Wo Projektoren heimelig klappern
Sachsen-Anhalt: In Ballenstedt bewahrt ein rühriger Verein Kinotechnik, um die er weithin beneidet wird
»Film ab« heißt es regelmäßig im Schloss Ballenstedt (Sachsen-Anhalt). Ein Verein präsentiert dort Kinotechnik auf einer Fläche von 800 Quadratmetern. Fast alle Projektoren könnten sofort genutzt werden. Im Juli 1929 errang auf seiner Jungfernfahrt der deutsche Schnelldampfer »Bremen« das »Blaue Band« – die inoffizielle Auszeichnung für das schnellste Passagierschiff auf der Route Europa – New York. Heute gibt es nur noch Legenden über die »Bremen« – und den seinerzeit hochmodernen Filmprojektor des Schiffes. Er steht in einem Flügel des Ballenstedter Schlosses in Sachsen-Anhalt.
Was Ballenstedt am Nordrand des Harzes für ein Filmtechnikmuseum auf der Riesenfläche von 800 Quadratmetern prädestiniert? Nichts – denn außer dass Ballenstedt gelegentlich Filmlocation dient, sei die Stadt filmisch nicht groß vorbelastet, gestehen Detlef Heydecke und Bernd Tiedeken. Der eine Rentner ist Geschäftsführer des 1999 gegründeten Vereins Schloss und Schlosspark, der andere ist der Vorsitzende. »Wir haben derzeit 45 Mitglieder und betreuen ganzjährig auf dem Schloss das Filmmuseum, zwei weitere Ausstellungen sowie eine kleine Galerie.«
Alles begann mit einem 16-Millimeter-Stummfilmprojektor, den Heinz Stammer zu Weihnachten 1936 geschenkt bekam. Er improvisierte auf dem Dachboden mit der Leinwand aus dem Wäscheschrank der Mutter und lud die Kinder der Nachbarschaft ein. Das Kino, der Film und die Technik wurden für ihn zur wachsenden Leidenschaft und schließlich zum Lebenswerk. Stammer trug eine umfangreiche Sammlung seltener und heute international begehrter Stücke zusammen: Film- und Bildprojektoren, Kameras und Plakate. Im niedersächsischen Hameln, wo Stammer wohnte, ließ sich sein Wunsch, ein Filmmuseum aufzubauen, nicht erfüllen. Eines Tages lernte Ballenstedts Ex-Bürgermeister Wolfgang Gurke in Hameln Heinz Stammer kennen. Der Ballenstedter hielt das Schloss am Harzrand für einen würdigen Ort für die kino- und filmhistorisch bedeutsame Privatsammlung aus Niedersachsen. Und so beherbergt der Nordflügel heute Exponate aus über 100 Jahren Filmgeschichte.
2004 starb Heinz Stammer, 2009 seine Schwester Irmgard Kulp – es entstand eine Stiftung mit dem Na- men der beiden Filmverrückten. »Mit dem Tod eines Sammlers löst sich meistens alles auf, weil die Filetstücke verschwinden«, sagt Heydecke. Stücke, wie der Diaprojektor »Laterna Magica« von 1890, ein »Kurbelkino« von 1920, eine Originalkamera von Tierfilmer Heinz Sielmann, Geräte von Film- und Technikpionieren wie Thomas Alva Edison oder Charles Pathé begeistern in Ballenstedt heute aber weiterhin nicht nur Cineasten. Zu sehen ist auch ein mannshoher 35-MillimeterTonfilmprojektor von 1936.
Zum Filmmuseum Schloss Ballenstedt gehört ein Kinoraum mit 53 Sitzplätzen. »Alle Kinosessel stammen aus aufgelösten Kinos wie dem Studiokino Potsdam«, erklärt Bernd Tiedeken. Das Museumskino ist bei seinen Vorstellungen fast immer ausgelastet, was sowohl am Programm als auch der leicht nostalgischen Atmosphäre liegen dürfte. Tiedeken: »Hier kommt das klassische Kinofeeling auf.« Wer in die blauen Sessel sinkt, erlebt Streifen, die es in großen Kinos eher nicht gibt. Dazu kommt das Klappern beim Laufen der Projektoren.
»Die Filmabende stellen nur einen kleinen Teil der ehrenamtlichen Vereinsarbeit dar. Bei den SchulkinoWochen in Sachsen-Anhalt sitzen hier Hunderte Schüler«, erzählt Bernd Tiedeken. Auch die Kindereinrichtungen der Umgebung nutzen die Angebote. Alte DDR-Märchenfilme und DiaFilmstreifen aus dem Archiv, die per Hand weitergedreht werden, begeistern immer wieder die jüngsten Gäste. »Es ist sowohl möglich, Filme per Computer über einen Beamer an die Wand zu bringen, als auch alte Filmbänder in den alten Formaten anzuschauen«, sagt Detlef Heydecke.
Das Museum gehört längst zu den außerschulischen Lernorten. Allein drei Arbeitsgemeinschaften des heimischen Wolterstorff-Gymnasiums drehen und schneiden hier Filme. Vielleicht lagerten einst an ihrer Schule auch einige der Schätze, auf die das Museum heute stolz ist. Denn es hat den gesamten Bestand von Kreisbildstellen übernommen, die früher Schulen mit Filmen und DiaSerien versorgten: 3000 Medieneinheiten von Biologie über Astronomie bis Physik und Chemie. Darunter 80 Jahre alte Filme ebenso wie originalverpackte Filmdosen. »Wir zeigen auf Wunsch gern den Bio-Hit ganzer Schülergenerationen – die Geburt der Karpfen«, so Tiedeken. Allein der 15Minuten- Schmalfilm lohne schon den Besuch im Ballenstedter Mini-Kino.