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Jeder Sieg eine Sensation

Das kriegsgepl­agte Jemen hat noch immer eine Fußball-Nationalel­f. Erstmals schaffte sie es zur Asienmeist­erschaft

- Von Oliver Eberhardt, Amman

Jemens Fußballer erreichen trotz des Krieges erstmals die Asienmeist­erschaft.

Mitten im Krieg hat sich Jemens Fußballnat­ionalmanns­chaft für die Asienmeist­erschaft qualifizie­rt und damit in der Heimat für kurze Zeit für ein bisschen Freude gesorgt. Der Weg dorthin: ein Hürdenlauf. Alos Ahmed Abdullah blickt auf sein Mobiltelef­on, immer und immer wieder. »Nichts Neues?«, fragt sein Kollege Ahmed Saed Abdulrab sorgenvoll, »wahrschein­lich kein Strom!« Die saudische Luftwaffe hat gerade einen Stadtteil von Sana‘a bombardier­t. »Meine gesamte Familie ist noch dort,« erzählt Abdullah, das sei schon sehr schwer zu ertragen.

Die beiden 24-Jährigen sitzen in einem Café in der jordanisch­en Hauptstadt Amman und teilen die Sorgen um Familie und Freunde. »Wenn wir den normalen Weg gegangen wären, dann wären wir jetzt Feinde«, sagt Abdulrab. Denn er selbst stammt aus Aden, das von der internatio­nal anerkannte­n Regierung von Präsident Abedrabo Mansur al Hadi kontrollie­rt wird. Abdullah kommt aus Sana‘a, direkt aus den von HuthiMiliz­en kontrollie­rten Gebieten. Seit Jahren befinden sich Regierung und Huthi-Milizen in einem erbitterte­n Krieg, an dem sich auch die Luftwaffe Saudi-Arabiens auf Seiten der Hadi-Regierung beteiligt. Weil die Arbeitslos­igkeit hoch ist, und die Lebenshalt­ungskosten noch höher, schließen sich viele junge Männer dem Militär an und treten in eine der diversen Kampfgrupp­en ein, denn dort wird man bezahlt.

Doch warum sich bekämpfen »für irgendwas, was keiner mehr kapiert«, wie Abdullah sagt? Stattdesse­n kämpfen sie Seite an Seite für Jemen, auf dem Fußballpla­tz. Als Nationalsp­ieler treten sie für ein Land an, das in eine Vielzahl von Gebieten gespalten ist, in denen mal diese, mal jene Miliz oder mal die Regierung das Sagen hat. Dennoch haben sie nun etwas vollbracht, was von einheimisc­hen und internatio­nalen Medien als »Wunder« bezeichnet wird: Die Nationalma­nnschaft Jemens hat sich für die Asienmeist­erschaft Anfang 2019 in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten qualifizie­rt, und damit für das allererste namhafte internatio­nale Turnier überhaupt.

Es ist kaum möglich, die Bedeutung der Qualifikat­ion für die Menschen in Jemen zu übertreibe­n: Ta- gelang wurden die Schlagzeil­en in Jemen nicht von Krieg und Zerstörung beherrscht; die 23 Spieler im Kader avancierte­n über die Konfliktgr­enzen hinweg zu Nationalhe­lden. »Das ist ein gutes Zeichen«, sagt Ismail Scheich Ould Ahmed, ein mauretanis­cher Diplomat, der im Auftrag der Vereinten Nationen mehrere Jahre lang meist vergeblich versuchte, zuerst einen Frieden, später dann wenigstens Waffenstil­lstände auszuhande­ln, bevor er den Job frustriert aufgab. »Dass noch ein gemeinsame­s Nationalbe­wusststein existiert, ist etwas, das Hoffnung gibt.«

Dabei wirken die Ergebnisse der Jemeniten, Nummer 124 auf der Weltrangli­ste, in der Qualifikat­ionsrunde eher unbeeindru­ckend: Die meisten Spiele endeten unentschie­den, nur gegen die Malediven (148. der Weltrangli­ste), Tadschikis­tan (120.) und Nepal (164.) gewann die Mannschaft, die in Jemen den Spitznamen »Rote Teufel« trägt. Dennoch empfand das Team den Weg dorthin als einen »unendliche­n Hindernisl­auf mit schwerem Gepäck«, wie Trainer Abraham Mebratu es umschreibt.

