»Zoll-Partnerschaft« erhitzt Mays Kabinett
Britische Regierung streitet sich über die Ausstiegsbedingungen aus der Europäischen Union
Der Brexit-Streit innerhalb der britischen Regierung droht zu eskalieren. Die Zollpläne von Premierministerin Theresa May stoßen bei einigen ihrer Kabinettskollegen auf wachsenden Widerstand. Außenminister Boris Johnson läuft Sturm gegen seine Chefin. In seiner bislang schärfsten Kritik bezeichnete er die Zollpläne von Theresa May am Dienstag als »verrückt« – eine offene Auflehnung gegen die britische Premierministerin.
Die Kontroverse dreht sich um die Frage, welche Zollbestimmungen zwischen Großbritannien und der EU nach dem Brexit und dem damit verbundenen Ausscheiden aus der Zollunion gelten sollen. May und der EUfreundliche Teil ihres Kabinetts, zu dem rund die Hälfte der Mitglieder zählen, befürwortet eine sogenannte »Zoll-Partnerschaft«: Für Güter, die in Großbritannien ankommen und in die EU weitertransportiert werden, würden die Briten die EU-Tarife verrechnen und das Geld dann an Brüssel überweisen. Es wäre weltweit das erste System dieser Art, und über die Machbarkeit haben Experten erhebliche Zweifel.
Die Brexit-Anhänger hingegen sorgen sich weniger um die Praktikabili- tät, sondern befürchten vielmehr, dass Großbritannien dadurch im Prinzip in der Zollunion bliebe und kaum die Möglichkeit hätte, Freihandelsverträge mit Drittstaaten zu schließen – und dies ist eines ihrer obersten Ziele. Johnson sagte am Dienstag, dass eine Zoll-Partnerschaft den Briten weder die Kontrolle über die Handelspolitik noch jene über die Gesetzgebung zurückgeben würde. Damit hat er recht: Tatsächlich wäre eine solche Partnerschaft nur sinnvoll, wenn die Regulierungen und Vorschriften in Großbritannien weitgehend dieselben blieben wie jene in der EU, denn sonst müssten Grenzkontrollen eingeführt werden, um die Güter zu überprüfen.
Dies könnten die EU-Gegner jedoch nicht akzeptieren. Sie schlagen stattdessen ein System vor, das die Kontrollen mittels neuer Technologien automatisieren und beschleunigen würde. Auch diese Option wurde noch nie ausprobiert, und die Entwicklung des neuen Systems würde wohl Jahre dauern.
Johnsons öffentliche Intervention hat bei vielen Brexit-Anhängern Anklang gefunden; Jacob Rees-Mogg etwa, eine einflussreiche Figur unter den EU-Kritikern, sagte, der Außenminister habe den Nagel auf den Kopf getroffen. Johnsons Kommentar ist bislang das deutlichste Anzeichen, dass die Brexit-Anhänger im Kabi- nett nicht zurückweichen werden. Im Lauf des vergangenen Jahrs mussten sie eine rote Linie nach der anderen aufgeben – etwa die »Scheidungszahlung« an die EU, die anfangs noch als Tabu galt, oder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nach dem Ausscheiden aus der EU. Doch beim Austritt aus dem Binnenmarkt und der Zollunion sind die EU-Gegner zu keinen Kompromissen bereit.
Entsprechend steuert die Regierung auf eine ernste Krise zu, denn innerhalb der kommenden Wochen muss Theresa May einen Entscheid fällen, den sie bislang auf die lange Bank geschoben hat. Beide Flügel ihrer Partei wird sie nicht zufriedenstellen können. Wie schwach die Position der Premierministerin bereits ist, zeigt die Tatsache, dass sie es unterlassen hat, Johnson direkt für seine Aussagen zu kritisieren – die Angst vor einer breiteren Rebellion ist groß.
Doch bei dem ganzen innerparteilichen Knatsch geht ein entscheidender Punkt verloren, nämlich dass die EU beide Optionen, die die britische Regierung derzeit diskutiert, in ihrer heutigen Form als nicht praktikabel zurückgewiesen hat. Bis zum EURatsgipfel Ende Juni muss die britische Regierung Brüssel einen sinnvollen Vorschlag unterbreiten, wie sie das Zoll-Problem lösen will.