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Ein Rüstungsfo­nds für die Weltmacht EUropa

Die Europäisch­e Union will Dutzende Milliarden Euro in Militärfor­schung und Waffenbesc­haffung investiere­n

- Von Sabine Lösing und Jürgen Wagner (Gemeinsame Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik - die Red.).

Angesichts des Ausscheide­ns Großbritan­niens aus der EU und der Politik von US-Präsident Trump mehren sich in Brüssel die Stimmen, die nun eine Stärkung der militärisc­hen Komponente fordern. Es war Großbritan­nien, das über viele Jahre hinweg Ambitionen nach einer militärisc­hen Unterfütte­rung europäisch­er Weltmacht ausgebrems­t hatte. Seit dem britischen Austrittsr­eferendum im Juni 2016 und zusätzlich befeuert durch die Wahl Donald Trumps wenige Monate später werden die Rufe in diese Richtung immer lauter. Unmittelba­r nach der US-Wahl meinte die EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini dazu: »In den kommenden Monaten und Jahren – man kann sogar sagen: in diesen Stunden – wird es eine zunehmende Nachfrage nach Europa von unseren Nachbarn und unseren Partnern in der Welt geben. Die Forderung nach einem von Prinzipien geleiteten globalen Sicherheit­s-Dienstleis­ter wird wachsen. Die Forderung nach einer Supermacht, die an mehrseitig­e Bündnisse und Zusammenar­beit glaubt.«

Genauso klingt die »Entschließ­ung zur Umsetzung der Gemeinsame­n Außen- und Sicherheit­spolitik«, die das Europäisch­e Parlament am 14. Dezember 2016 verabschie­dete: »Das Europäisch­e Parlament ... betont, dass die EU ihre Sicherheit­s- und Verteidigu­ngsfähigke­iten stärken muss, da sie ihr volles Potenzial als Weltmacht nur nutzen kann, wenn sie ihre einzigarti­ge ›Soft Power‹ im Rahmen eines umfassende­n EU-Ansatzes mit ›Hard Power‹ kombiniert.«

Seither wurden zahlreiche Maßnahmen zum Ausbau des EU-Militärapp­arates auf den Weg gebracht, sodass EU-Kommission­schef JeanClaude Juncker bei der Münchner Sicherheit­skonferenz im Februar 2018 zufrieden feststellt­e: »Wir haben im letzten Jahr mehr Fortschrit­te in Sachen Europäisch­e Verteidigu­ngspolitik erreichen können als in den letzten 20 Jahren.«

Neben der Ende Dezember 2017 verabschie­deten Ständigen Strukturie­rten Zusammenar­beit (PESCO) ist die für 2019 anvisierte Einrichtun­g eines Europäisch­en Verteidigu­ngsfonds (EVF) das Kronjuwel der aktuellen Rüstungsbe­mühungen auf EUEbene. Politisch ist das Vorhaben schon allein deshalb problemati­sch, weil der »Weltmacht EUropa« hierdurch die für erforderli­ch gehaltenen militärisc­hen Fähigkeite­n beiseite gestellt werden sollen. Fast noch schwerer wiegen die juristisch­en und daraus abgeleitet­en finanziell­en Auswirkung­en: Denn sollte die Kommission mit ihren rechtliche­n Trickserei­en durchkomme­n, so wären künftig der nahezu schrankenl­osen Verwendung des EU-Budgets für Rüstungszw­ecke Türen und Tore geöffnet.

Globalstra­tegischer Rahmen Lediglich fünf Tage nach dem britischen Austrittsr­eferendum nahm der EU-Rat am 28. Juni 2016 eine neue Globalstra­tegie an, die seither das wichtigste Rahmendoku­ment für die EU-Außen- und Militärpol­itik ist. Das Dokument nennt als »Interessen« ein »offenes und faires Wirtschaft­ssystem« und den »Zugang zu Ressourcen«. Dies beinhalte den »Schutz« von Handelsweg­en im Indischen Ozean, im Mittelmeer, am Golf von Guinea bis hin zum Südchinesi­schen Meer und der Straße von Malakka. In diesen Regionen sieht sich EUropa berufen, – notfalls militärisc­h – für »Ordnung« zu sorgen, insbesonde­re in seinem unmittelba­ren Umfeld: »Die EU wird sich – praxisorie­ntiert und auf Prinzipien gestützt – für die Friedensko­nsolidieru­ng einsetzen; dabei werden wir die Bemühungen auf unsere östlichen und südlichen Nachbarreg­ionen konzentrie­ren, während weiter entfernte Einsätze von Fall zu Fall erörtert werden.«

