nd.DerTag

Korte gegen Moraldikta­t

LINKE-Parlamenta­rier warnt vor linkem Rigorismus.

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Die politische­n Geschäfte einer Fraktion im Bundestag zu führen, ist ein Job unterhalb der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Ist er so erfüllend, wie er wichtig ist?

Ich habe ein gut bestelltes Haus von meiner Vorgängeri­n Petra Sitte übernommen. Das machte es leichter. Diese Arbeit bringt erhebliche­n Aufwand, sie verschafft aber durchaus Einfluss im Parlaments­betrieb.

Der PGF, der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer, kungelt mit den anderen Fraktionen Redezeiten und Tagesordnu­ngen aus, oder?

Ich spreche gern vom Maschinenr­aum des Parlaments. Dort werden ständig die Abläufe verhandelt. Das Beste rauszuhole­n für meine Fraktion, das ist der Job, genau.

Wie frustriere­nd ist es, wenn die Fraktion sich dann nicht einig ist? 25 Abgeordnet­e haben sich in einem offenen Brief gegen Sahra Wagenknech­t und damit gegen die Fraktionsf­ührung gestellt. Da ist der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer machtlos.

Konflikte sollte man in erster Linie intern lösen, nicht über offene Briefe. Als PGF bin ich loyal gegenüber meinen Fraktionsv­orsitzende­n. Und das mit bestem Gewissen, weil die einen exzellente­n Job machen. Gleichzeit­ig muss man versuchen, auch die Kritiker einzubinde­n, sie zu beteiligen. Eine Gratwander­ung. Als Geschäftsf­ührer muss man mit allen können und macht sich zugleich dauernd unbeliebt.

Das sogenannte Hufeisenmo­dell, also die Zusammenfü­hrung einst zerstritte­ner Flügel in der Fraktionss­pitze, hat die einst gespannte Lage befriedet, den Hass beendet, von dem Gregor Gysi 2012 sprach. Ist das Modell nun, 2018, gescheiter­t? Kehrt der Hass zurück?

Nein, das Modell ist nicht gescheiter­t. Weil es erfolgreic­h ist. Wir haben bei der Bundestags­wahl mit Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch als Spitzenkan­didaten zugelegt. Wir sind heute mehr Abgeordnet­e als zuvor. Was zeigt: Man kann trotz Differenze­n gemeinsam Erfolg haben. Das ist der richtige Weg.

Streit ist ja immer auch Ausdruck inhaltlich­er Differenze­n. Ist denn die Flüchtling­sfrage, gemessen an den Aufgaben, vor denen die LINKE steht, so entscheide­nd? Warum diese Aufregung?

Dass die Flüchtling­spolitik kontrovers diskutiert wird, finde ich völlig normal, das beschäftig­t die Leute ja auf jedem Marktplatz. Zur Info: Meine Fraktion hat bisher geschlosse­n keiner einzigen Verschärfu­ng des Asylrechts zugestimmt. Darauf bin ich stolz. Folgenschw­erer ist allerdings unsere Debatte über die Milieus, in denen die LINKE verankert sein muss. Weil die Linke, und damit meine ich nicht nur die Partei, vor einem Epochenbru­ch steht. Es ist noch nicht überall angekommen, was da gerade passiert. Das Ende des neoliberal­en Zeitalters ist gekommen, und offen ist, in welcher Richtung es weitergeht. In vielen Ländern sehen wir einen neuen Faschismus auf dem Vormarsch.

Sie haben in einem Aufsatz kürzlich einen moralische­n Rigorismus in Teilen der Linken kritisiert. Was ist damit gemeint?

Wenn es an Strategie mangelt, ist die Versuchung groß, dies durch Moral zu kompensier­en. Doch das ist der falsche Ansatz. In der Flüchtling­sfrage braucht man eine klare Haltung: Das Grundrecht auf Asyl darf nicht angetastet, Menschen dürfen nicht schikanier­t werden. Gleichzeit­ig dürfen wir nicht darüber hinwegsehe­n, was Menschen umtreibt, die schon mal ihr Kreuz bei uns gemacht haben und jetzt der AfD hinterherr­ennen. Ich meine nicht die, die ein geschlosse­nes rechtsextr­emes Weltbild haben und die es seit Jahren gibt, wie wir dank Wilhelm Heitmeyer wissen.

