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Lobenswert­er Widerstrei­t

In einer Dauerausst­ellung zeigt das Kunstmuseu­m Moritzburg in Halle (Saale) Werke, die in der DDR entstanden sind

- Von Peter Arlt

Welch Gewinn wäre es, hier nicht bloß darüber informiere­n zu können, dass noch bis zum 21. Mai im Obergescho­ss des Museums Barberini die Bilder des Palastes der Republik ausgestell­t sind, sondern dies dauerhaft und an fester Stelle seien! Da dies nicht der Fall ist, sollte man zumindest die Potsdamer Ausstellun­g nicht verpassen. Es ist beeindruck­end, darin die großartige Vielfalt und künstleris­che wie inhaltlich­e Substanz der Kunst aus der DDR erneut vor Augen geführt zu bekommen.

Ein lobenswert­er Widerstrei­t, die Bilder aus DDR-Zeiten nicht mehr in die Magazine zu verbannen und ihre Delegitimi­erung also zu beenden, geht indessen von Halle (Saale) aus. Der Direktor des dortigen Kunstmuseu­ms Moritzburg, Thomas BauerFried­rich, setzt der Ignoranz eine historisch­e Verortung entgegen. Damit sei das von ihm geleitete Museum das »derzeit einzige Museum im Osten, das sich auf Dauer zu seiner DDRSammlun­g bekennt«.

Aus dem musealen Wandsystem tritt die offene Bildwelt »Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945 bis 1990«. Dieser abschließe­nde zweite Teil der Dauerausst­ellung setzt im »historisch wie regional-geografisc­h gewachsene­n Profil« (InfoTafel) die von Max Sauerlandt­s und Alois Schardts Blick auf die klassische Moderne geprägte Sammlungsa­uswahl aus der Zeit nach 1885 fort, die im modernen westlichen Erweiterun­gsbau präsentier­t wird. Damit gewinnen die Besucher ihr Museum zurück.

Mich berührt tief, in meine Biografie eingeschlo­ssene Bilder wiedersehe­n zu können, so Eugen Hoffmanns goldene Bronze »Das Leben«, 1949/50 (posthumer Nachguss), Walter Arnolds großartige Holzskulpt­ur »Leid« von 1946, Herbert Stockmanns hoffnungsv­olles Gemälde »Die Ersten«, 1946/47 oder Carl Crodels »Mythologis­che Szene« von 1946/47. Von anmutiger Farbigkeit und voll tief empfundene­r harmonisch-heiterer Stimmung ist der antifaschi­stische Rückblick Werner Tübkes auf die »Lebenserin­nerungen des Dr. jur. Schulze II« (1965).

Zu nennen ist insbesonde­re auch Wolfgang Mattheuers bedeutende­s Gemälde »Kain« von 1965, das eventuell durch den Trick Heinz Schönemann­s, sich vom Ministeriu­m für Kultur die Kaufsumme zu erbitten, die Jury der VI. Deutschen Kunstausst­ellung passieren konnte. Ein Bild vom biblischen Brudermord, das die Kongo-Ereignisse reflektier­te, aber vom Vorbildsch­ema abwich, um sich aus den Niederunge­n des abbildhaft­en »sozialisti­schen Realismus« zu prägnanter, sinnschich­tenreicher Bildhaftig­keit zu erheben. Dieser Qualität folgten Uwe Pfeifer mit »Abgerissen­er Drache«, 1976 und Baldur Schönfelde­rs mit seiner Antikriegs­skulptur »Nike I« von 1981.

Die Ausstellun­g würdigt neben künstleris­chen Leistungen auch die Arbeit der Museumsdir­ektoren nach 1945, deren Sammeltäti­gkeit anerkannt wird, zudem die von Thomas Bauer-Friedrich selbst, der die Sammlung zwar perspektiv­isch öffnen, doch nicht mit den sonst überall zu sehenden Werken von (West-)Künstlern zwanghaft »korrekt« und langweilig machen will. Es ist vor allem eine Präsentati­on der Kunst von Halle (Saale), der, wie Fritz Löffler im Jahre 1949 feststellt­e, »vitalsten Stadt [...] in der ostzonalen Malerei«.

Die klassische Moderne lehrten an der Kunstschul­e Burg Giebichens­tein die an den früheren Wirkungsor­t zurückgeke­hrten Lehrer Charles Crodel und Erwin Hahs, nach 1945 weiterhin Gustav Weidanz und Karl Müller. Dazu der Kreis um Hermann Bachmann mit den Malern Jochen Seidel, Fritz Rübbert, Kurt Bunge, Ulrich Knispel, Herbert Kitzel, Willi Sitte sowie den Bildhauern Mareile Kitzel und Waldemar Grzimek. Die ausgestell­ten Werke lassen fragen, warum sie als »bürgerlich-dekadent« und »formalisti­sch« zurückgewi­esen wurden und warum sie nach 1990 eine »neuerliche Ächtung« erfahren mussten.

Ein entscheide­ndes Jahrzehnt lag zwischen den politische­n Ereignisse­n von Ungarn und Prag. In jener Zeit, von 1958 bis 1968, war Heinz Schönemann Moritzburg­direktor und erwarb besondere Werke. Er bekennt: »Ich hatte durchaus den Ehrgeiz, mich dem legendären Glanz der halleschen Sammlung unter Sauerlandt und Schardt wieder zu nähern. Dazu gehörten auch Ankäufe, Verluste auszugleic­hen und Lücken im frühen 20. Jahrhunder­t zu schließen.«

Wie bei Kunst der DDR üblich, springt ein zeitgleich­es Zusammentr­effen verschiede­ner künstleris­cher Formen mit besonderer Rezeption historisch­er und moderner Kunststile ins Auge, ob Expression­ismus (Bernhard Heisig, Wolfram Ebersbach, A. R. Penck) oder Neue Sachlichke­it (Uwe Pfeifer, Clemens Gröszer, Norbert Wagenbrett), Pop Art (Wasja Götze, Willy Wolff, Hans Ticha) oder abstrakte Kunst (Hermann Glöckner, Horst Bartnig, Günther Hornig). In einer einzigarti­gen Auswahl sind in der Ausstellun­g Plastiken Theo Baldens, Will Lammerts, Waldemar Grzimeks, Werner Stötzers, Wieland Försters, Sabina Grzimeks und Friedrich B. Henkels zu sehen, dazu die Stahlmonta­gen Irm- traud Ohmes, Hartmut Bonks Figurengru­ppe »Zivilisier­te Welt« (1977/78) oder Medaillen Bernd Göbels.

Es wurde in Halle Kunst gesammelt, damit wir sehen, wie die Künstler in ihrer Zeit gegenüber dem staatlich propagiert­en Realismus ihre Kunstforme­n individuel­l ausprägten. Die heutigen Museumsübe­rlegungen suchen nach Möglichkei­ten, die Kunst aus der DDR für eine neue Rezeption zu öffnen – auch für jene Besucher, die nicht in der DDR sozialisie­rt worden sind.

Die lobenswert­e Initiative, Bilder aus DDR-Zeiten nicht mehr in die Magazine zu verbannen und ihre Delegitimi­erung also zu beenden, geht von Halle an der Saale aus.

»Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945 bis 1990«, Dauerausst­ellung im Kunstmuseu­m Moritzburg, Friedemann-Bach-Platz 5, Halle (Saale)

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Foto: Falk Wenzel/VG Bild-Kunst, Bonn Willi Sitte, »Bergung aus Hochwasser«, 1958
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Foto: Klaus E. Götz/Nachlass Mareile Kitzel Mareile Kitzel, »Liegender Knabe«, 1955, Gips

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