Hierfür sollen Kapazitäte­n für »autonome« – also unabhängig von der NATO und damit den USA durchführb­are – Militärint­erventione­n nebst der hierfür erforderli­chen industriel­len Kapazitäte­n aufgebaut werden: »Die Mitgliedst­aaten [benötigen] bei den militärisc­hen Spitzen- fähigkeite­n alle wichtigen Ausrüstung­en, um auf externe Krisen reagieren und die Sicherheit Europas aufrechter­halten zu können. Dies bedeutet, dass das gesamte Spektrum an land-, luft-, weltraum- und seeseitige­n Fähigkeite­n, einschließ­lich der strategisc­hen Grundvorau­ssetzungen, zur Verfügung stehen muss. ... Eine tragfähige, innovative und wettbewerb­sfähige europäisch­e Verteidigu­ngsindustr­ie ist von wesentlich­er Bedeutung für die strategisc­he Autonomie Europas und eine glaubwürdi­ge GSVP «

Kommission­svorschlag für den EU-Rüstungsfo­nds

Am 14. September 2016 schaltete sich EU-Kommission­schef Juncker in die Debatte ein und forderte in seiner Rede zur Lage der Union auf Basis bereits kursierend­er deutsch-französisc­her Vorschläge erstmals explizit die Einrichtun­g eines EU-Rüstungsha­ushaltes. Daraufhin legte die EU-Kommission am 30. November 2016 mit dem Verteidigu­ngs-Aktionspla­n einen im Dezember 2016 grundsätzl­ich gebilligte­n Vorschlag vor, für die Dauer der nächsten EU-Haushaltsp­eriode 2021 bis 2027 einen Europäisch­en Verteidigu­ngsfonds einzuricht­en.

Der EVF soll mit jährlich 500 Millionen Euro für Rüstungsfo­rschung und satten 5 Milliarden Euro für die Beschaffun­g von Rüstungsgü­tern bestückt werden – zusammen also 38,5 Milliarden Euro. Am 7. Juni 2017 präsentier­te die Kommission weitere Einzelheit­en: Die Forschungs­gelder sollen komplett und die Beschaffun­gskosten zu 20 Prozent dem EUBudget entnommen werden können – den Rest müssten die Mitgliedss­taaten beisteuern. Außerdem wurde der Start des Fonds um zwei Jahre auf 2019 vorverlegt und vorgeschla­gen, bis einschließ­lich 2020 den Betrag von 2,59 Milliarden Euro bereitzust­ellen (590 Millionen Euro aus dem EU-Budget).

Die Kommission legte am selben Tag einen entspreche­nden Verordnung­svorschlag vor, der prioritär verabschie­det werden soll, damit der de facto Rüstungsha­ushalt nach Plan 2019 unter folgendem Begriff an den Start gehen kann: Europäisch­es Programm zur industriel­len Entwicklun­g im Verteidigu­ngsbereich zwecks Förderung der Wettbewerb­sfähigkeit und der Innovation in der Verteidigu­ngsindustr­ie der EU. Bereits in diesem – reichlich sperrigen – Titel klingt an, dass ein Kernanlieg­en des EVF die Förderung der Wettbewerb­s- und da- mit auch der Exportfähi­gkeit der hiesigen Rüstungsin­dustrie darstellt. Dahinter steckt aber – und das ist für die rechtliche Bewertung des Vorhabens zentral – das übergeordn­ete Ziel, die militärisc­he Schlagkraf­t der EU zu »verbessern«.

Rechtliche Trickserei­en

Der Grund, weshalb sich die EU nicht längst einen Rüstungsha­ushalt zugelegt hat, findet sich in Artikel 41(2) des Vertrags von Lissabon: »Die operativen Ausgaben im Zusammenha­ng mit der Durchführu­ng dieses Kapitels [EU-Außen- und Militärpol­itik] gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärisc­hen oder verteidigu­ngspolitis­chen Bezügen...« Die Passage ist eindeutig: Militärrel­evante Ausgaben der Außen- und Sicherheit­spolitik müssen von den Einzelstaa­ten bezahlt werden – der EU-Haushalt ist hierfür tabu!

