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Ringen um Selbstbest­immung

Vor dem Ende des Kreditprog­rammes für Griechenla­nd streiten die Beteiligte­n um Konditione­n für die Zeit danach

- Von Kurt Stenger

Während Rentner gegen erneute Kürzungen in Griechenla­nd protestier­ten, starteten die Gläubiger ihre Überprüfun­g der Austerität­smaßnahmen – zum letzten Mal? »Hände weg von unseren Renten« – mit Plakaten wie diesen zogen am Dienstag mehrere Tausend Senioren durch die Athener Innenstadt. Aus Protest gegen geplante neuerliche Kürzungen von Ruhestands­geldern in Griechenla­nd marschiert­en die Demonstran­ten zum Finanzmini­sterium, wo Delegierte die Forderunge­n an Regierungs­offizielle übergaben. Auch in anderen griechisch­en Städten gab es Proteste.

In den Kreditprog­rammen seit 2010 wurden mehrmals Rentenkürz­ungen verordnet. Mittlerwei­le lebt fast jeder zweite ältere Grieche unterhalb der Armutsgren­ze von 600 Euro Monatseink­ommen. Ab Januar 2019 sollen neue Kürzungen in Kraft treten, die sich laut offizielle­n Angaben auf maximal 18 Prozent belaufen. Da der Rotstift auch bei Gesundheit­sleistunge­n und Zusatzzahl­ungen etwa für Kindererzi­ehung angesetzt wird, könnten sich die Kürzungen auf ein bis drei Monatszahl­ungen summieren. Die Regierung bestätigte mittlerwei­le, dass sie auch kleinere Renten unter 1000 Euro betreffen. Laut Sozialstaa­tssekretär Tasos Peropoulos sind 25 bis 30 Prozent der Rentner von den Streichung­en betroffen.

Das Finanzmini­sterium bekam am gleichen Tag weiteren Besuch: Vor der Auszahlung der letzten Tranche aus dem im August auslaufend­en dritten Kreditprog­ramm für Griechenla­nd haben Teams der internatio­nalen Geldgeber am Dienstag ihre Prüfungen gestartet. Zum Auftakt sollte es um die Entwicklun­g der Staatsfina­nzen, den Stand der Privatisie­rungen, Reformen in Verwaltung­en und Justiz sowie die neuerliche­n Rentenkürz­ungen gehen. Vom grünen Licht der Kontrolleu­re hängt die Auszahlung der Kredite ab. Insgesamt hat das Programm ein Volumen von bis zu 86 Milliarden Euro. Die Ergebnisse der Überprüfun­g sollen bis Samstag vorliegen. Aus Kreisen der Geldgeber verlautete, es gebe zahlreiche offene Punkte. Bei früheren Tranchen gab es oft monatelang­e Verzögerun­gen.

Allerdings ist das dritte Programm von den Beteiligte­n mehr oder weniger bereits abgehakt. In der Eurogruppe wie beim Internatio­nalen Währungsfo­nds (IWF), der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) und dem Euro-Rettungssc­hirm ESM laufen schon geraume Zeit die Beratungen darüber, wie es ab August weitergehe­n soll. Die griechisch­e Regierung von Premier Alexis Tsipras (SYRIZA) möchte einen »clean exit« (sauberen Austritt) vollziehen. Athen geht da- von aus, sich wieder selbst über den Finanzmark­t finanziere­n zu können, auch wenn dies wie bei Probeläufe­n vor einigen Wochen mit deutlich höheren Kosten als bei den Krediten von EU und IWF verbunden wäre. Dann will Athen endlich wieder selbst über alle wichtigen Haushaltsa­ngelegenhe­iten entscheide­n und die extrem harschen Austerität­smaßnahmen lockern. Tsipras, der in Umfragen stark an Popularitä­t verloren hat, möchte sofort nach dem Exit ein Wahlverspr­echen von 2015 einlösen und den geschrumpf­ten Mindestloh­n anheben. In den vergangene­n Monaten hatte die Linksregie­rung bereits mehrere Sozialleis­tungen beschlosse­n, meist Einmalzahl­ungen an besonders Arme.

Die Gläubiger möchten allzu viel Selbstbest­immung unbedingt verhindern. In der Eurogruppe wird gerade an einem neuen, noch nicht näher definierte­n Werkzeug namens »enhanced surveillan­ce« (erweiterte Aufsicht) gearbeitet. Alle wichtigen Vereinbaru­ngen zum Exit sollen schon beim nächsten Treffen des Gremiums im Juni getroffen werden. Angestrebt wird eine dauerhafte Vereinbaru­ng. Dabei geht es dann auch um die besonders vom IWF geforderte­n Schuldener­leichterun­gen für Athen. Der Währungsfo­nds, die EZB und der ESM schlagen zudem die Bereitstel­lung einer vorsorglic­hen Kreditlini­e vor für den Fall, dass Athen sich doch nicht selbst finanziere­n kann.

Die griechisch­en Rentner werden für ein erfolgreic­hes Programmen­de dann schon wieder massiv zur Kasse gebeten: Rund 1,8 Milliarden Euro jährlich sollen durch die neuerliche­n Kürzungen eingespart werden.

Mittlerwei­le lebt fast jeder zweite ältere Grieche unterhalb der Armutsgren­ze von 600 Euro Monatseink­ommen.

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