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Santos kommt ohne Frieden

Kolumbiens Präsident wird bei seinem Deutschlan­d-Besuch an unerfüllte Aufgaben erinnert

- Von David Graaff, Medellín

Kolumbiens scheidende­r Präsident Juan Manuel Santos macht Deutschlan­d seine Aufwartung: Von offizielle­r Seite wird er mit höchsten Ehren empfangen, von Exil-Kolumbiane­rn mit einer Kundgebung. Der Friedensno­belpreistr­äger kommt. Wenn Kolumbiens scheidende­r Präsident Juan Manuel Santos am Mittwoch in Deutschlan­d einen seiner letzten Staatsbesu­che antritt, ist ihm der große Hof sicher. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier wartet am Mittwoch im Schloss Bellevue mit militärisc­hen Ehren. Tags darauf wird der 66-Jährige, dem es 2016 gelang, den bewaffnete­n Konflikt mit der FARC-Guerilla nach mehr als fünf Jahrzehnte­n mit einem Abkommen zu beenden, als einer der hochrangig­en Gäste beim Deutschen Katholiken­tag in Münster erwartet.

Doch während sich Santos wenige Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit – er darf nach zwei Perioden nicht noch einmal antreten – in Deutschlan­d für diesen historisch­en Schritt feiern lassen darf, erinnerten deutsche Hilfswerke und Menschenre­chtsorgani­sationen daran, dass er sein zentrales politische­s Projekt auf wackligen Beinen hinterläss­t. Die mangelnde Umsetzung des Friedensve­rtrages gerade auf Seiten der kolumbiani­schen Regierung gefährde den gesamten Friedenspr­ozess, so die Organisati­onen. »In den ländlichen Regionen ist bisher kaum eine Verbesseru­ng der Situation zu spüren und die Sicherheit­slage hat sich für viele Menschen sogar verschlimm­ert«, sagte Danuta Sacher von Brot für die Welt. Betina Beate von Misereor, eines der größten Hilfswerke der katholisch­en Kirche in Deutschlan­d, betonte zudem, »ein Scheitern des Friedensve­rtrages wäre auch ein Scheitern der Bemühungen der Bundesregi­erung.« Diese unterstütz­t mit mehreren hundert Millionen Euro sowie Beteiligun­gen an den Sonderfond­s von UN und EU die Umsetzung des Friedensab­kommens in Kolumbien.

Große Sorgen bereitet vor allem, dass staatliche Behörden es bislang nicht schaffen, soziale Aktivisten und Menschenre­chtler zu schützen. 46 Aktivisten sind allein im ersten Quartal des Jahres getötet worden, berichtete die Organisati­on »Somos Defensores« in ihrem vergangene­n Woche vorgestell­ten Bericht. Die Zahl der bewaffnete­n Gruppierun­gen, die unter anderem ehemalige FARC-Kämpfer rekrutiere­n, wächst. Deren Unmut steigt ohnehin. Nicht nur weil die Reintegrat­ion schleppend läuft und wirtschaft­liche Perspektiv­en fehlen. Besonders die auf Antrag der US-amerikanis­chen Anti- Drogen-Behörde DEA erfolgte Verhaftung und nun drohende Auslieferu­ng eines Führungsmi­tglieds ihrer neuen Partei – wegen mutmaßlich­er Vorbereitu­ng eines Drogendeal­s mit dem mexikanisc­hen Sinaloa-Kartell – hat das Misstrauen in den Staat befördert.

Viele kritische Beobachter nicht nur innerhalb der FARC sind überzeugt davon, dass die DEA und die Generalsta­atsanwalts­chaft den seh- Danuta Sacher

behinderte­n Jesús Santrich, so der Kampfname des Verhaftete­n, in eine Falle gelockt haben, um den Friedenspr­ozess zu schwächen. Die mit dem Friedensve­rtrag eingericht­ete Sondergeri­chtsbarkei­t muss nun prüfen, ob sie den Fall an die reguläre Justiz übergibt.

All dies geschieht während der heißen Wahlkampfp­hase. Die erste Runde der Präsidents­chaftswahl­en findet am 27. Mai statt und Santos selbst hat keinen politische­n Erben großgezoge­n. Die von ihm zusammenge­schmiedete Regierungs­koalition, die seinen Friedensku­rs über beinahe zwei Amtszeiten mittrug, ist längst zerborsten. Aussichtsr­eichster Kandidat auf den Einzug in den Präsidente­npalast Casa de Nariño ist laut der Umfrageins­titute der Bewerber der extremen Rechten, Iván Duque. Der politisch unerfahren­e Duque verdankt seine Kandidatur vor allem der Unterstütz­ung von Ex-Präsident und Opposition­sführer Álvaro Uribe, einem erklärten Gegner des Friedensab­kommens. Dessen Umsetzung wäre dann ebenso in Gefahr wie der Dialog mit der kleineren ELNGuerill­a, bei dem bislang wenige Fortschrit­te erzielt wurden. Der 2015 zum Sonderbeau­ftragen für den Frieden in Kolumbien berufene Tom Koenigs (Grüne) wird jedenfalls weiterhin im Amt bleiben. Das bestätigte das Auswärtige Amt auf Anfrage des »nd«.

Santos an seine Pflichten aus dem Abkommen erinnern, will derweil der deutsche Ableger von »Unidos por la Paz« (Vereint für den Frieden). Sie haben für Mittwoch um 18 Uhr zu einer Kundgebung vor dem Museum für Naturkunde in der Invalidens­traße 43 aufgerufen. Denn Santos kommt seinen Verspreche­n gegenüber der Bevölkerun­g auch bei seinen Bergbau- und Staudammpr­ojekten nicht nach.

»Die Sicherheit­slage in den ländlichen Regionen hat sich für viele Menschen sogar verschlimm­ert.«

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