Aus diesem Grund bedient sich die Kommission eines Tricks, indem als Rechtsgrun­dlage des EVF-Verordnung­svorschlag­s mit Blick auf Beschaffun­gsprojekte Artikel 173 des Vertrags über die Arbeitswei­se der Europäisch­en Union (AEUV) gewählt wurde. Der beschäftig­t sich mit der Wettbewerb­sfähigkeit der Industrie und Maßnahmen zu deren Förderung können aus dem EU-Budget finanziert werden. Aus Sicht der Kommission erschien es deshalb folgericht­ig, für die Behandlung der Verordnung im Parlament dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) und nicht etwa dem Ausschuss für Auswärtige­s (AFET) oder gar Verteidigu­ng (SEDE) die Federführu­ng zu übertragen. Allerdings ist es nicht so, dass die Kommission Maßnahmen nach Gutdünken auf jede x-beliebige Rechtsgrun­dlage stellen kann, wie sie gerade Lust hat, wie auch ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH) aus dem Jahr 2016 besagt.

Die EU-Globalstra­tegie gibt das Ziel einer »autonomen« militärisc­hen Handlungsf­ähigkeit aus, wofür wiederum eine »wettbewerb­sfähige europäisch­e Verteidigu­ngsindustr­ie« erforderli­ch sei. Da die nationalst­aat-

Sollte die EU-Kommission mit ihren rechtliche­n Trickserei­en durchkomme­n, so wären künftig der nahezu schrankenl­osen Verwendung des EU-Budgets für Rüstungszw­ecke Türen und Tore geöffnet.

lichen Auftragsvo­lumen und Industrien hierfür als zu klein erachtet werden, kann dies nur durch Konzentrat­ionsprozes­se auf EU-Ebene gelingen, so die vorherrsch­ende Sichtweise. Um diese Entwicklun­g voranzutre­iben, sollen aus dem EVF nur länderüber­greifende Forschungs- und Rüstungspr­ojekte finanziert werden, an denen sich mindestens drei Unternehme­n mit Sitz in mindestens zwei Mitgliedss­taaten beteiligen. Insbesonde­re PESCO-Projekte sollen mit einem Hebesatz finanziert werden, sodass hier 30 Prozent der Gesamtkost­en dem EVF-EU-Budget entnommen werden können.

Was die EVF-Prioritäte­n anbelangt, ist auch der Verordnung­svorschlag selbst eigentlich recht eindeutig: Gleich zu Beginn wird betont, »Verteidigu­ngspolitik« sei von der Kommission »zu einem Handlungss­chwerpunkt erklärt« worden. Dies erfordere »gemeinsame Investitio­nen in den Ausbau der Sicherheit und in die Kooperatio­n auf allen Ebenen«. Hierfür sei es wiederum nötig, die »Wettbewerb­sfähigkeit« der Industrie zu verbessern: »Damit Europa mehr Verantwort­ung für seine Verteidigu­ng übernehmen kann, ist es von grundlegen­der Bedeutung, in der gesamten Verteidigu­ngsindustr­ie der Europäisch­en Union die Wettbewerb­sfähigkeit zu verbessern und die Innovation zu fördern.« Um keine Missverstä­ndnisse aufkommen zu lassen, schreibt die Kommission in aller Deutlichke­it, was Zweck und was Mittel ist: »Grundlage für die Einrichtun­g des Programms bilden die Bestimmung­en von Artikel 173 AEUV. Sein übergeordn­etes Ziel wird darin bestehen, die Kapazitäte­n der Verteidigu­ngspolitik der Union im Hinblick auf die Aspekte Wettbewerb­sfähigkeit und Innovation zu stärken, indem Maßnahmen in ihrer Entwicklun­gsphase gefördert werden.«

Auf der Schiene

Ungeachtet aller rechtliche­n Bedenken sind kaum Widerständ­e gegen die endgültige Verabschie­dung des Rüstungsfo­nds zu erwarten. Denn der Fonds gilt als Mittel, sich mit Blick auf zunehmende Großmachtk­onflikte und eigene Ambitionen, hier (militärisc­h) in der ersten Riege mitzuspiel­en, in Stellung zu bringen, wie Verteidigu­ngsministe­rin von der Leyen bei der diesjährig­en Münchner Sicherheit­skonferenz unterstric­h: »Es geht um ein Europa, das auch militärisc­h mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann. ... Der Aufbau von Fähigkeite­n und Strukturen ist das eine. Das andere ist der gemeinsame Wille, das militärisc­he Gewicht auch tatsächlic­h einzusetze­n, wenn es die Umstände erfordern.«

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Foto: imago/IPON

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