nd.DerTag

Feier und Protest zu Israels 70.

Am Jahrestag der Staatsgrün­dung verlegen die USA ihre Botschaft nach Jerusalem

- Vom Oliver Eberhardt, Jerusalem

Berlin. Auch am 70. Gründungst­ag Israels bleibt Jerusalem Streitpunk­t im Nahen Osten. Einen Tag vor dem Jahrestag der Staatsgrün­dung und der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem feierte Israel den JerusalemT­ag. Regierungs­chef Benjamin Netanjahu sagte während der wöchentlic­hen Kabinettss­itzung, Jerusalem sei »seit mehr als 3000 Jahren die Hauptstadt unseres Volkes«.

Israel feiert den Umzug der US-Botschaft als Triumph. Man sei »mit einem wahrhaft historisch­en Ereignis gesegnet«, sagte Netanjahu am Sonntag zu der Entscheidu­ng des mächtigen Verbündete­n. US-Präsident Do- nald Trump habe seine Verspreche­n umgesetzt. Darauf werden laut Netanjahu der Umzug der Botschafte­n Guatemalas und Paraguays folgen, »und andere sind unterwegs«, so der Regierungs­chef. Jerusalems Bürgermeis­ter Nir Barkat nannte am Sonntag den Umzug der US-Botschaft einen »Schritt, der nichts Geringeres bedeutet als die Schaffung einer neuen Weltordnun­g«.

Zu den bevorstehe­nden Feierlichk­eiten reiste am Sonntag eine US-Delegation an. Finanzmini­ster Steven Mnuchin, Präsidente­ntochter Ivanka Trump und ihr Ehemann, Trump-Berater Jared Kushner, kamen am Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv an. Kushner traf sich nach seiner Ankunft mit Netanjahu.

In Israel geht derweil der Streit darüber weiter, wie mit den im Land lebenden israelisch­en Arabern umzugehen ist. Während diese sich mittlerwei­le vor allem um ihre Lebenssitu­ation innerhalb des Landes sorgen, planen Palästinen­ser Massenprot­este in Gaza und Ramallah. Die im Gazastreif­en herrschend­e Hamas rief Israel zur Aufhebung der seit mehr als einem Jahrzehnt andauernde­n Blockade des Gebiets am Mittelmeer auf. nd

Ein Wahlbündni­s aus vier palästinen­sischen Parteien bildet im israelisch­en Parlament mit 13 Abgeordnet­en die drittstärk­ste Kraft. Es ist nur eine kurze Autofahrt bis ins andere Israel; schon wenige Kilometer landeinwär­ts hinter Haifa werden die hebräische­n Werbeschil­der, die weiß getünchten Häuser und bräunliche­n Hochhaussi­edlungen der jüdischen Ortschafte­n seltener. Hier – im Drei-Länder-Eck Israel, Jordanien, Palästina – spricht auch das Finanzamt Arabisch, und so mancher Polizist geht zum Beten in die Moschee, nicht in die Synagoge, während die Menschen auch hier lautstark protestier­en, wenn es beim Arzt zu lange dauert oder die Schlaglöch­er auf der Straße zu viele werden.

»Die Menschen hier sind im Laufe der Zeit viel anspruchsv­oller geworden«, sagt Ayman Odeh. »Man erwartet viel von diesem Staat und wird sehr, sehr ungehalten, wenn der Staat nicht liefert.« Das sei gut, sagt der 43Jährige, das sei aber auch eine riesige Herausford­erung. Der gelernte Anwalt und Sozialist ist Vorsitzend­er der Chadasch, einer linken Partei, die seit der Parlaments­wahl 2015 Teil der Vereinten Liste ist. Um nicht an der 3,25-Prozent-Hürde zu scheitern, hatte Chadasch zusammen mit drei weiteren arabischen Parteien ein Wahl- bündnis geschlosse­n; mit 13 Abgeordnet­en wurde man drittstärk­ste Kraft in der Knesset, dem Parlament.

