Siemens bleibt – ein bisschen
Konzern zieht Schließungspläne für Görlitz zurück. Stellenabbau kommt wohl doch
Berlin. Das Aus für Siemens in Görlitz ist abgewendet. Nach zähem Ringen hat sich der Mischkonzern mit Gewerkschaft und Betriebsrat auf Eckpunkte für die geplanten Einschnitte in der Kraftwerkssparte geeinigt. Die umstrittene Schließung des Görlitzer Werkes ist demnach vom Tisch. Dagegen soll der Standort in Offenbach »perspektivisch« aufgegeben werden, wie Siemens am Dienstag in München mitteilte. Für das Werk in Leipzig, das ebenfalls von der Schließung bedroht war, werde nun auch ein Verkauf geprüft.
»Das ist eine sehr gute Nachricht für die Siemensianer in Sachsen, für ihre Familien und für die gesamte Region«, sagte Regierungschef Michael Kretschmer (CDU). Zum Standort Leipzig liefen intensive Gespräche, in die auch Vorschläge der Belegschaft einfließen sollen. Kretschmer dankte Siemens-Chef Kaeser: »Für ihn stehen nicht nur Kennzahlen, sondern auch die Menschen im Vordergrund.«
Die IG Metall in Ostsachsen sprach von einem »vollen« Erfolg. Das vorliegende Eckpunktepapier schließe betriebsbedingte Kündigungen aus und beinhalte die klare Kompetenzzuweisung für die Industriedampfturbine, erklärte der ostsächsische IG-Metall-Chef Jan Otto. Laut Wirtschaftsminister Martin Du- lig (SPD) müssen in Görlitz wohl dennoch Arbeitsplätze abgebaut werden. Oberbürgermeister Siegfried Deinege (parteilos) sagte, nun könne man sich der Zukunft widmen.
Auch in Berlin herrschte Erleichterung vor. Die IG Metall sieht »bessere Zukunftsoptionen« für die ebenfalls von Schließung bedrohten Beschäftigten des Dynamowerks und für die im Gasturbinenwerk. Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) erklärte gegenüber »nd«: »Wir erwarten Innovationen, um mit neuen Produkten in der Energiewelt von morgen anzukommen und somit Arbeitsplätze zu sichern.«
Sozialverträglich soll er ablaufen – der massenhafte Stellenabbau beim Mischkonzern Siemens. Gewerkschaft und Betriebsrat wollen die Zahl möglichst niedrig halten.
Es sind recht gemischte Gefühle, die die Gewerkschafter an den SiemensStandorten auf die neuesten Signale aus der Münchner Konzernzentrale umtreiben. Unter die Erleichterung insbesondere in Görlitz und Berlin mischen sich auch mahnende Worte: »Es gibt keinen Grund zur Entwarnung«, sagte Bernd Kruppa, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig, am Dienstag. »Es braucht jetzt Macher auf Konzernebene, die wirtschaftlich weitsichtig und kreativ handeln und am Ende die richtigen Entscheidungen treffen«.
Das Werk im Leipziger Stadtteil Plagwitz gehörte zusammen mit Görlitz und Offenbach zu den Standorten, deren Schließung von der Konzernführung offenbar geplant war. Für Leipzig prüfe man nun auch den Verkauf des kompletten Standortes, werde diesen aber nur umsetzen, wenn sich ein Käufer mit nachhaltigem Konzept finde, sagte SiemensPersonalchefin Janina Kugel. Gewerkschaftsvertreter Kruppa fordert indes Klartext: »Jetzt muss auch Siemens auf Konzernebene seine Verantwortung übernehmen und sich verbindlich für den Erhalt des Leipziger Standortes einsetzen.« Die IG Metall habe dafür ein »wirtschaftlich nachhaltiges Konzept« entwickelt.
Im vergangenen Herbst waren Pläne der Konzernleitung bekannt geworden, Werke in Leipzig, Görlitz und Offenbach zu schließen, den Verlauf des Werks in Erfurt zu prüfen und insgesamt 6900 Stellen in der Turbinenund Kraftwerkssparte, die Hälfte davon in Deutschland, zu schließen. Besonders hart hätte das Vorhaben den Osten getroffen. Auch weil der Konzern einen Rekordjahr mit 6,2 Milliarden Euro Nettogewinn und 11,2 Prozent Gewinnmarge im Industriebereich vermeldete, kam es zu einem massiven Aufschrei bei Betriebsräten und Gewerkschaften, aber auch in der Lokal-, Landes- und Bundespolitik. Vielerorts kam es zu Protesten, in Offenbach gab es über Monate sogar täglich eine mindestens einstündige Mahnwoche nahe des Werkstores.
Bei den langwierigen Sondierungsverhandlungen zwischen Beschäftigtenvertretern und Konzernleitung wurden nun verbindliche Eckpunkte beschlossen. Demnach gilt das Abkommen »Radolfzell II« fort, das die Schließung oder Verlagerung von Standorten ausschließt und betriebsbedingte Kündigungen nur im Einvernehmen mit Gewerkschaft und Betriebsrat zulässt. Endgültig vom Tisch ist nun die besonders umstrittene Schließung des Standortes im sächsischen Görlitz.
Dagegen soll der Standort in Offenbach (Hessen) »perspektivisch« aufgegeben und mit dem Werk in Erlangen gebündelt werden, die Mitarbeiter sollen aber zum Teil im RheinMain-Gebiet verbleiben, wie Siemens am Dienstag in München mitteilte.
Nach der Einigung auf die Eckpunkte könnten nun die Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan beginnen, die der Konzern noch im laufenden Geschäftsjahr (30. September) abschließen möchte. Dabei soll es keine Kündigungen geben: Laut Personal- chefin Kugel werde der Jobabbau möglichst freiwillig und sozialverträglich umgesetzt. Sollte dies jedoch nicht ausreichen, kämen Weiterqualifizierungen etwa im Bereich Digitalisierung sowie ein Einsatz der Beschäftigten an anderen Standorten in Frage. Laut der Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn werde es bei den nun anstehenden Verhandlungen darauf ankommen, dass möglichst viele Jobs erhalten bleiben und Mitarbeiter gegebenenfalls umgeschult und versetzt werden könnten. Im Detail wird dann auch über die Entwicklung der einzelnen Standorte gesprochen. »Wir haben für jeden Standort aus unserer Sicht tragfähige Alternativen vorgeschlagen«, ist Steinborn optimistisch.
Die ominöse Zahl der 6900 zu streichenden Stellen steht indes weiter im Raum. »Defizitäre Geschäfte dauerhaft zu subventionieren, wäre verantwortungslos«, lautete das Argument des Vorstands, an dem sich ja nichts geändert habe. Ansonsten könne man von aggressiven Investoren zu noch radikaleren Schritten gezwungen werden. Rein rechtlich gesehen könnte die Radolfzell-Vereinbarung zur Standort- und Beschäftigungssicherung einseitig gekündigt werden. Allerdings ist dies nach der Eckpunkte-Einigung unwahrscheinlicher geworden.