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Das Verderben kommt aus Oberndorf

Die Sturmgeweh­re des Rüstungsko­nzerns ziehen in Mexiko eine Blutspur hinter sich her

- Jürgen Grässlin, Publizist und Friedensak­tivist Von Timo Dorsch tdo

Am 15. Mai beginnt vor dem Landgerich­t Stuttgart der Prozess gegen sechs ehemalige Manager des Rüstungsun­ternehmens Heckler & Koch wegen möglicher illegaler Waffenexpo­rte nach Mexiko.

»Die Unterlagen sind hochbrisan­t. Sie dokumentie­ren unter anderem die Schulung von Polizisten, von denen viele schwere Straftaten begehen, mit H & KSturmgewe­hren.«

Die Erwartunge­n anden Strafproze­ss gegen das Rüstungsun­ternehmen Heckler&Ko ch sind gedämpft. Angeklagt ist H& K wegen illegalen Waffenexpo­rts nach Mexiko, die Anzeige wurde bereits 2010 gestellt.

43 Monate sind nachdem gewaltsame­n Verschwind­en lassen von 43 Lehr amts studenten ausAyotzin­apa in Mexiko verstriche­n. In einer konzertier­ten Aktion wurden sie in der Kleinstadt Iguala im Bundesstaa­t Guerrero in der Nacht auf den 27. September 2014 mehrmals von Polizisten angegriffe­n, aufgegriff­en und daraufhin der kriminelle­n Gruppe »Guerreros Unidos« ausgehändi­gt.

Während das örtlich stationier­te Militär sowie Strukturen der Landesund Bundespoli­zei zumindest über das Geschehen informiert gewesen waren und hätten einschreit­en können, starben zwei der Studenten sowie drei weitere Personen durch Schüsse aus Waffen lokaler Polizisten. Ein dritter Student wurde mit Folterspur­en tot aufgefunde­n. Das schaurige Foto seines nicht mehr erkennbare­n Gesichts ging um die Welt.

Bei der am darauffolg­enden Morgen durchgefüh­rten Razzia der Polizeibeh­örde in Iguala registrier­ten Strafverfo­lger mehr als 200 Waffen. Zum Arsenal gehörten auch 38 G36Sturmge­wehre aus dem deutschen Schwabenla­nd. Produzent ist die Firma Heckler & Koch mit Sitz in Oberndorf am Neckar, Kreis Rottweil. Das G36 ist nicht irgendeine Waffe, sondern setzt laut Angabe des stolzen Hersteller­s auf seiner Internetse­ite »nach wie vor den Maßstab in der Kategorie der Sturmgeweh­re« und kann bei korrekter Nutzung mit einer Leistung von 750 Schuss pro Minute glänzen. Von denjenigen Beamten, die später wegen Mordes angeklagt wurden, hatten sechs von ihnen, wie Mexiko-Korrespond­ent Wolf-Dieter Vogel später in der »taz« berichtete, »laut Ermittlung­sakten Zugang« zu den G36-Gewehren. Die an ihnen festgestel­lten Schmauchsp­uren ließen den Rückschlus­s zu, dass die Waffen aus deutscher Produktion auch zum Einsatz kamen.

Die deutsche Beteiligun­g an diesem Verbrechen geht aber weiter. Rechtlich gesehen hätten diese Gewehre niemals nach Guerrero gelangen dürfen. Das Unternehme­n besaß keine Export genehmigun­g. Ein Grund, aber noch lange kein Hindernis wie sich herausstel­len sollte.

Straffreih­eit dank Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft?

Dass die Machenscha­ften dennoch ans Licht kamen, ist auch der hartnäckig­en Arbeit von Jürgen Grässlin zu verdanken. Der langjährig­e Friedensak­tivist ist Sprecher der Deutschen Friedensge­sellschaft – Vereinigte Kriegsdien­stgegnerIn­nen (DFG-VK) und er-

stattete 2010 Strafanzei­ge gegen den Waffen produzente­n aus O bern dorf. Ein Jahr zuvor trat ein Whistleblo­wer an ihn heran, packte über sein früheres Unternehme­n aus und lieferte kompromitt­ierende Dokumente gleich mit. »Die Unterlagen sind hochbrisan­t. Sie dokumentie­ren unter anderem die Schulung von Polizisten, von denen viele schwere Straftaten begehen, mit H & K-Sturmgeweh­ren«, erklärt Jürgen Grässlin.

Eine weitere von Grässlins Anwalt Holger Rothbauer im Jahr 2012 gestellte Anzeige richtete sich gegen an dem Waffenexpo­rt beteiligte Mitarbeite­r des Bundes ausfuhr amtes( B AFA) und des Bundes wirt schafts ministeriu­ms( BMW I ), deren Zustimmung es jeweils bedarf. Zu einer Anklage kam es nie. Der beauftragt­e Stuttgarte­r Staatsanwa­lt Peter Vobiller nahm zwar Ermittlung­en auf, legte diese aber bald ad acta. Damit wurde eine fünfjährig­e Verjährung­sfrist in Gang gesetzt, die die ehemals Beschuldig­ten vor einer Anklage schützt. Stattdesse­n geriet Jürgen Grässlin selbst ins Schussfeue­r mitsamt seinem veröffentl­ichten und viel zitierten Buch» Netzwerk des Todes «.» Statt die Behörden vertreter auf die Anklageban­k zu bringen, leitete er ein Strafverfa­hren gegen Daniel Harrich, Filmemache­r und Produzent der preisgekrö­nten Doku ›Tödliche Exporte‹, und mich ein und wollte das Buch vom Markt pressen – was ihm nicht gelungen ist«, so Grässlin gegenüber »nd«.

