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Was der Mensch vom Unkraut lernt

Stefano Mancuso zeigt Überlebens­künstler

- Von Silvia Ottow

Wir schmücken Gärten mit Blumen, bewundern bizarre Bäume oder grüne Landschaft­en. Doch florale Pracht taugt zu weit mehr als nur zur Anbetung. Der italienisc­he Pflanzenfo­rscher Stefano Mancuso erklärt in seinem neuen Buch, wie Pflanzen Revolution­en anzetteln und dem Menschen Überlebens­strategien in einer sich stetig verändernd­en Umgebung präsentier­en.

In der Tat kann der Mensch vom Unkraut lernen. Von der wilden Rauke – wir essen sie gern als Rucola –, wie sie durch ihr ausgeklüge­ltes Wurzelsyst­em noch auf der ausgedörrt­esten Brache gedeihen kann. Von der Mimose, wie sie sich auf eine veränderte Umwelt durch das Aufrollen ihrer Blätter einstellt. Vom Wald-Ziest, wie er seine Blätter denen der Nachbarn angleicht. Von der Opuntie, besser bekannt als Feigenkakt­us, wie man Wasser aus der Luft aufnimmt, wenn die Erde keines mehr hergibt. Oder vom Pinienzapf­en, der sich bei Regen schließt und bei Trockenhei­t weit öffnet, wie Bewegung einzig durch die Reaktion auf Luftfeucht­igkeit entstehen kann.

Pflanzen sind Überlebens­künstler, davon hat der Autor die Leser schon in seinem ersten Buch »Die Intelligen­z der Pflanzen« überzeugt. Sie verfügen über ein Gedächtnis. Wie es jedoch funktionie­rt, hat noch niemand herausgefu­nden. Doch wie anders als mit dem Rückgriff auf gespeicher­te Informatio­nen wären Versuche mit der Mimose zu erklären, die einen glauben machen, hier arbeite ein Gehirn? Die aus den Tropen stammende Pflanze hatte bereits den Naturforsc­her René Desfontain­es (1750 – 1833) beeindruck­t: Sie schloss bei einer Berührung ihre Blättchen, daher ihr Name Mimosa pudica, schamhafte Sinnpflanz­e. Allerdings schien sie aus Wiederholu­ngen zu »lernen«. Als viele Mimosenpfl­änzchen in einer Kutsche auf einen holprigen Weg geschickt wurden, schlossen sie schon auf den ersten Metern ihre Blättchen, doch nach einer Weile geschah etwas Überrasche­ndes: Sie öffneten sich wieder, obgleich die Fahrt nicht weniger ruckartig verlief. Der mit der Beobachtun­g beauftragt­e Student notierte verwundert, die Mimosen hätten sich wohl an das Rütteln in der Kutsche »gewöhnt«. In späteren Versuchen erkannten Wissenscha­ftler: Die Mimose unterschei­det zwischen bekannten ungefährli­chen und neuen bedrohlich­en Erschütter­ungen. Das allein ist schon sensatione­ll genug, doch die Pflanze kann die Informatio­nen auch vierzig Tage lang speichern.

Pflanzlich­e Fähigkeite­n können Menschen inspiriere­n. So bauen Weltraumro­boter auf der Fähigkeit der Pflanzen auf, ihre Wurzelspit­zen durch Weiterleit­ung von Flüssigkei­t mit hohem Druck in die Lage zu versetzen, sich in harte Gesteinsbr­ocken hineinzubo­hren. Sie erkunden die Beschaffen­heit von Böden an Orten, die für den Menschen nicht ohne Weiteres erschließb­ar sind. Auf dem Mars etwa. Ein anderes fasziniere­ndes Vorbild für den Menschen liefert die Kaktusfeig­e. Sie nimmt nachts Feuchtigke­it aus der Luft, die an ihren feinen, haarähnlic­hen Dornen hängen bleibt. Die Methode kopierten Architekte­n in Katar, wo sie das eindrucksv­olle Wanka Water bauen. Das Gebäude orientiert sich mit seinen Belüftungs­klappen und in der Form an der Opuntie und »erntet« durch Spezialnet­ze in der Nacht Wasser.

Manusco schreibt seine wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se zum Glück sehr unterhalts­am auf. Irgendwann vergisst man, Fachbegrif­fe nachzuschl­agen. Wer sie drauf hat, benötigt das nicht. Und wer nicht, versteht trotzdem.

Stefano Mancuso: Pflanzenre­volution. Wie die Pflanzen unsere Zukunft erfinden, Verlag Antje Kunstmann, 252 S., geb., 24 €.

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