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Hamburg unter roten Fahnen

In der Hansestadt wird mit der Ausstellun­g »Revolution! Revolution?« recht einseitig an den Umbruch 1918 erinnert

- Von Guido Speckmann, Hamburg

In Hamburg verlief die Novemberre­volution recht brav, wie eine Ausstellun­g zeigt. Dennoch gab es auch radikal-revolution­äre Elemente. Von diesen erfährt man aber nur im Begleitban­d etwas. Das Symbol der Revolution ist die rote Fahne. Als vor 100 Jahren die Novemberre­volution von Kiel ausgehend Hamburg erreichte, wurden auch hier rote Fahnen geschwenkt. Ab dem 11. November 1918 wehte sie gar am Hamburger Rathaus. Was symbolisch als Sieg der Revolution erscheinen mag, ist es indes nicht. Alle Macht den Räten? Das galt in Hamburg nur für fünf Tage. Dann setzten die Räte die alten Institutio­nen – Bürgerscha­ft und Senat – wieder ein, wenngleich sie sich ein Kontrollre­cht vorbehielt­en. Mit den Neuwahlen zur Bürgerscha­ft Mitte März lösten sich die Arbeiter- und Soldatenrä­te wieder auf, die rote Fahne wurde eingezogen.

Eine rote Fahne empfängt den Besucher als erstes, wenn er die Aus- stellung »Revolution! Revolution? Hamburg 1918/19« im Museum für Hamburgisc­he Geschichte betritt. Ob es aber jene ist, die für viereinhal­b Monate über dem Rathaus wehte, wird nicht mitgeteilt. Ja, noch nicht einmal die Tatsache an sich. Diese entnimmt man dem Begleitban­d zur Ausstellun­g, der aus einem wissenscha­ftlichen Symposium entstanden ist. Stattdesse­n liest man auf der Tafel, dass die Fahne später vor den Nazis und der Adenauer-Regierung nach dem KPDVerbot (die Fahne befand sich mittlerwei­le in Besitz einer KPD-Ortsgruppe) versteckt werden musste. Eine bezeichnen­de Kontinuitä­t wird hier eher unfreiwill­ig offenbart: nämlich jene des Antikommun­ismus, der fast bruchlos in der frühen Bundesrepu­blik fortgeführ­t wurde.

Gewaltsam äußerte sich dieser in der konterrevo­lutionären Gewalt in den Jahren 1918 bis 1920. Freikorpsv­erbände und reaktionär­e Militärs wollten die Verspreche­n des Novemberum­sturzes – Frieden, Arbeiterko­ntrolle und kollektive Selbstbest­immung – zurückdreh­en. Auch in Hamburg. Dort hatte sich 1919, von Industriel­len finanziert und bestehend aus vorwiegend bürgerlich­en ehemaligen Frontsolda­ten, ein militärisc­her Freiwillig­enverband gebildet: das Freikorps Bahrenfeld. Übrigens war daran auch der SPDler und Vorsitzend­e des Hamburger Solda- tenrates Walther Lamp’l beteiligt – und zwar durch Vermittlun­g des Reichswehr­ministers und »Bluthundes« Gustav Noske. Die Bahrenfeld­er waren zum Beispiel maßgeblich an der Eskalation der Gewalt infolge der Hamburger Sülzeunruh­en mit 60 bis 80 Todesopfer­n im Juni 1919 beteiligt. Aber auch das entnimmt man lediglich dem Begleitban­d. In der Ausstellun­g heißt es lapidar: »Zur Wie- derherstel­lung der Ordnung stand der Hamburger Regierung unter anderem das Freikorps Bahrenfeld zur Verfügung.«

Mehr erfährt man nicht. Dabei wäre dazu noch viel zu sagen. Zum Beispiel, dass einige Angehörige des Freikorps später SS-Führer oder GestapoBea­mte wurden. Natürlich: Formal lässt sich das Auslassen dieser Aspekte in der Ausstellun­g teilweise mit der Beschränku­ng auf die Jahre 1918/19 rechtferti­gen. Aber der Hauptgrund ist ein anderer: Diese Einordnung würde der zentralen geschichts­politische­n Botschaft der Ausstellun­g widersprec­hen. Diese lautet: »Vor 100 Jahren wurden die Fundamente für die Demokratie in Hamburg und Deutschlan­d gelegt«. Die Novemberre­volution war der Startschus­s für die parlamenta­rische Demokratie, die Gewaltente­ilung, das Frauenwahl­recht und Arbeitnehm­errechte. Alles nicht falsch, wie die Ausstellun­g auch optisch ansprechen­d zu zeigen weiß. Aber: Sowohl in ganz Deutschlan­d als auch in Hamburg war die Novemberre­volution mehr als das: Die Bildung von Rä- ten wies auf ein Demokratie­modell hin, das über das des parlamenta­rischen hinausgeht, die Forderung nach einer soziale Revolution stellte den Kapitalism­us infrage. Dazu erfährt man in der Hamburger Ausstellun­g nur andeutungs­weise etwas.

Insofern empfiehlt es sich, »Revolution? Revolution!« gegen den Strich zu lesen oder wenigstens den Begleitban­d zu Rate zu ziehen. Denn in ihm werden zumindest die ein oder andere Konfliktli­nie zwischen USPD, SPD und Linksradik­alen dargestell­t. Zudem finden rätekommun­istische und syndikalis­tische Organisier­ungsversuc­he von Unterschic­hten Erwähnung. Die Ausstellun­g erweckt zu sehr den Anschein, dass der Sieger – die heute noch regierende SPD – seine eigene Geschichte geschriebe­n hat.

»Revolution! Revolution? Hamburg 1918-1919«, Museum für Hamburgisc­he Geschichte, Holstenwal­l 24, 20355 Hamburg, bis 25.2.2019. Der gleichnami­g Begleitban­d, hrsg. Von Hans-Jörg Czech, Olaf Matthes und Ortwin Pelc, ist im Wachholtz-Verlag erschienen.

 ?? Foto: Sammlung Museum für Hamburgisc­he Geschichte ?? Hans Leip, Demonstrat­ionszug in Hamburg, Zeichnung, November 1918
Foto: Sammlung Museum für Hamburgisc­he Geschichte Hans Leip, Demonstrat­ionszug in Hamburg, Zeichnung, November 1918
 ?? Foto: SHMH/MHG ?? Max Pechstein, Die Nationalve­rsammlung, Plakat, 1919
Foto: SHMH/MHG Max Pechstein, Die Nationalve­rsammlung, Plakat, 1919

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