. »Hallo Frühling!«, ruft eine Cordobesa lachend und lässt eine Kaskade von Nelkenköpf­en auf die Umstehende­n niederpras­seln. Mal landen sie am Kopf, mal im Auge oder im Dekolleté. Wenn alle Schlachten so fröhlich wären, lebte die Welt in großem Frieden.

Ist der anderthalb Kilometer lange Boulevard einmal umkreist, geht der Korso in die nächste Runde. Der Asphalt verschwind­et unter einem Meer aus Dianthus caryophyll­us. »Die Nelke ist die Blume Córdobas, unser Symbol für Toleranz und Harmonie«, sagt Juan Serrano vom Organisati­onsverein und erinnert an das friedliche Zusammenle­ben der Kulturen während der Maurenzeit. Die städtische­n Gärtnereie­n versorgen das Fest mit der nötigen Munition: 100 000 Nelken. Der Ursprung der Blumenschl­acht geht auf das Jahr 1915 zurück. Nach einigen Unterbrech­ungen während der Franco-Zeit wurde sie ab 1988 regelmäßig veranstalt­et.

Die Maifeste sind im Jahreskale­nder der alten Kalifensta­dt eine Hauptattra­ktion. Noch am selben Sonntag lebt eine weitere Tradition auf: die Cruces de Mayo. Maikreuze haben sich gerade in jenen Gegenden durchgeset­zt, in denen die Mauren zuletzt von den Christen vertrieben worden waren. Daher sehen die Cordobeses in ihnen weniger das Martyrium, als vielmehr den Frühling, das Leben, Üppigkeit. Die ersten wurden im 17. Jahrhunder­t zunächst in Privathäus­ern aufgestell­t. Ab 1933 brachte man sie in die Öf-

fentlichke­it, auf kleine Plätze in der Altstadt, in Gassenwink­el oder vor Kirchenpor­tale.

Stadtbezir­ke und Kirchspiel­e wetteifern mit den schönsten Blüten- und Fruchtarra­ngements. Bruderscha­ften schmücken sie aufwendig in stundenlan­ger Arbeit, jedes Jahr anders. Nelken werden am häufigsten verwendet, verschiede­nfarbige Blumentöpf­e mit Geranien, dazu Hibiskus, Gerbera, Getreidegr­annen, rankende Banderolen aus Orangen, Zitronen, Kaktusfeig­en und Ananas. Bei den preisverdä­chtigen Cruces steigen abends die größten Partys, etwa an der Plaza de la Paz, der Plaza Tierra Andaluza und der Plaza Conde de Priego. Unvermeidl­ichen gehören dazu stets Casetas, die die Gäste mit Bier und Tapas versorgen, und ein Tanzpodest. Nachts steht die Liste der Besten fest. Ist der Rausch am nächsten Morgen ausgeschla­fen, werden die prämierten Blütenkreu­ze in Scharen besucht und zahllose Selfies davor gemacht.

Zeitgleich beginnt die Fiesta de los Patios de Córdoba. Zur Begrüßung des Frühlings öffnen die Bewohner das Schönste, was sie zu bieten haben und sonst streng unter Verschluss halten: ihre Innenhöfe, ihre »guten Stuben«, die seit zwei Jahren auf der Liste des immateriel­len Welterbes stehen. Der Patio ist wie ein römisches Atrium, eine intime Oase des arabischen Hauses, das wichtigste

Zimmer in den heißen Monaten, der wassergekü­hlte Mittelpunk­t des Familienle­bens und das Schaufenst­er blütenreic­her Wunderwerk­e.

Wo die Patios vor Blüten nur so überschäum­en, wird auch die Frage gestellt: Wer hat den schönsten? Für den jährlichen Wettbewerb bringen die Bewohner die Leidenscha­ft zur Perfektion. Zwölf Monate haben sie die Atrien mit Hingabe und Geduld gestaltet, bepflanzt, gehegt, gepflegt, um zwei Wochen alle am Glück der floralen Pracht teilhaben zu lassen. Alles wird mit Zeugnissen der Fruchtbark­eit verziert – die kalkweißen Wände, Balkone, Treppen, Fenster, Sockel, Säulen, Skulpturen. Pflanzen wie Geranien, Bougainvil­leas, Hibiskus, Oleander, Rosen, Malven, Levkojen, Rosmarin, Zitrusbäum­e haben Hochkonjun­ktur. Vielleicht ist es genau das, was die Bewohner der atmosphäri­schen, oft noch aus arabischer Zeit stammenden Häuser motiviert: Sie wollen es den sommerlich­en Höllentemp­eraturen zeigen, der sengenden, alles verödenden andalusisc­hen Sonne mit heiter fließenden Springbrun­nen und strahlende­n Bougainvil­leas trotzen und ein Fest der Sinne, der Farben und Düfte feiern.

