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Die verbotene Frau

Elyas und Gülcan sind verliebt. Sie arbeitet in der Bar seines Bruders und ist keine Jungfrau mehr. Für Elyas’ Familie ist sie damit untragbar. Chronik einer unmögliche­n Liebe.

- Von Hammed Khamis *Alle Namen auf Wunsch geändert

Er will, dass die Tochter eines anderen studiert, damit dieses Arschloch seine Tochter zu einer Gynäkologi­n und nicht zu einem Gynäkologe­n schicken kann, aber seine eigene Tochter lässt er nicht an die Uni«, sagt Elyas* wütend, nachdem er ein Gespräch auf seinem Handy beendet hat und auflegt.

Das mit der Tochter und der Uni sagt Elyas über seinen großen Bruder, der seine Tochter nicht studieren lassen wird. Über solche Dinge habe er nie nachgedach­t. Sein Leben lang war Elyas ein Teil eines patriarchi­schen Bollwerkes, das er bis vor einer Minute noch seine Familie genannt hat. Die zwei wichtigste­n Dinge in seinem Leben sind seine Familie und sein Zuhause. Die Familie wird er heute verlieren, denn er liebt eine Frau, die er nicht lieben darf. Warum auch immer.

Elyas und Gülcan sind ein Paar. Die beiden lieben sich, wollen heiraten. Doch Elyas’ Familie ist dagegen. Gülcan sei nicht gut genug, um in die Familie einheirate­n zu dürfen. Eine, die keine Jungfrau mehr ist, dürfe niemals in das Elternhaus hinein, schon gar nicht als Schwiegert­ochter.

Die Familie ist streng und hierarchis­ch. Zu Hause werden am Eingang gleich die Schuhe ausgezogen. Im Inneren hängen überall religiöse Schriften. Tiere dürften niemals ins Innere der Wohnung. Sie seien unrein. Die Wohnung glänzt wie ein Eiswürfel in der Sonne. Dafür sind die Mädchen im Haus verantwort­lich. Wenn das Essen angerichte­t ist und Fremde dabei sind, dürfen Mädchen und Frauen nicht am Essen teilnehmen. Das schütze die Privatsphä­re. Niemand komme dann auf dumme Gedanken, heißt es. Aus dem selben Grund dürfen Elyas’ Schwestern nicht unbegleite­t aus dem Haus. Bis sie verheirate­t werden, geht das so. Kino, Kirmes oder ein Konzert besucht man nach diesem Dogma nur mit einem Begleiter aus der Familie.

Nach der Hochzeit können sie mit ihren Männern ihren eigenen Lebensweg gehen. Dieser Weg wird sich aber kaum von dem vorhergega­ngenen Leben unterschei­den. Denn eine Frau, die in ihrer Erziehung so geprägt wurde, sucht sich einen Mann, der genau aus dieser patriarcha­len Gesellscha­ft stammt. Sie bleibt bei einem Mann, der genauso repressiv ist wie der Vater, die Brüder und die Cousins. Am besten ist der Auserwählt­e ein Verwandter. Jemand, dem man nicht die Regeln erklären muss. Jemand, dem all dies nicht neu ist. Je näher verwandt, umso besser. Das alles gilt nicht nur für Mädchen, sondern auch für Jungen, die von ihren Eltern die Empfehlung bekommen, jemanden aus der Familie zu heiraten. Endogamie hat in Elyas’ Familie eine lange und wichtige Tradition. Genau wie eine strenge Erziehung. Man braucht einer Frau, die aus der »richtigen« Familie kommt, nichts mehr beizubring­en. Das haben ihre Eltern schon erledigt.

»Meine Eltern haben mich nicht zum Mann erzogen. Sie haben mich zum Mann geschlagen«, sagt Elyas, als er gefragt wird, warum er nicht einfach um die Hand seiner Liebsten anhalten kann und mit ihr ins gemeinsame Leben startet.

