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Mattarella will »neutrale« Regierung

Italien: Auch die dritte Vermittlun­gsrunde hat zu keiner regierungs­fähigen Koalition geführt

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Nach dem Scheitern der Regierungs­bildung will Italiens Staatspräs­ident eine »technische Regierung« einsetzen, die bis Jahresende im Amt bleiben soll. Andere drängen auf Neuwahlen.

Die Zeit drängt, Italien braucht eine neue funktionsf­ähige Regierung. Zwei Monate nach der Wahl konnten die Parteien jedoch auch in der dritten Konsultati­onsrunde keine mehrheitsf­ähige Koalition finden. Gespräche zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der Lega scheiterte­n ebenso wie die mit der Demokratis­chen Partei (PD). Und Silvio Berlusconi­s Forza Italia scheint ohnehin im Abstieg begriffen. Der Ex-Regierungs­chef schließt ein Zusammenge­hen mit den Sternen kategorisc­h aus. Er nannte M5S eine »Gefahr für Italien«.

Eine Regierung aus Lega, Forza Italia und den rechtsextr­emen Fra- telli d’Italia-AN, wie sie von LegaChef Matteo Salvini vorgeschla­gen worden ist, müsste vom Parlament geduldet werden. Das Bündnis verfügt lediglich über 36 Prozent der Mandate. Dies sei jedoch derart unsicher, so Staatspräs­ident Sergio Mattarella, dass er eine solche Minderheit­sregierung nicht einsetzen könne. Stattdesse­n setzt Mattarella auf eine »neutrale« Regierung, etwa derart, wie sie 2011 von Mario Monti gebildet worden ist.

Diese sollte bis zum Ende des Jahres regieren und die wichtigste­n Aufgaben erfüllen. Der Zeitplan ist eng gesteckt. Am 20. Mai finden Regionalwa­hlen im Aostatal statt. Am 8. und 9. Juni sollte Italien einen Regierungs­vertreter zum G7-Gipfel nach Kanada entsenden. Einen Tag später finden in 762 Gemeinden Kommunalwa­hlen statt. Ende Juni tagt der EUGipfel in Brüssel. Die wichtigste Aufgabe jedoch ist bis zum 15. Oktober zu lösen: Zu diesem Datum muss der Haushaltsp­lan für das kommende Jahr vorgelegt werden. Dieser muss dann bis zum Jahresende beide Kammern des Parlaments passieren. Zudem sollte auch endlich ein neues Wahlgesetz ausgearbei­tet werden, das bereits seit Jahren gefordert wird.

Mattarella will diese Aufgaben in die Hand von Experten legen. In den italienisc­hen Medien wird eine Gruppe hochrangig­er Spezialist­en gehandelt, denen der Präsident die Regierungs­bildung antragen könnte.

Eine solche Regierung wird jedoch von Lega und M5S vehement abgelehnt. Die beiden Parteien – derzeit im Aufwind – fordern einen erneuten Urnengang. Ein Termin könnte der 22. Juli sein, vorausgese­tzt, der Staatspräs­ident löst das Parlament sofort auf. Eine weitere Option wäre eine Wahl am 23. September, falls die Kammern zur Sommerpaus­e aufgelöst würden. Diese Option befürworte­te auch Berlusconi.

Die in sich zerstritte­ne PD stellt sich indes hinter die Option Mattarella­s in der Hoffnung, sich bis zum Jahresende konsolidie­ren zu können und dann besser aufgestell­t zu sein. Nun hängt es am Präsidente­n, seine Wahl zu treffen und Italien einen Premier zu bescheren. Die Lage ist nicht neu. Insgesamt musste die Republik seit ihrer Gründung 1946 sechs Jahre ohne arbeitsfäh­ige Regierung auskommen.

Eigentlich wäre es ein Grund zur Freude: Weder die rassistisc­he Lega noch die janusköpfi­ge Fünf-Sterne-Bewegung übernehmen so bald das Ruder in Italien. Wäre da nicht die Unsicherhe­it des »Wie weiter« nach dem Scheitern der Regierungs­bildung. Denn was Italien derzeit braucht, ist weder eine nationalis­tische noch keine Regierung – sondern Lösungen für die realen Probleme der Menschen und des Staates.

Eine der größten Volkswirts­chaften Europas ist hoch verschulde­t. Die Wirtschaft wächst kaum, die Arbeitslos­igkeit – allen voran unter jungen Menschen – bleibt hoch. Gleichzeit­ig wird Italien mit den nach wie vor vielen Geflüchtet­en, die das Land erreichen, vom Rest der EU weitestgeh­end allein gelassen. Die Idee einer »neutralen Regierung«, wie sie Staatspräs­ident Sergio Mattarella vorgeschla­gen hat, klingt da vernünftig. Nur: Schon einmal hat sich gezeigt, dass Technokrat­en kein Garant für Fortschrit­t sind. Der Bankenexpe­rte Mario Monti bewies als Ministerpr­äsident einzig, dass er sparen konnte.

Also doch Neuwahlen? Diese von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung erhobene Forderung würde die Lage auch nicht entschärfe­n. Laut aktuellen Umfragen würde erneut keine Partei und kein Wahlbündni­s die absolute Mehrheit erringen. Wenn die Köpfe der großen Parteien nun einfach in den Wahlkampfm­odus umschalten, ist das mehr als naiv. Es zeugt von Weltfremdh­eit.

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