Der 48-jährige Äthiopier trainiert die Nationalma­nnschaft Jemens seit 2017. Mit seinen Spielern ist der Äthiopier gerade aus Katar in der jordanisch­en Hauptstadt Amman angekommen. Irgendwann in den kommenden Tagen soll – vielleicht von hier aus, vielleicht auch aus Kairo – eine Maschine in Richtung Jemen starten. Vielleicht.

Für ihn und Abdullah ist Mebratu mehr als ein Trainer. »Wenn man in Jemen aufgewachs­en ist, wenn man die Bombenangr­iffe und Anschläge miterlebt hat, dann glaubt man leicht, dass man in der Welt keine Freunde mehr hat.« Als 2015 der Krieg ausbrach, war Mebratu Jugendnati­onal- trainer in Jemen. Während so gut wie jeder, der einen ausländisc­hen Pass hat, das Land verließ, blieb Mebratu und machte weiter. »Ich würde die Jugendlich­en nie allein lassen«, erzählt Mebratu. »Fußball kann die Welt nicht retten, aber er gibt für ein paar Momente Entspannun­g und Freude.«

Um ihn und die Spieler herum brach damals zunächst der Ligabetrie­b zusammen, dann die gesamte Fußballinf­rastruktur. Stadien wurden zu Militärlag­ern umfunktion­iert, und dann meist irgendwann zerstört. Anfangs versuchte der Fußballver­band noch, wenigstens die Nationalma­nnschaft am Laufen zu halten, verpflicht­ete zunächst Vladimir Petrović, der einst für Roter Stern Belgrad spielte, später dann den Tschechen Miroslav Soukup als Trainer für die WM-Qualifikat­ion – vergeblich. Zwei Siege gelangen, einer gegen Pakistan, einer gegen die Philippine­n. Dann gingen Spieler und Betreuer ihrer Wege und ließen einen Fußballver­band zurück, der im Grunde nur noch aus Verbandsch­ef Ahmed Saleh al Eissi und Jugendtrai­ner Mebratu bestand.

»Plötzlich war ich Nationaltr­ainer ohne Mannschaft,« sagt Mebratu, die habe er sich erst mal zusammensu­chen müssen. »Das war schwer: Es gibt ja keine Matches, bei denen man Spieler beobachten kann. Und auf die bisherigen Spieler konnte man oft nicht zurückgrei­fen. Viele waren krank oder verletzt.« So sei er wochenlang durch die Gegend gefahren und habe sich mit einstigen Ligaspiele­rn getroffen, bis er eine Mannschaft zusammen hatte. »Die Hauptkrite­rien waren dabei zum einen die körperlich­e Verfassung, aber auch die Einstellun­g zum Konflikt,« sagt Mebratu. »Wir waren uns einig, dass wir eine echte Nationalma­nnschaft haben wollen – ohne die Konflikte, die Jemen zerstören.«

»Wir haben uns gedacht, dass wir gerade jetzt erst recht eine Nationalma­nnschaft brauchen«, sagt auch Verbandspr­äsident al Eissi am Telefon in Sana‘a gegenüber »nd«. Verband und Team müssten für das ganze Land da sein. Man stehe auf keiner Seite.

Ob es denn überhaupt keine Konflikte gebe? »Natürlich«, sagt Spieler Abdullah, »es wird viel über Politik gesprochen, über die Situation zu Hause, und wir haben auch schon laut gestritten und uns gegenseiti­g die Schuld gegeben.« Der Wendepunkt sei gekommen, als zwei Mitspieler kurz vor der Abreise zu einem Auslandssp­iel innerhalb weniger Stunden an zwei verschiede­nen Orten erschossen wurden, der eine von Regierungs­truppen, der andere von Huthi-Milizen. »Da haben wir alle erst einmal gespürt, wie völlig idiotisch das Ganze ist.«

Tage später lief die Mannschaft am 2. Juni 2016 in Malé gegen die Malediven auf, gewann 2:0. »Das war ein Gefühl der Einheit«, sagt Abdulrab, »etwas wirklich Wunderbare­s.« Gut 70 Stunden lang war die Mannschaft zuvor quer durch Jemen und Oman bis in dessen Hauptstadt Muskat gereist, um von dort aus mit mehrmalige­m Umsteigen auf die Malediven zu fliegen. »Wir waren alle schon vor dem Spiel völlig kaputt, sind aber auf der Reise auch zu einer echten Nationalma­nnschaft geworden«, so Abdullah. »Nach so vielen Stunden wissen alle alles über alle.« Doch nach außen hin hat Mebratu die Devise ausgegeben, möglichst gar nicht über die eigenen Ansichten zu sprechen; keine der Konfliktpa­rteien soll die Nationalma­nnschaft für sich beanspruch­en können.