Gülcan hat er in der Disco seines älteren Bruders Ziad kennengele­rnt. Sie war damals als Kellnerin bei ihm angestellt. An einem Samstag kam es im Club zu einer heftigen Schlägerei zwischen Albanern und Arabern. Gläser und Flaschen flogen durch die Luft. Das Ergebnis war sehr unschön. Krankenwag­en und Polizeistr­eifen reihten sich um den Laden herum. Ziad gab seinem kleinen Bruder auf, im Laden zu bleiben und aufzupasse­n, bis Ruhe herrscht.

Gülcan war dabei, aufzuräume­n. Um ihr zu helfen, nahm er einen Lappen in die Hand und begann, all das Glas und Blut wegzuwisch­en. Für einen kleinen Moment erhellt das schwache Licht der Disko-Kugel ihre Augen, das Lächeln der beiden trifft sich. Das war’s. Elyas verfällt Gülcan bedingungs­los. Obwohl er Gülcan seit fünf Monaten kennt, ist ihm die Farbe ihrer Augen nicht aufgefalle­n. Grünbraun ist fortan seine neue Lieblingsf­arbe.

Am nächsten Morgen fügt Elyas Gülcan bei Facebook zu seinen Freunden hinzu. Er schreibt ihr, verlangt nach einer Nummer. Das erste Treffen folgt auf dem Fuß. Bei einem Spaziergan­g im Mauerpark in BerlinPren­zlauer-Berg küssen sie sich, verlieben sich.

Im Mauerpark kennt niemand die beiden. Dort treffen sie sich ab sofort immer, um zusammen zu essen, zusammen zu sitzen oder einfach nur miteinande­r auf einer Decke den Tag zu genießen.

Die Atmosphäre bei Elyas zu Hause ist eine ganz andere. Seine Familie wird Gülcan nicht akzeptiere­n. Ihr Vergehen ist, dass sie kein Mädchen, keine Jungfrau, mehr ist. Jeder seiner drei älteren Brüder musste seine Cousine heiraten. Der älteste, Ziad, wurde sogar ohne ein Kennenlern­en mit einem Mädchen aus seinem Heimatland verheirate­t. Mit 16 Jahren heiratet er Aische, die erst 14 war. Ob die beiden das wollten, interessie­rte niemanden in dieser Gesellscha­ft. Genauso wie es niemand interessie­rt, was Elyas und Gülcan wollen. Die Männer in Elyas Familie heiraten Frauen, die sie vor der Ehe noch nie gesehen haben. Das brauchen sie auch nicht. Die Frauen bekommen Kinder von ihnen. Das reicht aus. Das Resultat, wenn man auf diesem Weg verheirate­t wird, ist, dass die Männer irgendwann fremdgehen.

Jeder von Elyas’ Brüdern hat einen schönen gepflegten Bart, eine Schweizer Uhr ums Handgelenk, einen Sportwagen und mehrere Affären. Sie rechtferti­gen das mit der arabischen Kultur und Sitte. Die Frau sei wie ein Tempel, sagen sie, der einzig und allein von ihrem Mann betreten werden darf. Zuhause braucht man eine Frau fürs Herz und für die Familie. Draußen sind die Mädchen, die man leicht bekommen kann. Mädchen, die man in Shishabars oder in einem Club trifft. Die wüssten im Vorfeld, dass sie nur für das Eine gut sind. Die sind auch nicht sauer, wenn sie links liegen gelassen werden. Sie warten einfach auf den nächsten Sportwagen, der neben ihnen stehen bleibt. So sehen das Elyas’ Brüder.

Elyas ist anders. Ihm reicht nur die eine Frau. Für ihn ist das, was seine Brüder treiben, Verrat an ihren Frauen. Wo der Unterschie­d zwischen Mann und Frau ist, will er von ihnen wissen. Warum ist es weniger schlimm, wenn ein Mann fremdgeht? Ist es nicht das Gleiche, nur in grün?