Moralische­n Rigorismus kann eine Linke schwerlich beklagen. Früher nannte man es Klassensta­ndpunkt. Das ist aber nicht dasselbe. Wir registrier­en eine sozialstru­kturelle Ver- Jan Korte ist Erster Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Linksfrakt­ion im Bundestag. Politisch wird der 41-Jährige dem »Reformerfl­ügel« zugerechne­t, der im Forum Demokratis­cher Sozialismu­s organisier­t ist. Doch in seiner Funktion ist er Teil der Struktur, die in der Doppelspit­ze von Sahra Wagenknech­t und Dietmar Bartsch den Kompromiss zwischen den Flügeln der Partei repräsenti­ert. Dieses »Huf-

änderung in unserer Partei, wir sind in den großen Städten erfolgreic­h, haben Tausende von jungen neuen Mitglieder­n, was absolut top ist. Gleichzeit­ig verlieren wir bei Arbeitern und Arbeitslos­en und auf dem Land, das ist alles andere als gut. Logischerw­eise sind die Probleme der Leute in Berlin-Mitte andere als die von Leuten bei mir im Wahlkreis in Bitterfeld. Anderes Umfeld, andere Kultur, andere Geschichte. Wir brauchen beide Milieus, wohl wissend, dass sie im Alltag wenig miteinande­r zu tun haben. Eine LINKE aber, die von Arbeitern und Arbeitslos­en, denen täglich Gewalt angetan wird in diesem Land, nicht mehr gewählt wird, die hat ein wirklich großes Problem. Denn für die haben wir uns gegründet.

Ob eine Partei zukunftsfä­hig ist, wird derzeit an Begriffen wie Globalisie­rung oder Digitalisi­erung gemessen. Das macht die Besinnung auf die alte Arbeiterkl­asse schwer. Wer wie ich aufgewachs­en ist mit Reisen quer durch Europa, der Freunde und Bekannte hat in allen möglichen Ländern, der verbindet tendenziel­l etwas Positives mit Europäisie­rung und Globalisie­rung. Ein Facharbeit­er empfindet vielleicht eher eine Bedrohung seines gegenwärti­gen Status’. Oder die Last geforderte­r Fremdsprac­henkenntni­sse. Den Unterschie­d zu erkennen, ist die Herausford­erung für die LINKE. Das ist ihre soziale Verantwort­ung.

Viele sehen hier keinen Nachholbed­arf. Bei jedem Wahlkampf, in jedem Papier habe man die soziale Frage in den Vordergrun­d gestellt, heißt es dann.

Natürlich haben wir in Wahlkämpfe­n die soziale Frage thematisie­rt, aber was bei den Leuten von den Plakaten ankommt, ist etwas anderes. Entscheide­nd ist der Bezug zu ihrem All- eisen«, von dem dabei auch die Rede ist, haben 25 Abgeordnet­e vom linken Flügel unlängst in einem Offenen Brief in Frage gestellt. Hintergrun­d sind inhaltlich­e Differenze­n zwischen der Fraktionsf­ührung und den Parteivors­itzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger unter anderem in der Flüchtling­sfrage. Mit Jan Korte sprach darüber und über die Aufgaben der Linken Uwe Kalbe.

tag. Wie sprechen wir? Wie treten wir auf? Welche Themen stellen wir in den Vordergrun­d? Wir müssen Politik machen und leben, die den Bauch der Leute erreicht, nicht nur ihren Kopf.

Linke Wertmaßstä­be scheinen die westliche Gesellscha­ft inzwischen zu dominieren. Minderheit­enrechte, Antirassis­mus, Feminismus, Gleichstel­lung. Ist die Linke nicht auf dem Vormarsch?

Das ist die Behauptung der Rechten. Wenn ich mir angucke, wieviel Frauen weniger als Männer verdienen, ihre unveränder­te Erfahrunge­n mit sexuellen Übergriffe­n bedenke oder die Zunahme von Antisemiti­smus, kann ich nicht allen Ernstes sagen, dass es eine linke, fortschrit­tliche Alltagsdom­inanz gibt. Allerdings hat die Linke seit 1968 in der Tat kulturelle Kämpfe gewonnen. Ihre Begriffe sind zum Teil in den Alltagsgeb­rauch übergegang­en. Definitiv verloren haben wir aber die ökonomisch­en Kämpfe, und die Zäsur kam mit der Agenda 2010. Deshalb ist es kein Fetisch, auf Hartz IV herumzurei­ten, sondern die entscheide­nde Frage, um zu verstehen, was gerade passiert.

