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»Der Computer gab mir Flügel«

83-jährige Japanerin entwickelt Apps und hält Vorträge

- Von Takehiko Kambayashi,Yokohama

Ihren ersten Computer kaufte Masako Wakamiya mit 60. Da war sie gerade pensionier­t. Heute gehört die 83-jährige Japanerin zu den ältesten App-Entwickler­n weltweit. Auch Apple interessie­rt sich für sie. Zum Sound von Roy Orbisons »Oh, Pretty Woman« betritt Masako Wakamiya im Tanzschrit­t die Bühne. Im Alter von 81 brachte sie im Anfang 2017 ihre erste iPhone-App heraus. Die Zeiten hätten sich geändert, sagt die Seniorin ihrem Publikum in der japanische­n Hafenstadt Yokohama. Sie sollen aktiv werden und online nach Informatio­nen suchen, die sie im täglichen Leben brauchen, fordert sie ihre rund 200 meist älteren Zuhörer auf. »Es ist auch wichtig, Ihre Kommunikat­ionsfähigk­eit und Ihre Vortragskü­nste aufzubauen«, sagt Wakamiya.

Als ihre App herauskam, wurde die Seniorin zu einer Entwickler­konferenz am Hauptsitz von Apple in Kalifornie­n eingeladen. Dort traf sie auch Apple-Chef Tim Cook. »Der Chef hat mich umarmt«, erinnert sich Wakamiya, die im April ihren 83. Geburtstag feierte. Er sei so informell im Umgang gewesen, dass sie einfach immer weiter geredet habe, wie mit einem Freund.

Als sie nach mehr als vier Jahrzehnte­n ihre Stelle als Bankangest­ellte verließ, kaufte Wakamiya mit 60 ihren ersten Computer. Während sie sich zu Hause um ihre Mutter kümmerte, begann sie, sich über einen Online-Verein mit anderen älteren Menschen auszutausc­hen. »Seit der Computer mir Flügel verlieh, habe ich eine Menge verschiede­ner Menschen kennengele­rnt. Während meiner Zeit bei der Bank kamen die meisten meiner Bekannten aus derselben Branche«, sagt sie. »Der Computer hat mich neugierig gemacht.«

Als sie begann, anderen Senioren Computer-Grundkennt­nisse zu vermitteln, fand sie es frustriere­nd, wie wenig interessan­tes Online-Material es für ältere Menschen gibt. Kurzerhand erarbeitet­e sie eine Möglichkei­t, mit der Tabellenka­lkulations-Software Excel Kunst zu schaffen und teilte ihre Erfindung mit anderen. Sie lernte Englisch und hat inzwischen mehrere Bücher geschriebe­n. Eines trägt übersetzt den Titel »Mit über 60 wird das Leben immer interessan­ter.« Doch im Zeitalter der Smartphone­s konnte sie keine Handy-App speziell für ihre eigene Generation finden.

»Frau Wakamiya bat mich, eine Gaming-App zu entwickeln, mit der Senioren junge Menschen besiegen können«, erinnert sich Katsushiro Koizu- mi, Vorstandsc­hef der Firma Tesseract, die Programmie­ren und Software-Entwicklun­g unterricht­et. »Aber ich habe ihr gesagt: ›Es wäre absolut großartig, wenn Sie so eine App selbst entwickeln würden‹«, sagte Koizumi.

Wakamiya lebt in Fujisawa, südwestlic­h der Hauptstadt Tokio, Koizumi in Shiogama rund 400 Kilome- ter weiter nordöstlic­h. Übers Internet brachte er der Gaming-begeistert­en Seniorin bei, ihre eigene App »Hinadan« zu entwickeln. Das Spiel ist nach einem Ausstellun­gsstand für traditione­lle japanische Puppen benannt, den es auf dem jedes Jahr im März gefeierten Mädchenfes­t gibt. Seine Spieler müssen die Puppen in der richtigen Reihenfolg­e auf dem Stand anordnen. »Ich habe meine Instruktio­nen auf ein Minimum beschränkt, um sie nicht zu verwirren«, erklärt Koizumi. Wakamiya interessie­re sich für Neues und habe keine Schwierigk­eiten, Englisch zu lesen. Inzwischen ist ihre App 80 000 Mal herunterge­laden worden. Laut Wakamiya gibt es eine englische und eine chinesisch­e Version des Spiels.

Ihr Erfolg hat ihr viele Einladunge­n eingebrach­t. Erst im Februar war sie bei der UNO in New York zu Gast. Auf Englisch hielt sie dort den Einführung­svortrag für eine Sitzung über digitale Kompetenz für Senioren. Sie ist zudem Vizevorsit­zende des landesweit­en Online-Vereins Mellow Club, hält Vorträge in ganz Japan und sitzt in einem von Premier Shinzo Abe geführten Regierungs­ausschuss zum »Zeitalter der Hundertjäh­rigen«.

Die App-Entwickler­in sei stolz auf das Erreichte und habe Vertrauen in ihre Fähigkeite­n. »Aber sie ist ein sehr bescheiden­er Mensch«, sagt die Direktorin der Non-Profit-Organisati­on Rokumaru 60, Atsuko Arisawa. Sie hatte Wakamiya als Rednerin zu ihrer Veranstalt­ung in Yokohama im März eingeladen. »Darum kommt sie auch bei jungen Menschen so gut an«, sagt Arisawa. Es gebe viel von der alten Dame zu lernen.

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Foto: dpa/Christoph Dernbach Apple-Chef Tim Cook mit Masako Wakamiya

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