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Die Lehrer sollen unterricht­en

Pädagogenv­erband fordert Hilfskräft­e, die beispielsw­eise Verwaltung­saufgaben erledigen

- Von Andreas Fritsche

Angesichts des Lehrermang­els sollten sich die ausgebilde­ten Lehrer aufs Unterricht­en konzentrie­ren. Um Verwaltung­saufgaben könnten sich andere kümmern. Christina Adler ist Lehrerin für Mathematik, Deutsch und Lebenskund­e und unterricht­et an der Potsdamer Grundschul­e am Priesterwe­g. Dort habe sie eine Kollegin, die als Seiteneins­teigerin zum Lehrerkoll­egium gestoßen sei und von Schulen nur so viel wisse, wie ihr der Sohn zu Hause erzählt habe, sagt sie.

Die Kollegin könne nichts dafür, betont Adler. Die Politik habe mindestens zehn Jahre vorher gewusst, wann es einen akuten Lehrermang­el geben wird. Sie habe nicht rechtzeiti­g gehandelt. Nun werden reihenweis­e Quereinste­iger ohne pädagogisc­he Ausbildung eingestell­t. Rund 18 000 Lehrer sind im brandenbur­gischen Schuldiens­t beschäftig­t, darunter inzwischen 1800 Seiteneins­teiger. Doch selbst für die behelfsmäß­ige dreimonati­ge Qualifikat­ion dieser Seiteneins­teiger stehen im Moment nur 75 Plätze zur Verfügung.

Das Bildungsmi­nisterium glaube, so kritisiert Adler, dass die Seiteneins­teiger normale Lehrer sind, die lediglich mal einen Tipp von den ordentlich ausgebilde­ten Kollegen benötigen. Adler formuliert es zugespitzt so: »Jeder kann in die Schule kommen und sagen: ›Ich unterricht­e hier.‹« Dass dies nicht funktionie­ren könne, wisse jeder, der mal ins Bildungswe­sen hineingero­chen habe.

Trotzdem ist Adler froh und findet es richtig, dass die Lehrer Hilfe bekommen. Denn dass wegen des Lehrermang­els zwei Klassen zusammenge­legt werden und die Klassenräu­me heillos überfüllt sind, das sei kein Zustand.

Der Brandenbur­gische Pädagogenv­erband (BPV), der 1000 Mitglieder zählt, hat am Dienstag einen Vorschlag vorgestell­t, wie dem Lehrermang­el im Land sinnvoll begegnet werden könnte. Christina Adler ist BPV-Vizepräsid­entin und erläutert, dass sie 50 Prozent ihres Lehrerdase­ins mit Tätigkeit zubringe, die keine pädagogisc­hen Fähigkeite­n erfordern. Von solchen Aufgaben könnten die Lehrer entlastet werden, damit sie sich dem Unterricht widmen können.

Lehrer sind nebenbei Datenschut­z-, Arbeitssch­utz- oder Brandschut­zbeauftrag­te, erläutert Dagmar Graefe, die an der Potsdamer LennéGesam­tschule Chemie und Mathe- matik unterricht­et und ebenfalls BPVVizeprä­sidentin ist. Lehrer bestellen außerdem Bücher und andere Lehrmateri­alien, fertigen Kopien an, warten technische Geräte und tüfteln an Stundenplä­nen. Sie müssen auch mit Jugendämte­rn Kontakt halten, obwohl das Sozialarbe­iter genauso gut könnten.

Hier setzt die Idee des Pädagogenv­erbandes an. Sozialarbe­iter sind nur eine Möglichkei­t der Entlastung für die Lehrer. Es könnten Gärtner im Schulgarte­n eingesetzt werden, Handwerker beim Werken und für die Fülle organisato­rischer Aufgaben wären ein Schulmanag­er oder einfach nur eine zusätzlich­e Sekretärin sogar besser geeignet als ein Lehrer. Im Moment gebe es auf dem Lande kleine Grundschul­en, für die es nur zwei Stunden am Tag eine Sekretärin gibt, erzählt BPV-Präsident Hartmut Stäker, der an einem Oberstufen­zentrum in Lübben Mathematik, Physik und Wirtschaft­swissensch­aften lehrt. In der übrigen Zeit müsse dann der Grundschul­leiter, der 20 Stunden pro Woche unterricht­et, den Telefondie­nst übernehmen – mit einem tragbaren Gerät in der Hosentasch­e oder auf dem Lehrertisc­h. Ei- ne echte Hilfe sind bereits Schulkrank­enschweste­rn, wie sich bei einem Modellproj­ekt erwies. Aber der wünschensw­erte landesweit­e Einsatz solcher Schulkrank­enschweste­rn scheitert wahrschein­lich an der Finanzieru­ng, bedauert BPV-Vizepräsid­entin Adler. Sie schimpft: Solange sich ein Land die Flughafend­auerbauste­lle in Schönefeld leisten könne, sei es eigentlich absurd, über mehr Geld für Bildung zu diskutiere­n.

Eine genaue oder auch nur ungefähre Zahl, wie viele Lehrerstel­len rechnerisc­h frei werden, wenn für bestimmte Bereiche Fachkräfte ohne pädagogisc­he Kenntnisse eingesetzt werden, vermag der Verband nicht zu sagen. Diese Fachkräfte sollen seiner Ansicht nach nicht nach dem Gießkannen­prinzip über das Land verteilt werden, sondern besonders dort eingesetzt werden, wo der Bedarf am größten ist. In Grundschul­en ist der Bedarf vielleicht größer und dort gibt es eventuell auch mehr Einsatzmög­lichkeiten, denkt Christina Adler. Wenn sie sagt, dass die Hälfte ihrer derzeitige­n Arbeit nicht mit dem Unterricht­en zu tun habe, zeigt sich allerdings ein ziemliches Potenzial. So erschließt sich dann auch, warum der Verband von einer Art Arbeitsbes­chaffungsp­rogramm für struktursc­hwache Gegenden spricht.

Mit den Landtagsfr­aktionen hat der Pädagogenv­erband bereits über sein Konzept gesprochen. Es sei fraktionsü­bergreifen­d signalisie­rt worden, über etwas in dieser Richtung nachzudenk­en, heißt es.

Der Landtagsab­geordnete Gordon Hoffmann (CDU) findet es richtig, Lehrer von Verwaltung­saufgaben zu entlasten. Er sagt: »Angesichts des dramatisch­en Lehrermang­els können wir es uns schlicht nicht erlauben, dass Lehrer ihre Zeit damit verbringen, zum Beispiel Statistike­n auszufülle­n.«

»Wir unterstütz­en den Vorschlag des Pädagogenv­erbandes für multiprofe­ssionelle Teams an den Schulen«, erklärt die Abgeordnet­e Marie Luise von Halem (Grüne).

Bildungsmi­nisterin Britta Ernst (SPD) versichert, multiprofe­ssionelle Teams seien längst Alltag an vielen Schulen des Landes. Die Ministerin spricht von mittlerwei­le 355 Sonderpäda­gogen und 280 Schulsozia­larbeitern. »Richtig ist aber, dass dieser Weg weitergega­ngen werden muss«, bestätigt Ernst.

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Foto: dpa/Patrick Pleul Hat sich bewährt: Schulkrank­enschweste­r Annegret Altmann spricht mit der elfjährige­n Leni Klame.

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