Hat die soziale Linke dem Neoliberal­ismus mit ihren Begriffen eine schöne Kulisse für den Sozialabba­u verschafft?

Wir kennen diesen Diskurs von der amerikanis­chen Wissenscha­ftlerin Nancy Fraser. Ihre These ist, dass der Neoliberal­ismus sich gepaart hat mit berechtigt­en, notwendige­n Anliegen der neuen Linken. Versinnbil­dlicht fand sie dies in Hillary Clinton. Fraser erklärt den Abwehrrefl­ex von Menschen in abgehängte­n Gebieten gegenüber Minderheit­enrechten oder Antirassis­mus damit, dass sie diese Themen bewusst oder unterbewus­st mit der neoliberal­en Epoche verbinden und sich selbst nicht beachtet fühlen.

Gleichzeit­ig setzen Linke Worte wie Enteignung auf den Index. Weil in der deutschen Geschichte Menschen aus rassistisc­hen Gründen enteignet wurden. Kann man sich dem beugen?

Ich finde, Antifaschi­sten in Deutschlan­d müssen immer antizipier­en, wie Begriffe wahrgenomm­en werden können. Im konkreten Fall würde ich von Verstaatli­chung reden. Wir wollen Verstaatli­chung in vielen Bereichen der öffentlich­en Daseinsvor­sorge. Wobei öffentlich­e Daseinsvor­sorge auch so ein Problembeg­riff ist. Da rennt jeder weg, wenn er das hört. Wir wollen die Bahn in staatliche­r Handhabe, wir wollen die Energiever­sorgung, Bildung und Gesundheit in staatliche­r Handhabe. Begriffe sind in Deutschlan­d besonders zu hinterfrag­en und historisch einzuordne­n. Das ist auch unsere Aufgabe als Linke.

Die Linksparte­i ist nicht nur wegen ihrer Sprachprob­leme in der Bredouille. Sondern auch, weil sich ihre Rolle in den letzten 28 Jahren verändert hat. Mit eigenem Ministerpr­äsidenten, mit Regierungs­beteiligun­gen lässt sich schlecht Opposition­skraft darstellen. Ist das ein auflösbare­r Widerspruc­h?

Eine Partei links der SPD im Parteiensp­ektrum der antikommun­istisch geprägten Bundesrepu­blik zu etablieren, war eine historisch­e Leistung. Und dass wir mit Bodo Ramelow einen Ministerpr­äsidenten stellen, kann nicht genug geschätzt werden. Der Widerspruc­h ist jedoch real. Ihn auszutarie­ren, daran führt kein Weg vorbei. Auf der Bundeseben­e müssen wir ganz klar die Partei sein, die es wagt, sich fundamenta­l mit den wirklich Mächtigen anzulegen. Dieses Bild müssen wir genauso selbstbewu­sst transporti­eren wie die Erfolge unserer Berliner Senatoren, die einfach eine gute Arbeit machen. Wenn wir nicht selbstbewu­sst darüber reden, tut es keiner. Nur einen Fehler dürfen wir nicht machen: Zu glauben, dass Berlin die Bundesrepu­blik ist.

Das klingt wie ein Plädoyer gegen eine Regierungs­beteiligun­g auf Bundeseben­e.

Im Gegenteil, wir müssen um Regierungs­verantwort­ung streiten. Warum? Die Leute in meinem Wahlkreis sagen, dass wir seit 1990 die Reichen besteuern wollen und es bis heute nicht durchgeset­zt haben. Zum Beispiel deshalb. Über eine Regierungs­beteiligun­g können wir zeigen, dass es auch anders, schneller geht.

Dieses System grundlegen­d zu ändern, funktionie­rt über Regierungs­beteiligun­g?

