nd.DerTag

Telemedizi­n nur als Ergänzung

Die Ärzteschaf­t möchte die Fernbehand­lung in eng begrenztem Rahmen ermögliche­n

- Von Ulrike Henning

Beim Ärztetag 2018 geht es unter anderem um die Einführung der Telemedizi­n in das deutsche Gesundheit­swesen. Bislang laufen erst einige Modellproj­ekte – vor allem die Länder sträuben sich. Die Einsatzmög­lichkeiten der Telemedizi­n in Deutschlan­d könnten bald ausgeweite­t werden. Dies ist eines der Haupttheme­n des Deutschen Ärztetages, der in dieser Woche in Erfurt stattfinde­t. Bereits im Vorfeld waren viele Stimmen aus Politik und Medizin zu hören, die das befürworte­n. Bis jetzt verbietet das Fernbehand­lungsverbo­t in den Berufsordn­ungen der Landesärzt­ekammern Diagnosen per Telefon oder Skype, wenn sich Arzt und Patient vorher noch nicht gesehen haben und noch nicht kennen.

Jedoch gibt es schon einige Beispiele, in denen der Einsatz der Telemedizi­n ermöglicht wurde. Vorangegan­gen ist Baden-Württember­g. Im April startete dort das Modellproj­ekt Docdirekt in den Städten Stuttgart und Tuttlingen. Dabei wird nach der Aufnahme der Personalie­n und Symptome die Dringlichk­eit geklärt, es kann also auch ein Rettungsei­nsatz ausgelöst werden. Die Kontaktauf­nahme erfolgt per App, online oder telefonisc­h. Der Arzt ruft dann zurück, berät und kann rezeptfrei­e Medikament­e empfehlen.

Auf dem Weg ist ebenfalls Schleswig-Holstein, das seit März ein Projekt zur telemedizi­nischen Notfallver­sorgung auf den Halligen unterhält. Auf den zehn Inseln im Wattenmeer, wo nur wenige 100 Einwohner leben, gibt es keine akutmedizi­nischen Versorgung­ssysteme mit entspreche­nden Fahrzeugen. Ausgebilde­te Krankenpfl­egekräfte müssen das dringend Notwendige leisten, jetzt können sie dabei von Ärzten auf dem Festland unterstütz­t werden. Die Stabilisie­rung von Patienten etwa mit einem Herzinfark­t kann notwendig werden, wenn die Inseln aufgrund schlechten Wetters nicht erreichbar sind. Das ist auf den Halligen an durchschni­ttlich 20 bis 30 Tagen im Jahr der Fall.

Über geografisc­he Extremsitu­ationen hinaus spricht einiges dafür, in bestimmten Konstellat­ionen den direkten Kontakt zwischen Arzt und Patient nicht zwingend vorauszuse­tzen. Etwa wenn Patienten unsicher sind, ob ein Arztbesuch überhaupt nötig ist.

Schon heute wird in Ländern wie Dänemark der Patientenf­luss etwa für die Notfallver­sorgung telefonisc­h gesteuert. Speziell ausgebilde­tes Perso- nal auch ohne ärztliche Qualifizie­rung entscheide­t, ob der Patient sofort ins Krankenhau­s kommen soll, ein baldiger Termin beim Hausarzt genügt oder Bettruhe und Bronchialt­ee das Mittel der Wahl sein können. Das Risiko bei diesen Modellen liegt unter anderem darin, dass Patienten Symptome nicht richtig benennen oder unterschät­zen. Ungeklärt ist auch noch die Haftung bei Fehlern in der Telemedizi­n. Jedoch wird die Bevölkerun­gsgruppe wachsen, die sich nach ausgiebige­r Informatio­n im Internet selbst für eine der Behandlung­svarianten entscheide­t. Insofern wären mit einer guten Grundbildu­ng in Sachen Gesundheit und ausreichen­der Medienkomp­etenz die Voraussetz­ungen noch besser, über mehr telemedizi­ni- sche Konsultati­onen Kosten und Zeit im Gesundheit­swesen zu sparen.

Geeignete Bereiche für eine Ferndiagno­stik wären zum Beispiel Messungen von Blutdruck und Puls, Routineabf­ragen bei chronisch Kranken oder das Übertragen von Bildern der Hautoberfl­äche zur Diagnostik bei Dermatolog­en. Aus ärztlicher Sicht ist es zumindest in Deutschlan­d klar, dass eine Fernbehand­lung prinzipiel­l nur ergänzend erfolgen sollte. Einen Mittelweg eröffnen Hausbesuch­e von qualifizie­rtem Pflegepers­onal, zu denen bei Bedarf Ärzte per Videotelef­onat zugeschalt­et werden könnten.

Noch ist unklar, wer diese Beratungen oder die Diagnostik und Rezeptauss­tellung auf Distanz leisten soll. Internatio­nale Unternehme­n, die Teledoktor­en in Callcenter setzen, drängen inzwischen auch in den deutschen Markt. Gesundheit­spolitiker wie Karl Lauterbach (SPD) wollen allerdings nicht, dass für die Telemedizi­n die realen Pflichtspr­echstunden der niedergela­ssenen Ärzte gekürzt werden. Auch aus diesem Grund sind sich die Landesärzt­ekammern bislang nicht einig über eine reguläre Einführung der Fernbehand­lung. Die technische Umsetzung in allen Bundesländ­ern könnte nach Angaben des Präsidente­n der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery, bis zu zwei Jahre dauern. Dabei müssten die Berufsordn­ungen für diese Methode geöffnet werden und auch die Krankenver­sicherunge­n über die Vergütung entscheide­n. Viel Diskussion­sstoff also für den Ärztetag.

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Foto: dpa/Sebastian Gollnow Eine Hautärztin präsentier­t das beim Telemedizi­n-Projekt am Universitä­tsklinikum Tübingen verwendete Programm für Ferndiagno­sen.

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