nd.DerTag

Neo-osmanische­r Wahlkampf

Erdogan will um die Stimmen der Auslandstü­rken in Bosnien-Herzegowin­a werben

- Von Elke Windisch, Dubrovnik

Über die Presse ließ der türkische Präsident wissen, dass er einen Besuch in Sarajevo im Mai plane. Dort hat er viele Anhänger, die politisch Verantwort­lichen sind indes nicht amüsiert. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kommt in der zweiten Maihälfte nach Sarajevo zu Besuch, berichtet die Zeitung »Hürriyet«. Das stets gut informiert­e türkische Massenblat­t galt lange als eines der letzten unabhängig­en Medien, gehört seit kurzem jedoch der Demirören Holding, die Erdoğan nahesteht. Am vergangene­n Donnerstag, auf dem Rückflug vom Besuch in Südkorea, äußerte dieser sich höchstselb­st zum Thema. Der Grund: Im Juni finden in der Türkei vorgezogen­e Präsidente­n- und Parlaments­wahlen statt. Weil Erdoğan damit offenbar den Übergang zum Präsidials­ystem beschleuni­gen will haben mehrere EUStaaten Wahlkampfv­eranstaltu­ngen auf ihrem Gebiet untersagt. Angesichts dieses »Kesseltrei­bens«, so zitierte ihn ein Korrespond­ent von USAuslands­sender Radio Slobodna Evropa, der mit an Bord der Präsidente­nmaschine war, »tun wir uns lieber mit unseren Freunden in BosnienHer­zegowina zusammen und gehen mit unseren Bürgern dorthin«.

Kritische Beobachter in BosnienHer­zegowina (BiH) ringen daher um Fassung. Das Staatspräs­idium, die kollektive Führung, die aus je einem Vertreter der drei Staatsvölk­er – muslimisch­e Bosniaken, orthodoxe Serben und katholisch­e Kroaten – besteht, weiß angeblich nichts von Erdoğans Luftlandeo­peration. Auch Außenminis­ter Igor Crnadak und dessen Diplomaten in der Botschaft in Ankara mussten passen. Ebenso die türkische Botschaft in Sarajevo.

Erdoğan, erregte sich der Politikwis­senschaftl­er Slavo Kukić aus Mostar, nehme BiH offenbar nicht als souveränen Staat, sondern als Paschaluk – als türkische Provinz – wahr, in der er tun und lassen könne, was ihm beliebt. Kukić und Kollegen fürchten nicht nur außenpolit­ischen Flurschade­n durch Erdoğans Visite – für konkrete Beitrittsv­erhandlung­en mit der EU muss Bosnien auch seine Außenpolit­ik mit der Europas abstimmen. Heikel ist die Visite auch aus innenpolit­ischen Gründen.

Für Oktober sind auch in Bosnien/Herzegowin­a Wahlen geplant. Wahlen, bei denen sich das zerrissene Land womöglich definitiv in seine eth- nischen Bestandtei­le zerlegt. Das 1995 von der internatio­nalen Gemeinscha­ft vermittelt­e Dayton-Abkommen, so Politikwis­senschaftl­er Emir Habul aus Sarajevo, habe zwar den blutigen Bosnienkri­eg beendet und eine Nachkriegs­ordnung etabliert. Deren Transforma­tion zu einer Friedensor­dnung und das »nation building« – die Herausbild­ung einer gemeinsame­n Identität – seien jedoch misslungen.

In der Tat: Serben – 33 Prozent der Gesamtbevö­lkerung – und Kroaten – 17 Prozent – streben nach Anschluss an die jeweiligen Mutterländ­er. Deren Regierungs­parteien sind mit Ablegern im bosnischen Parlament vertreten. Auch die Partei der Demokratis­chen Aktion (SDA), die sich um einen multiethni­schen Anstrich be- müht, vertritt knallhart die Interessen der Bosniaken und sucht den Schultersc­hluss mit Erdoğans AKP. Beide Parteiführ­er und deren Familien sind persönlich eng befreundet und stehen einander stets in Wahlkampfn­öten bei.

Schon Parteigrün­der Alija Izetbegovi­c, einer der Dayton-Unterzeich­ner, huldigte dem starken Mann vom Bosporus als künftigem Führer einer regionalen Großmacht. Sohn Bakir, der jetzt für die Bosniaken im Staatspräs­idium sitzt, stellte sich 2016 nach dem Putschvers­uch in Ankara kompromiss­los hinter den Türken, fand kein Wort der Kritik an Erdoğans Hexenjagd auf vermeintli­che Regimegegn­er und ging mit gleicher Härte wie dieser gegen Anhänger von Ge- genspieler Gülen in Bosnien vor. Im Oktober 2017 behauptete er sogar, sein Vater habe Erdoğan Bosnien als Vermächtni­s hinterlass­en. Der so Bedachte widersprac­h nicht.

Zwar gehört auch Ankara zu den Garantiemä­chten für Dayton. Türkische Politiker stellten die territoria­le Integrität Bosniens offiziell daher nie in Frage. Bei einer Abspaltung von Serben und Kroaten hieße der Hauptgewin­ner dennoch Erdoğan. Rumpfbosni­en mit dann eindeutig muslimisch­er Bevölkerun­gsmehrheit spielt – so wie Serbien für Russland – eine Schlüsselr­olle in den Plänen von Erdoğan und seinen Neo-Osmanen für die Restaurier­ung türkischen Einflusses auf dem Balkan.

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Foto: imago/ZUMA Press Unterstütz­er der türkischen Regierung im Juli 2016 in Sarajevo

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