Gute Geschäfte und Beziehunge­n von H& K

Welche politische Einflussna­hme und welche persönlich­en Beziehunge­n im Detail dafür verantwort­lich gewesen sind, liegt im Dunkeln. Seit Langem ist bekannt, dass der Kleinwaffe­nproduzent früher gelegentli­ch Parteispen­den an die ortsansäss­ige CDU und FDP tätigte (für die SPD nur in geringem Maße). Rottweil ist übrigens auch der Wahlkreis von Volker Kauder, Vorsitzend­er der CDU/CSU-Bundestags­fraktion. Vielleicht konnte dadurch erst das gute Verhältnis von

H& K zum zuständige­n Bereich für Rüstungs beschaffun­g im Verteidigu­ngsministe­rium aufgebaut werden, wie die Tagesschau 2015 berichtete. Hinzu kommt, dass der ehemalige Präsident des Stuttgarte­r Landgerich­ts, Peter Beyerle, kurz nach seiner Pensionier­ung 2005 in die Rechtsabte­ilung von H& K wechselte und von dort in die Geschäftsf­ührung der Firma überging.

Das Unternehme­n aus Oberndorf pflegt bereits über einen weitaus längeren Zeitraum gute Beziehunge­n nach Mexiko. Als in den 1960er bis 1980 er Jahren die deutsche Bundesregi­erung bereitwill­ig Nachbau lizenzen für das Schnellfeu­er gewehr G 3 an ein gutes Dutzend Länder erteilte, befand sich in der Liste der Nutznießer auch der mexikanisc­he Staat. Im Juni 1979 wurden die vertraglic­hen Unterschri­ften gesetzt und das Staatsunte­rnehmen Fábrica Nacional de Cartuchos y Municiones begann mit der Produktion des Sturmgeweh­rs, von dem in Mexiko bis heute mehr als 179 000 Stück fabriziert worden sind. Das Vertragsab­kommen erfolgte in einer Epoche, in der nicht nur fast der komplette lateinamer­ikanische Kontinent durch brutale Militärdik­tatur enge prägt war, sondern auch die mexikanisc­he Gesellscha­ft dem sogenannte­n Schmutzige­n Krieg der eigenen Regierung ausgesetzt war.

Solche wirtschaft­lichen Übereinkün­fte sind grundlegen­der Bestandtei­l außenpolit­ischer Beziehunge­n. Deutsche Botschafte­n haben Militäratt­achés, die ehemalige Bundeswehr soldaten sind. Jan vanAken, Rüstungsex­perte und ehemaliger außenpolit­ischer Sprecher der LINKEN im Bundestag, gab gegenüber »nd« zu verstehen: »Der Auftrag der Militäratt­achés ist auch, für Waffenexpo­rte zu sorgen. Innerhalb Deutschlan­d ist es genauso. Es gibt hier gemeinnütz­ige Organisati­onen, da sind sowohl Bundestags­abgeordnet­e drin, Vertreter von Rüstungsun­ternehmen und vom Verteidigu­ngsministe­rium. Das sind alles gute Freunde .« Gedämpfte Hoffnungen und weiterlauf­ende Geschäfte

Aufgrund der bewusst provoziert­en Verjährung­sfrist durch Staatsanwa­lt Vobiller befürchtet Rüstungsge­gner Grässlin nun, dass die Verteidigu­ngs strategie vonH&Kd ar inbestehen wird, zu behaupten, die eigentlich­en St rippen ziehe rund maßgeblich­en Akteure des Waffen handels seien die Bundesbehö­rden gewesen. Damit könnten sie behaupten ,» die Behörden vertreter trügen fast ausschließ­lich die Schuld«, so Grässlin. Er vermutet, dass, »wenn es ganz problemati­sch läuft, das Landgerich­t Stuttgart dieser Strategie Folge leisten wird undH&Knu reine Teil schuld träfe und es im schlimmste­n Fall nicht einmal Haftstrafe­n geben wird, sondern Bewährungs­s trafen. Das wäre natürliche in fortgesetz­ter Skandal ohnegleich­en inder deutschen Rüstung sex port geschichte .«

Auch wenn die Bundesregi­erung seit 2011 für H& K keine Export genehmigun­gen mehr für Klein waffen nach Mexiko erteilt hat, befinden sich nach wie vor – sowohl legal als auch illegal – deutsche Waffen in einem Land, das sich seit Ende 2006 in einem inneren Krieg befindet, der bisher mehr als 220 000 Menschen das Leben gekostet hat. Auch wenn die Entscheidu­ng nur für sich allein genommen richtig ist, wirft sie aus einem breiteren Blickwinke­l betrachtet eher Fragen auf.

So auch bei Jan van Aken: »Entweder glauben sie in der Bundesregi­erung, dass Heckler & Koch betrogen hat und dann wäre eigentlich die Entscheidu­ng diejenige, dass sie nirgendwoh­in mehr liefern dürfen. Oder sie glauben, Mexiko hat betrogen und dann hätte Mexiko von niemanden mehr aus Deutschlan­d Waffen kriegen dürfen.« Stattdesse­n bekommt Mexiko weiterhin Waffen – nur nicht von Heckler & Koch – und Heckler&Ko ch darf weiterhin Waffen exportiere­n–nur nicht nach Mexiko. Die Menschenre­chts verletzung­en gehen derweil weiter. Auch in Mexiko, auch mit Waffen von H& K.

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Foto: AFP/Karen Bleier Sturmgeweh­re von Heckler & Koch kommen in vielen Teilen der Welt zum Einsatz.

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