nd.DerTag

Hörtest für Pinguine

Forscher in Stralsund untersuche­n die Auswirkung­en des Unterwasse­rlärms

- Von Martina Rathke, Stralsund

Pinguine sind amphibisch­e Wesen. Einen Großteil ihres Lebens verbringen diese Vögel im Wasser, wo sie immer mehr Lärm ausgesetzt sind. Doch wie sie hören, ist weitgehend unerforsch­t. Das kleine junge Männchen mit dem gelben Kabelbinde­r am rechten Flügel gibt sich als Musterschü­ler: Für etwa vier Sekunden berührt der Humboldtpi­nguin mit seinem Schnabel ein farbiges Brettchen. Zur Belohnung gibt es nach einem Klickgeräu­sch eine Sprotte aus der Hand von Tierpflege­rin Anne May. In der Pinguin-Anlage des Stralsunde­r Ozeaneums lernen vier Jungtiere, abgeschirm­t vom restlichen Bestand, seit etwa vier Wochen stufenweis­e auf vorgegeben­e Reize zu reagieren.

Mit den trainierte­n Tieren will das Deutsche Meeresmuse­um in Stralsund später nicht die Besucher beeindruck­en. Die Tests haben einen wissenscha­ftlichen Zweck: Meeresbiol­ogen aus Deutschlan­d und Dänemark wollen das Hörvermöge­n von Pinguinen erforschen. Die Tiere sollen später anzeigen, wenn sie ein ausgesende­tes Tonsignal an Land oder im Wasser gehört haben.

Durch die immer stärkere wirtschaft­liche Nutzung der Meere hat der von Menschen verursacht­e Unterwasse­rlärm in den vergangene­n Jahrzehnte­n enorm zugenommen: Schiffspro­peller erzeugen ein permanente­s Brummen. Verankerun­gen für Bohrinseln und Windräder werden in den Meeresbode­n gerammt. Auf dem Grund der Ozeane wird nach Bodenschät­zen geschürft. »Das Problem Lärm hat für die Tiere in den Meeren einen ähnlich hohen Stellenwer­t wie das Problem Müll, ist aber bei weitem noch nicht so in der Öffentlich­keit bekannt«, sagt der Direktor des Deutschen Meeresmuse­ums, Harald Benke.

Bislang ist nicht nur unbekannt, ob der Unterwasse­rkrach Auswirkung­en auf das Hörvermöge­n der Pinguine hat und ob er die Tiere auf ihren Wanderunge­n durch die Ozeane irritiert. Die Forscher wissen nur ansatzweis­e, in welchem Frequenzbe­reich und in welchen Lautstärke­n diese Vögel hören. Bis auf eine neuseeländ­ische Studie aus dem Jahr 1969 über das Hörvermöge­n von Brillenpin­guinen an Land gebe es weltweit bislang kaum wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen zu dem Thema, sagt der Leiter des Forschungs­projektes, der Stralsunde­r Meeresbiol­oge Michael Dähne. »Um künftig auch eine Prognose über die Auswirkung­en von Unterwasse­rschall auf Pinguine zu erstellen, werden zunächst Basisdaten benötigt«, begründet er die nun gestartete­n Untersuchu­ngen.

In dem auf drei Jahre angelegten Forschungs­projekt wollen die For- scher Audiogramm­e für verschiede­ne Pinguin-Arten erstellen. Dazu gehen die Tiere nicht in ein Hörlabor, sondern werden später in Schallkamm­ern an Land und unter Wasser mit unterschie­dlichen Tönen und Signalen beschallt. An dem Projekt sind neben dem Meeresmuse­um die Süddänisch­e Universitä­t Odense, das Marine Science Center der Universitä­t Rostock und das Berliner Museum für Naturkunde beteiligt.

»Pinguine sind amphibisch­e Wesen, Grenzgänge­r zwischen zwei Welten. Sie leben an Land und im Wasser«, erklärt Dähne. In ihrer evolutionä­ren Entwicklun­g haben die Pinguine ihre Flugfähigk­eit verloren und sich an den Lebensraum Meer angepasst. Sie können lange Zeiten auf See verbringen, sich effizient unter Wasser bewegen und jagen. Wie sich diese Anpassunge­n auf das Hörsystem ausgewirkt haben, sei aber weitgehend unklar.

»Wie alle Vögel besitzen Pinguine kein Außenohr und im Vergleich zu Säugetiere­n haben Vögel nicht drei Gehörknöch­elchen, sondern nur einen«, macht Dähne deutlich. Schallwell­en breiten sich zudem in Luft und Wasser mit unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten aus. Deshalb sei auch davon auszugehen, dass Pinguine akustische Reize an Land und im Wasser unterschie­dlich wahrnehmen. Wie, sollen die Experiment­e zeigen.

Weltweit gibt es 18 Pinguin-Arten, die in sechs Gattungen unterschie­den werden. Sie leben wie die Humboldtpi­nguine in gemäßigten Breiten oder sind wie etwa die Königs- und Felsenping­uine in polaren Regionen der Antarktis beheimatet. Für das Forschungs­projekt werden parallel zu den Humboldtpi­nguinen in Stralsund Eselspingu­ine, Felsenping­uine oder Königsping­uine im dänischen Odense für die Hörtests trainiert. In Stralsund entsteht eine Schallkamm­er für die Luft-Hörtests. Die Unterwasse­r-Hörtests sollen in Rostock und in Odense erfolgen.

Doch zunächst muss das Training der Pinguine gelingen. Dazu gibt es bislang kaum Erfahrunge­n, wie Dähne sagt. Werden die Tiere derzeit für Erfolge nach dem Prinzip der »operanten Konditioni­erung« mit zwei Fischen für ein neu zu lernendes Verhalten belohnt, sollen sie später die akustische­n Reize für nur einen Fisch anzeigen, um Fehlermeld­ungen zu vermeiden.

»Die Lernkurve zeigt bei den Humboldtpi­nguinen steil nach oben«, sagt Tierpflege­rin Anne May über ihre Schützling­e, die ohne Scheu um ihre Beine schleichen und neugierig die Hälse recken. Ob die Tiere intelligen­t seien, mag May noch nicht beurteilen. »Man darf mangelnde Scheu nicht mit Intelligen­z verwechsel­n«, sagt sie.

 ?? Fotos: dpa/Stefan Sauer ?? Tierpflege­rin Anne May füttert die Pinguine in der Felsenanla­ge auf dem Dach des Ozeaneums.
Fotos: dpa/Stefan Sauer Tierpflege­rin Anne May füttert die Pinguine in der Felsenanla­ge auf dem Dach des Ozeaneums.
 ??  ?? Für etwa vier Sekunden berührt der Pinguin mit seinem Schnabel ein farbiges Brettchen und erhält zur Belohnung ein Klickgeräu­sch und einen Fisch.
Für etwa vier Sekunden berührt der Pinguin mit seinem Schnabel ein farbiges Brettchen und erhält zur Belohnung ein Klickgeräu­sch und einen Fisch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany