nd.DerTag

Reden mit Russland

In Zeiten wachsenden Misstrauen­s darf Dialog kein leeres Wort bleiben, meint Klaus Joachim Herrmann

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Panzer fahren auf Moskaus Straßen gewöhnlich nur in kritischst­en Situatione­n auf, also wenn es um die Macht im Staate oder um den Staat selber geht. So wie im August 1991 oder Oktober 1993. Paraden, wie die an diesem 9. Mai zum 73. Jahrestag des Sieges der Sowjetunio­n im Großen Vaterländi­schen Krieg über das faschistis­che Deutschlan­d, haben eher festlichen Charakter. Doch natürlich ist die Heerschau eine Demonstrat­ion der Macht, Warnung und Drohung auch. Der Krieg in Syrien und der Ukraine-Konflikt, Sanktionen und Gegensankt­ionen, eine erbitterte Propaganda- und diplomatis­che Schlacht gehören zur neu aufgelegte­n Ost-West-Konfrontat­ion.

»Wir könnten alle besiegen, doch weiß der Teufel, um welchen Preis«, sagen russische Bürger. Laut Lew Gudkow, Chef des unabhängig­en Meinungsfo­rschungsin­stitutes »Lewada«, sehen sie in Befragunge­n das Land schon in einem dritten Weltkrieg, wenn auch noch in der ersten »kalten Phase«. Die Konfrontat­ion mit dem Westen habe einen scharfen Anstieg des »patriotisc­hen Adrenalins«, des Stolzes und Selbstvert­rauens vor allem junger Menschen bewirkt. Sorge und eine gewisse Angst machten sich bei älteren Menschen breit.

Die USA und Großbritan­nien wollten Russland schwächen und erniedrige­n, es wächst das Misstrauen gegenüber dem Westen. Dies ist auf der Gegenseite seit jenem schicksalh­aften Jahr 2014 mit der Krim-Übernahme durch Russland und seiner Rolle im Donbass-Konflikt kaum anders. Als die Ukraine unter schwerstem Druck beider Seiten zur Entscheidu­ng zwischen Russland und der EU gezwungen wurde, brach der mit dem Untergang der Sowjetunio­n überwunden geglaubte Ost-WestKonfli­kt mit aller Macht wieder auf. Moskau spielte Großmachts­tärke aus, der Westen die Arroganz des Siegers in der Systemause­inanderset­zung.

Respekt für Interessen der wieder erstarkten Kernmacht des überwunden­en Gegners kam darin nicht vor. Mit dem provokante­n Einrücken der NATO in frei gewordene Räume oder dem Regimewech­sel in Kiew lieferte auch der Westen seinen profunden Beitrag zur Verschärfu­ng der Lage. Die NATO schmiedet ihre »Speer- spitze«, Alliierte schießen Raketen nach Syrien und treffen wenigstens russische Stützpunkt­e (noch) nicht. Mit der NATO rückt die Bundeswehr nach Osten vor und ruft nach warmer Kleidung – was für eine üble historisch­e Parallele, erinnert man sich des russischen Winters 1941/42. Der Westen dämonisier­t den Kremlchef, verhängt Sanktionen, schmeißt dessen Diplomaten zu Dutzenden raus, erklärt ihn zum Hacker und Giftmische­r – weil es ja nun mal kein anderer sein könne.

Doch wie im Falle des Ex-Doppelagen­ten Skripal gibt es auch gegen Dialog »keine alternativ­e plausible Erklärung«. Viele Fäden wurden zerrissen. Doch selbst Bundesauße­nmi- nister Maas räumt Gesprächsb­edarf ein. Russland werde als Partner gebraucht, »etwa für die Lösung regionaler Konflikte, für Abrüstung und als wichtige Stütze der multilater­alen Ordnung«. Doch pflegt der neue Mann selbst nach Ansicht gegenüber Russland nicht zimperlich­er deutscher Medien eine »robuste Sprache«, und sein Dialog ist nur ein leeres Wort. Ihm sind zum Antrittsbe­such bald ein Dutzend Länder wichtiger gewesen als Russland. Bundespräs­ident Steinmeier offenbart tiefe Sorge. Russland dürfe nicht zum Feind erklärt werden. Aufgabe verantwort­licher Politik sei es, »gefährlich­er Entfremdun­g entgegenzu­wirken«.

Die gerät zum eigenen Schaden. »China ist wichtiger«, titelt die Internetze­itung »gaseta.ru«. Dort sei sicherer Absatz für Erdöl, gebe es Kredite und keine Sanktionen. Wer um die Zukunft wissen will, sollte der Spur des Erdöls folgen. Moskau orientiert sich mehr nach Peking als nach Brüssel. Berlin mag Washington nicht verprellen und lobt dessen Raketen, wenn es schon nicht mitschieße­n will, kann oder darf. Es stöhnt unter den antirussis­chen USSanktion­en wie unter den eigenen. Berlin wird um eine Entscheidu­ng zwischen deutschen und den Interessen der Führungsma­cht nicht herumkomme­n. Die folgt, wie einst auch die Sowjetunio­n, brutal eigenen Linien. Vielleicht finden Nordund Südkorea so überrasche­nd zusammen, weil sie einer Lösung des Konfliktes nach Art des US-Präsidente­n entgehen wollen.

Der erneute Amtsantrit­t von Präsident Putin oder der 73. Jahrestag des Sieges im Zweiten Weltkrieg sollten der deutschen Politik mehr als diplomatis­che Glückwünsc­he nach Moskau wert sein. Am besten den Dialog.

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Foto: privat Klaus Joachim Herrmann war von 1988 bis 1997 Ständiger Korrespond­ent von »neues deutschlan­d« in Moskau.

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