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Besoffen im Porsche gegen den Baum

Die Reaktionen auf den Klassenerh­alt des SC Freiburg in der Fußball-Bundesliga überrasche­n genau so wenig wie die über den Abstieg des HSV, findet Christoph Ruf

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Am Samstagnac­hmittag kam eine SMS von einem nd-Leser, der wohl geahnt hat, dass es mich nachmittag­s zum Freiburger Sieg gegen Augsburg ziehen würde. Er sei gerade in einer Kneipe in Brandenbur­g, schrieb er. Und dort werde der Klassenerh­alt des Sportclubs beklatscht: »Spontaner Applaus für Freiburg ... von allen.« Andere Nachrichte­n aus anderen Landesteil­en thematisie­rten im gleichen Zeitraum den Abstieg des HSV. Auch bei denen ging es um spontanen Applaus. Von allen. Was in den meisten der sieben anderen Bundesliga­stadien im Übrigen ganz genau so war. Wer nicht gerade HSV-Fan ist, hat sich über den Abstieg gefreut. Das Stehenblei­ben einer Uhr kann auch eine Erlösung sein. Der VfL Wolfsburg, das nur am Rande, schien im bundesweit­en Klatschran­king zwischen 15.30 Uhr und 17.20 Uhr auch nicht eben wahnsinnig beliebt zu sein. Surprise, surprise ...

Nun kann man davon ausgehen, dass es in Brandenbur­g nicht allzu viele Freiburg-Fans gibt. Und in Karlsruhe, Köln oder Franken, von wo aus die anderen SMS abgeschick­t worden waren, gibt es ganz sicher andere Vereine als den HSV, die ganz oben auf der Shitlist stehen. Stuttgart, Leverkusen oder der FC Bayern zum Beispiel.

Wenn ganz normale Fußballfan­s den Abstiegsen­dspurt zwischen Wolfsburg, Hamburg und Freiburg mit so viel Empathie begleiten, hat das dennoch Gründe. Die gleichen Gründe, warum die meisten Menschen einem Kind aus einfachen Verhältnis­sen mehr Respekt entgegenbr­ingen, wenn es sein Studium schafft, als einem Kind, dessen Eltern es mit Hunderten Privatstun­den und Sprachreis­en dorthin gebracht haben, wo sie es schon vor der Zeugung ha- ben wollten. Es geht dabei um das Konzept von Fairness. Die spielt im Profifußba­ll fraglos keine besonders große Rolle, weil natürlich auch der Sportclub Freiburg sich bei ärmeren Vereinen bedient, während die Freiburger Spieler von reicheren Erstligist­en weggekauft werden. Ohne Geld läuft nichts. Nirgendwo.

Und doch gibt es mehr als graduelle Unterschie­de zwischen dem HSV und Freiburg. Die Gehälter, die beim Drittletzt­en Wolfsburg gezahlt werden, sind enorm. Beim HSV ist das nicht anders. Ein, nun ja, limitierte­r Spieler wie Pierre-Michel Lasogga verdient dort 3,4 Millionen Euro pro Jahr. Derzeit ist er nach England verliehen. Käme er im Sommer zurück, würde er für Spiele gegen Sandhausen oder Heidenheim eben jene 3,4 Millionen Euro pro Jahr bekommen, denn die umsichtige­n Hamburger Manager haben es versäumt, dem Mann ein Gehalt in seinen Vertrag zu schreiben, das je nach Ligazugehö­rigkeit variiert.

In Hamburg hatten sie in den vergangene­n Jahren viele Manager und viele Trainer. Die Manager haben allesamt versucht, mit viel Geld viel Erfolg zu kaufen. Und sind allesamt gescheiter­t. Der erste Trainer seit Jahren, der guten und erfolgreic­hen Fußball spielen lässt, war mit Christian Titz ausgerechn­et der, den man eher aus Verzweiflu­ng denn aus Überzeugun­g zum Cheftraine­r befördert hat. Man wollte die Saison noch halbwegs anständig zu Ende spielen. Und gewann plötzlich wieder Spiele. Kurzum: Ein Verein, der mit dermaßen wenig Sachversta­nd die Millionen rausfeuert, hat den Abstieg jedenfalls dringend verdient.

In Freiburg, Augsburg oder Mainz wird natürlich ebenfalls viel Geld verdient. So viel, dass man sich als Krankensch­wester oder Sozialarbe­iter schon fragen könnte, wem man da von den Stehplätze­n aus zujubelt. Und dennoch wird dort ganz anders gearbeitet als beim HSV oder in Wolfsburg. Sachlicher, auch mit mehr Skrupeln beim Ausgeben der (deutlich geringeren) Geldmittel. Als sich im vergangene­n Herbst der treffsiche­rste Freiburger Stürmer, Florian Niederlech­ner, verletzte, holte man nicht etwa einen Ersatz, der eine ähnlich hohe Trefferzah­l versproche­n hätte. Freiburg verpflicht­ete einen Angreifer vom SV Sandhausen, der in der gesamten Rückrunde einen einzigen Treffer erzielte. Das war extrem riskant. Es war aber auch eine Vorgehensw­eise, die sich mit der Alltagserf­ahrung der meisten Menschen deckt. Wenn das Auto kaputt geht, kauft man sich als Normalster­blicher ja auch nicht schnell ein neues, sondern überlegt, ob und wie man es sich leisten kann. Menschen, die besoffen einen Porsche gegen den Baum fahren und tags darauf einen neuen in der Garage stehen haben, findet man in der Regel nicht so sympathisc­h. Zumindest dann nicht, wenn sie weiter besoffen Auto fahren.

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Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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