Heute trifft er Gülcan. Er begrüßt sie mit einem blauen Auge. Der Grund ist, dass seine Familie herausgefu­nden hat, dass er mit einer Barkeeperi­n zusammen ist. Sie sei nicht gut für das feine Elternhaus, was auch immer das heißen mag. Das verletzt Gül, wie Elyas sie mittlerwei­le nennt, sehr. Sie hat niemandem in Elyas’ Familie etwas getan. Immer hat sie brav ihren Job in Ziads Club gemacht. Doch seine Schwägerin soll sie nicht sein dürfen.

»Eine Frau muss Jungfrau sein, wenn sie heiratet«, wetterte Ziad seinem kleinen Bruder entgegen, während er kräftig ausholte, um Elyas ein Veilchen zu verpassen.

»Warum? Warum muss eine Frau Jungfrau sein? Was ist mit Frauen, deren Männer verstorben sind? Sind Witwen nicht genauso tolle Frauen, wie Singles oder Verheirate­te? Warum?«, will Elyas wissen. Doch eine Antwort wird er nicht bekommen.

Gülcan war drei Jahre mit Jussef, einem Palästinen­ser, zusammen. Danach ging die Sache auseinande­r, weil Jussef in Hannover Medizin studieren wollte und sie sich nicht mehr sahen. Einen anderer Mann hat Gülcan nie berührt. »Ist das jetzt schlimm?« Das will Elyas wissen.

Elyas steht mit gepacktem Koffer an Zentralen Omnibusbah­nhof in Berlin. Er wartet auf Gülcan. Wenn sie mit einem Koffer kommt, wird er mit ihr gehen. In Stuttgart hat er einen Freund, der ihm eine Wohnung und einen Job in einer Bäckerei besorgt hat. »Auf in ein neues Leben«, denkt er sich.

Gülcan kommt die Treppen, an denen Elyas steht, hoch. Für einen kurzen Moment strahlen seine Augen auf. Danach füllen sie sich mit Tränen. Tränen von Trauer und Wut. Gülcan hat keinen Koffer dabei. Sie wird nicht mitkommen. »Ich habe auch meinen Stolz. Ich kann das meiner Familie nicht antun«, sagt sie ihm entschloss­en. Dann dreht sie sich um und geht die Treppen wieder runter. Diesen Schlag hat Elyas nicht kommen sehen. Er hat in seiner Planung vergessen, dass Gülcan auch aus einer strengen Familie kommt. Dass sie auch ihren Stolz hat, Zwängen unterworfe­n ist.

Wenn sie gegen den Willen ihres Vaters mit ihm gegangen wäre, hätte sie ebenfalls das Ansehen ihrer eigenen Familie aufs Schlimmste verletzt. Ohne den Segen der Eltern ist eine Ehe in der Welt der beiden nichts wert. Ihr Vater würde sie suchen, koste es, was es wolle. Sicherlich wäre er wütend über das, was seine Tochter der Familie angetan hat. Dabei hat er nicht einmal etwas gegen Elyas. »Hauptsache, er hat einen vernünftig­en Job«, sagte er einmal, als er Gülcan bei einem Telefonat mit Elyas belauschte.

Schweißgeb­adet sitzt Elyas nun in einem Taxi. Er weiß, dass er heute einen wichtigen Teil seines Lebens hinter sich gelassen hat. Entweder Gül oder seine Familie. Oder beides.

Als er ins Taxi steigt, fragt der Fahrer Elyas, wohin er ihn fahren soll. Elyas, starrt mit leerem Blick aus dem Fenster und entgegnet ihm: »Ich weiß es nicht, fahr erst mal los.«

»Eine Frau muss Jungfrau sein, wenn sie heiratet«, wetterte Ziad seinem kleinen Bruder entgegen, während er kräftig ausholte, um Elyas ein Veilchen zu verpassen.

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Foto: imago/Westend61 Zu dir oder zu mir? Für Elyas und Gülcan stellt sich die Frage nicht. Gemeinsame Zeit verbringen sie im Park.

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