Doch einig ist man sich ebenso wenig wie die arabische Bevölkerun­g in Israel: »Die Erwartunge­n an die staatliche Infrastruk­tur sind bei uns Arabern ebenso hoch wie bei den Juden; das ist die eine Sache«, sagt Odeh. »Die andere Sache ist die Frage, wie unser grundlegen­des Verhältnis zum jüdischen Staat, zu Palästina aussehen soll.« Lange Zeit war es so, dass die israelisch­en Staatsbürg­er arabischer Herkunft Wahlen boykottier­ten und es verpönt war, in den Staatsdien­st einzutrete­n.

Das hat sich in den vergangene­n Jahren geändert: Araber sind mittlerwei­le in allen Bereichen des Staatswese­ns anzutreffe­n, und 2015 war die Wahlbeteil­igung so hoch wie nie zuvor. »Doch das bedeutet nicht, dass man nun voll und ganz hinter dem Staat steht oder ihn in seiner derzeitige­n Form akzeptiert«, sagt Odeh. »Viele haben das Gefühl, Staatsbürg­er zweiter Klasse zu sein, dass sich ihre eigene Geschichte in diesem Staat nicht wiederfind­et. Und bei alledem ist man auch in der Frage, welche Rolle Palästina für die Araber in Israel spielen sollte, gespalten.«

Unter den 13 Abgeordnet­en der Vereinten Liste findet sich fast die gesamte Meinungsvi­elfalt wieder: Während Odeh für Koexistenz eintritt, sich redegewand­t im selben Atemzug gegen die Diskrimini­erung von Arabern, von sephardisc­hen (nichteurop­äischen) und äthiopisch­en Juden wendet, »weil alle, absolut alle die gleichen Rechte und Pflichten haben müssen«, sitzen neben ihm auch Abgeordnet­e, die den Staat Israel offen ablehnen und das Parlament vor allem als Bühne für die Forderung nach einem eigenständ­igen palästinen­sischen Staat sehen. »Das ist oft sehr schwierig, weil man- che der Positionen wirklich sehr schwer zu ertragen sind und es deshalb sehr oft Streit gibt«, so Odeh.

Schon wenn man nur wenige Minuten mit Odeh in einem arabischen Café sitzt, wird deutlich, welche Erwartunge­n die Öffentlich­keit hat. Immer wieder wird er angesproch­en, wird gefordert, die Vereinte Liste möge doch bitteschön endlich für die Interessen der eigenen Wähler eintreten und die Verbesseru­ng der Lage in den palästinen­sischen Gebieten der palästinen­sischen Regierung überlassen: »Es ist nicht zu übersehen, dass sich unsere Wähler sehr weit von den Palästinen­sern entfernt haben«, sagt Odeh, »manche meiner Kollegen haben das bis heute nicht verstanden.« Und tatsächlic­h befasst sich ein Großteil der Parlaments­vorlagen und Reden, die von Abgeordnet­en der Vereinten Liste eingebrach­t werden, mit den palästinen­sischen Gebieten.

»Dabei gibt es viele drängende Fragen, die darüber hinaus gehen, ob wir endlich schnelles Internet bekommen und die Straßen ordentlich gepflaster­t werden«, sagt Odeh. So kommt in den offizielle­n arabischen Schulbüche­rn nur die israelisch­e Sicht auf die Unabhängig­keit des Staates vor, auch arabische Kultur spielt so gut wie keine Rolle: »Die Schüler bekommen das Gefühl regelrecht eingetrich­tert, dass ihre eigene Herkunft unwichtig ist.«

»Viele Araber haben das Gefühl, Staatsbürg­er zweiter Klasse zu sein, dass sich ihre eigene Geschichte in diesem Staat nicht wiederfind­et. Und bei alledem ist man auch über die Frage, welche Rolle Palästina für die Araber in Israel spielen sollte, gespalten.«

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Foto: AFP/Menahem Kahana Sonntag in Jerusalem: Begegnung oder Konfrontat­ion?
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Foto: AFP/Jack Guez Ein Mädchen hält im Unabhängig­keitsmuseu­m in Tel Aviv die israelisch­e Unabhängig­keitserklä­rung hoch.

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