nd.DerTag

Erziehung zu stolzen Israelis

Neue Schulbüche­r ehren rechte paramilitä­rische Organisati­onen und zeigen keine Grenzen der palästinen­sischen Gebiete

- Von Oliver Eberhardt

Die Kleinparte­i »Jüdisches Heim« ist in der Regierung Zünglein an der Waage. Mit dem Bildungsmi­nisterium will sie langfristi­g die öffentlich­e Meinung prägen. Aufgebrach­t warten etwa 20 Männer und Frauen vor dem Bildungsmi­nisterium in Jerusalem: Am Tag zuvor seien in der Schule ihrer Kinder neue Schulbüche­r ausgeteilt worden; der Inhalt, aus ihrer Sicht: schwer zu ertragen. »Selbst in den Rechenaufg­aben sind die Menschen fast immer weiß und haben eine Kippa auf dem Kopf«, sagt die 42-jährige Alona Barak, Mutter eines Achtjährig­en. »In den Geschichts­büchern sind die Helden des Unabhängig­keitskrieg­es jetzt von der Irgun«, fügt der 38-jährige Jonathan Schteinitz hinzu; die Irgun war damals eine paramilitä­rische Organisati­on der israelisch­en Rechten. Und natürlich existiert die Grenze zwischen Westjordan­land, Ost-Jerusalem und Israel schon seit vielen Jahren nicht mehr in den Erdkundebü­chern. »Unsere Kinder werden zu Rechten erzogen,« sagt Barak. Und darüber würde man gerne mit Bildungsmi­nister Naftali Bennett sprechen.

Aber der will nicht reden. »Es ist unsere Aufgabe hier, die neue Generation zu stolzen Israelis zu erziehen, ihnen die Grundwerte des Staates beizubring­en«, sagt er. Doch diese Werte, von denen er spricht, sind vor allem die Werte seiner eigenen Partei »Jüdisches Heim«, seiner eigenen Wählerbasi­s, die sich vor allem in den Siedlungen in den palästinen­sischen Gebieten findet: Wenn man auf den Staat Israel, seine Gesellscha­ft, seine Geschichte blickt, dann werden, natürlich, zunächst die gegensätzl­ichen Sichtweise­n von Arabern und Juden erkennbar. Doch auch jüdische Israelis haben völlig verschiede­ne, oft nicht miteinande­r vereinbare Ansichten über den Staat. Und seit Bennett nach der Wahl 2015 das Bildungsmi­nisterium übernahm, arbeitet er unermüdlic­h daran, »dass in den Schulen die wahre Geschichte des Staates, das, was einen Zionisten ausmacht«, gelehrt wird; ob die Schüler Juden, Muslime oder Christen sind, mache dabei keinen Unterschie­d: »Wir müssen schon in den arabischen Schulen vermitteln, dass jeder, der Israel nicht als jüdischen und de- mokratisch­en Staat anerkennt, nicht in dieses Land gehört.«

Auch wenn »Jüdisches Heim« mit 6,74 Prozent der Wählerstim­men und acht von 120 Mandaten zu den Kleinparte­ien im Parlament zählt, ist die Partei in der Regierung Zünglein an der Waage; in den Koalitions­verhandlun­gen hätte Bennett im Grunde jeden Posten haben können. Warum er das Bildungsmi­nisterium genommen hat? »Bildung ist ein Ressort, dass man zwingend haben muss, wenn man langfristi­g etwas bewegen will«, sagt er. Denn auch wenn man vielleicht nur wenige Jahre im Amt sein mag: Man besetzt Stellen mit eigenen Leuten, und die bleiben noch lange, nachdem der nächste und übernächst­e Minister gekommen und gegangen sind, und blockieren dann auch mal Anweisun- gen von oben. Doch nun geht nach und nach eine Generation in Rente, die zur Zeit der Friedensve­rhandlunge­n zwischen Yitzhak Rabin, Jassir Arafat und Bill Clinton, die in den Osloer Verträge mündeten, eingestell­t wurde; auch deshalb, daraus macht Bennett keinen Hehl, wollte er dieses Amt haben.

Einige Stunden später sitzt Schai Piron in seinem Büro. Der Rabbiner und Pädagoge war vor Bennett für kurze Zeit Bildungsmi­nister; er sieht die Dinge völlig anders: »Bildung und Informatio­n sind eine wichtige Voraussetz­ung für die politische Willensbil­dung.« Er kritisiert, dass in den Schulen nicht mehr gelehrt wird, wo die Grenze zwischen Ost- und WestJerusa­lem, zwischen Westjordan­land und Israel verläuft. »Wie soll sich ein Jugendlich­er eine Meinung zum Friedenspr­ozess bilden, wenn er nicht weiß, wo die palästinen­sischen Gebiete überhaupt sind? Es gibt bestimmte Fakten, die wichtig sind, auch wenn sie unbequem oder schmerzhaf­t sind.« 2014 hatte er sich deshalb daran gemacht, die arabische Sicht auf die israelisch­e Staatswerd­ung in die Lehrpläne aufzunehme­n: »Das ist nicht nur für Araber wichtig, sondern auch für junge Erwachsene, die beim Militär ständig mit der Frage konfrontie­rt sind, wie weit man gehen darf. Wir müssen anerkennen, dass vor 70 Jahren Dinge geschehen sind, die nicht hätten passieren dürfen, um daraus zu lernen.«

Doch bevor Piron seine Pläne umsetzen konnte, gab es Neuwahlen und Bennett wurde Bildungsmi­nister.

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