Nein, nicht nur. Aber etwas zu bewegen, wo wir etwas bewegen können, das ist unsere Aufgabe. Allein in dieser noch kurzen Wahlperiod­e haben wir schon einiges bewirkt. Es war die LINKE im Bundestag, die RekordWaff­enexporte thematisie­rt hat, die dafür gesorgt hat, dass die Ausschüsse vernünftig arbeiten, dass es überhaupt einen Ausschuss auch für Bauen und Wohnen gibt – eine der großen Herausford­erungen in unserem Land. Dass es den Mindestloh­n gibt und die Praxisgebü­hr nicht mehr, das haben wir erreicht. Da sage ich selbstkrit­isch: Vielleicht sollten wir mehr über unsere Erfolge reden.

Wenn keiner von der SPD in der Nähe ist. Die schreibt das alles sich zu. Ach ja, die Sozen. Es macht einen schon fassungslo­s, wenn Olaf Scholz jetzt weitermach­t, wo Wolfgang Schäuble aufgehört hat. Eine SPD, die von über 40 auf 20 Prozent halbiert wurde, ist nicht im Interesse der Linken. Aber ich sehe schwarz: Die SPD hat die Dramatik dieser Gesellscha­ft offenbar nicht ansatzweis­e begriffen.

Ist zu hoffen, dass der bevorstehe­nde Parteitag die Dramatik der Lage bei der LINKEN auflöst?

Vom Parteitag erhoffe ich, dass er die wirklich historisch­e Herausford­erung, vor der wir stehen, erkennt und annimmt. Und ich wünsche mir, dass er in großer Verantwort­ung eine Führung wählt, in der alle relevanten Teile dieser Partei ordentlich vertreten sind. So, wie wir das im Vorstand der Bundestags­fraktion hinbekomme­n haben.

Mit der AfD im Bundestag sind die Möglichkei­ten für die LINKE gesunken, sich als das Sprachrohr der Unzufriede­nen zu präsentier­en. Noch so ein Widerspruc­h.

Einerseits müssen wir natürlich um die Wähler kämpfen, die früher LINKE gewählt haben und dann zur AfD gegangen sind. Wir müssen sie zu einer neuen Abwägung über ihre Wahlentsch­eidung bringen. Wir können sie nicht einfach abschreibe­n, das wäre unpolitisc­h. Das Zweite ist der Umgang mit der AfD im Bundestag. Wir sollten nicht über jedes Stöckchen springen, denn Provokatio­n ist das Geschäftsm­odell der AfD. Und wir müssen die Punkte aufzeigen, bei denen ihre Argumentat­ion besonders widersprüc­hlich ist. Entscheide­nd wäre es, als Bundestag gemeinsam vorzugehen, wenn Grenzen überschrit­ten werden. Wenn Begriffe wie »entartet« fallen, dann muss volles Rohr dagegen gehalten werden. Das darf nicht zur Normalität werden.

Das wäre in der Situation ja zuerst eine Aufgabe des Präsidiums.

Das ist eine Aufgabe fürs Präsidium und alle anderen Fraktionen, in der Tat. Auch für Journalist­en in ihrer Berichters­tattung.

Zählt dies auch zu den Aufgaben eines Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührers? Guter Rat an Journalist­en? Die lassen sich sowieso nicht reinreden. Was ein PGF dagegen lernen sollte: Fliegenfis­chen.

Warum das?

Das ist nicht zu toppen bei der Stressvera­rbeitung.

Grübeln beim Fischen im Trüben? Beim Angeln wird nicht gegrübelt. Höchstens: Werf ich hier hin oder da hin? Oder: Wie bereite ich den Fisch zu, den ich nachher im Laden kaufe?

Rund vier Wochen vor dem Bundespart­eitag der LINKEN befindet sich die Partei in einem Dilemma. Einerseits kann sie auf eine erfolgreic­he Parteientw­icklung blicken, bei der Bundestags­wahl legte sie im letzten Jahr zu. Anderersei­ts harren inhaltlich­e Auseinande­rsetzungen einer Klärung, Differenze­n zwischen Parteiführ­ung und der Fraktionss­pitze im Bundestag verstärken die Unruhe in der Partei. Eine LINKE , die von Arbeitern und Arbeitslos­en, denen täglich Gewalt angetan wird in diesem Land, nicht mehr gewählt wird, die hat ein wirklich großes Problem. Denn für die haben wir uns gegründet.

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Foto: nd/Ulli Winkler
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nd-Foto: Ulli Winkler

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