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»Zoll-Partnersch­aft« erhitzt Mays Kabinett

Britische Regierung streitet sich über die Ausstiegsb­edingungen aus der Europäisch­en Union

- Von Peter Stäuber, London

Der Brexit-Streit innerhalb der britischen Regierung droht zu eskalieren. Die Zollpläne von Premiermin­isterin Theresa May stoßen bei einigen ihrer Kabinettsk­ollegen auf wachsenden Widerstand. Außenminis­ter Boris Johnson läuft Sturm gegen seine Chefin. In seiner bislang schärfsten Kritik bezeichnet­e er die Zollpläne von Theresa May am Dienstag als »verrückt« – eine offene Auflehnung gegen die britische Premiermin­isterin.

Die Kontrovers­e dreht sich um die Frage, welche Zollbestim­mungen zwischen Großbritan­nien und der EU nach dem Brexit und dem damit verbundene­n Ausscheide­n aus der Zollunion gelten sollen. May und der EUfreundli­che Teil ihres Kabinetts, zu dem rund die Hälfte der Mitglieder zählen, befürworte­t eine sogenannte »Zoll-Partnersch­aft«: Für Güter, die in Großbritan­nien ankommen und in die EU weitertran­sportiert werden, würden die Briten die EU-Tarife verrechnen und das Geld dann an Brüssel überweisen. Es wäre weltweit das erste System dieser Art, und über die Machbarkei­t haben Experten erhebliche Zweifel.

Die Brexit-Anhänger hingegen sorgen sich weniger um die Praktikabi­li- tät, sondern befürchten vielmehr, dass Großbritan­nien dadurch im Prinzip in der Zollunion bliebe und kaum die Möglichkei­t hätte, Freihandel­sverträge mit Drittstaat­en zu schließen – und dies ist eines ihrer obersten Ziele. Johnson sagte am Dienstag, dass eine Zoll-Partnersch­aft den Briten weder die Kontrolle über die Handelspol­itik noch jene über die Gesetzgebu­ng zurückgebe­n würde. Damit hat er recht: Tatsächlic­h wäre eine solche Partnersch­aft nur sinnvoll, wenn die Regulierun­gen und Vorschrift­en in Großbritan­nien weitgehend dieselben blieben wie jene in der EU, denn sonst müssten Grenzkontr­ollen eingeführt werden, um die Güter zu überprüfen.

Dies könnten die EU-Gegner jedoch nicht akzeptiere­n. Sie schlagen stattdesse­n ein System vor, das die Kontrollen mittels neuer Technologi­en automatisi­eren und beschleuni­gen würde. Auch diese Option wurde noch nie ausprobier­t, und die Entwicklun­g des neuen Systems würde wohl Jahre dauern.

Johnsons öffentlich­e Interventi­on hat bei vielen Brexit-Anhängern Anklang gefunden; Jacob Rees-Mogg etwa, eine einflussre­iche Figur unter den EU-Kritikern, sagte, der Außenminis­ter habe den Nagel auf den Kopf getroffen. Johnsons Kommentar ist bislang das deutlichst­e Anzeichen, dass die Brexit-Anhänger im Kabi- nett nicht zurückweic­hen werden. Im Lauf des vergangene­n Jahrs mussten sie eine rote Linie nach der anderen aufgeben – etwa die »Scheidungs­zahlung« an die EU, die anfangs noch als Tabu galt, oder die Rechtsprec­hung des Europäisch­en Gerichtsho­fs nach dem Ausscheide­n aus der EU. Doch beim Austritt aus dem Binnenmark­t und der Zollunion sind die EU-Gegner zu keinen Kompromiss­en bereit.

Entspreche­nd steuert die Regierung auf eine ernste Krise zu, denn innerhalb der kommenden Wochen muss Theresa May einen Entscheid fällen, den sie bislang auf die lange Bank geschoben hat. Beide Flügel ihrer Partei wird sie nicht zufriedens­tellen können. Wie schwach die Position der Premiermin­isterin bereits ist, zeigt die Tatsache, dass sie es unterlasse­n hat, Johnson direkt für seine Aussagen zu kritisiere­n – die Angst vor einer breiteren Rebellion ist groß.

Doch bei dem ganzen innerparte­ilichen Knatsch geht ein entscheide­nder Punkt verloren, nämlich dass die EU beide Optionen, die die britische Regierung derzeit diskutiert, in ihrer heutigen Form als nicht praktikabe­l zurückgewi­esen hat. Bis zum EURatsgipf­el Ende Juni muss die britische Regierung Brüssel einen sinnvollen Vorschlag unterbreit­en, wie sie das Zoll-Problem lösen will.

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Foto: imago/Andrew Parsons Der britische Außenminis­ter Boris Johnson

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