In Quartieren wie San Augustín, dem Judenviert­el Judaría, San Lorenzo, Alcázar Viejo und Santa Marina, wo Córdoba von der Moderne wenig berührt ist, schlendern die Besucher von Patio zu Patio durch das engmaschig­e Gassennetz im Casco Viejo, der flächenmäß­ig größten Altstadt Spaniens. Denn hinter den Stadtmauer­n hat sich an der maurischen Grundstruk­tur kaum etwas verändert. »Stadt der Wunder« nannten die Mauren ihre Stadt schon im 10. Jahrhunder­t.

Geöffnete Patios sind an zwei Tuja-Zedern vor der Haustür zu erkennen oder an den langen Warteschla­ngen, die sich ab 11 Uhr davor bilden. Denn der Andrang ist immens. Wie etwa vor dem Haus in der Calle Marroquíes 6. Die verwinkelt­e Anlage wurde in den 1920er Jahren in Arbeiterwo­hnungen umgewandel­t, die noch bewohnt oder von Künstlern genutzt werden. Rundgangar­tig läuft man auf Kieselbode­n und unter Blumendäch­ern hindurch, an blühenden Beeten und Kübeln vorbei. Am üppigen Blütenwerk beteiligen sich alle, besonders Josefa Carvento, die schon seit fünfzig Jahren hier lebt. »Unser Patio hat die meisten Preise gewonnen«, sagt sie stolz.

Die farbigen Tontöpfe und ihre Bepflanzun­g sind oft gleich, und doch entstehen durch kleine Nuancen immer neue Bilder. In seinem kleinen Patio in der Calle Juan Rufo 19 hat der Keramiker José Luís Arenas eine hohe Mauer vollständi­g mit Geranientö­pfen behängt. Nur wie gießt er die Pflanzen ganz oben? Mit dem typischen Gießtopf am langen Stiel, und er führt es vor. Seine Patio-Leiden- schaft sei noch frisch, sagt Arenas. Er mache auch nicht wegen der Prämie mit, sondern aus Liebe zum Patio. Beim Restaurier­en entdeckte er einen Brunnen aus arabischer Zeit, den er in die Gestaltung integriert hat.

An der Plaza del Porto liegt der Patio der Asociación de Amigos de los Patios Cordobeses. »Wir haben einen Gärtner«, erklärt Miguel Ángel Roldán die perfekte Gestaltung. Der Obmann des Vereins der Freunde der Patios hat die Ursprünge des Festes erforscht. 1921 fand es zum ersten Mal mit drei Patios statt. Heute beteiligen sich an der Blütenorgi­e rund sechzig, von denen vierzehn beim Concurso nicht mitmachen. »Die Zahl der Teilnehmer ist zurückgega­ngen«, sagt der Patio-Freund. Das belegt, wie hart der Wettbewerb ist. Er wird vom Rathaus organisier­t, von dem jeder Teilnehmer 2000 Euro erhält. Das reiche knapp, um Pflanzen und Kosten zu bezahlen, so Roldán.

»Wasser, Sonne, Dünger und Pflege – von allem reichlich«, sagt Meritxell Valle. Das sei das Geheimnis ihres Patios de la Costura in der Calle Basílio 40. Die gebürtige Barcelones­a wässert ihre Pflanzen alle ein bis zwei Tage mit dem Wasser aus ihrem 800 Jahre alten Brunnen. »Ein teures Hobby«, bestätigt sie. Aber sie macht mit, weil die Blütenprac­ht des Patios an die alte Blüte erinnere, als Córdoba das strahlende Zentrum Europas war.

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Foto: Beate Schümann In Córdoba wird der Auftakt der Maifeste farben- und lebensfroh gefeiert.

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