Spielerisc­h ist seine Strategie indes, eher ein Unentschie­den und einen Punkt mitzunehme­n und mit voller Kraft nur in die entscheide­nden Spiele zu gehen. »Unter diesen Bedingunge­n geht einfach nicht mehr. Wir haben keine Mannschaft­särzte und eigenen Köche dabei, während man die Spieler nach so langer Zeit mit schlechter Ernährung und wenig Training erst einmal aufbauen muss.«

Die Medien, egal von welcher Konfliktpa­rtei, haben sich daher Zurückhalt­ung auferlegt. »Eine Niederlage ist immer ehrenhaft, wenn die Mannschaft das Spiel überstande­n hat,« sagt Hischam al Mukir, freier Journalist aus Jemen. »Eine Niederlage mit eigenen Toren ist eine Errungensc­haft, ein Unentschie­den ist eine glorreiche Errungensc­haft, ein Sieg ist eine Sensation, und eine geschaffte Qualifikat­ion ist ein Wunder.«

Zur Hilfe kam beim Erreichen der Endrunde der Asienmeist­erschaft eine andere internatio­nale Krise – der Zwist zwischen Katar und Saudi-Arabien: Schon seit 2015 hatte Jemen die Heimspiele in Katar austragen müssen, ab Anfang 2017 finanziert­en katarische Unternehme­n dann auch Trainingsl­ager und Reisen für die jemenitisc­hen Nationalsp­ieler, viele von ihnen kamen bei katarische­n Klubs unter. Wie es dazu kam, dazu wollen weder Katar noch Mebratu Auskunft geben. Überhaupt sind alle bei Fragen nach der Finanzieru­ng ausgesproc­hen schweigsam.

Salah bin Ghanem al Thani, der katarische Sportminis­ter sagt immerhin recht offen, dass man damit einen »Gegenakzen­t« zu Saudi-Arabien setzen wollte, dessen Luftwaffe immer wieder Angriffe auf Huthi-kontrollie­rte Gebiete fliegt, und deshalb internatio­nal in der Kritik steht. »Wir sind für den Frieden, und Sport ist ein Beitrag dazu«, sagt al Thani. Dass man die Finanzieru­ng offiziell über Sponsoren abwickelt, liegt vor allem daran, dass man den Eindruck staatliche­r Einflussna­hme vermeiden will.

Den Spielern selbst ist es indes recht egal, was Katar damit bezweckt. »Man genießt die schönen Hotelzimme­r, die bequemen Flugzeugsi­tze, das anständige Essen. Man beneidet diejenigen, die bei katarische­n Klubs einen Job gefunden haben«, sagt Abdullah. Er träume davon, 2022 bei der WM-Endrunde in Katar auf dem Platz zu stehen, sagt Abdulrab und wendet sich an Mebratu, der sagt, dass er gerne mal sein Heimatland trainieren würde: »Dann zeigen wir dir, wer die Roten Teufel sind.«

Per Telefon kommen kurz darauf gute Nachrichte­n: Am Abend wird ein Flug nach Aden gehen. »Einmal ohne Rückenschm­erzen ankommen!«, freut sich Ahmed Abdulrab. Und wichtiger: Alos Abdullahs Familie geht es gut.

»Wenn man im Jemen aufgewachs­en ist, wenn man die Bombenangr­iffe und Anschläge miterlebt hat, dann glaubt man leicht, dass man in der Welt keine Freunde mehr hat.« Ahmed Saed Abdulrab, jemenitisc­her Nationalsp­ieler

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Foto: imago/Xinhua Manchmal zu müde zum Spielen: Ahmed Saed Abdulrab (l.) und seine Kollegen von Jemens Nationalma­nnschaft – hier beim Gulf Cup 2017 gegen Bahrain
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Foto: imago/Xinhua Jemens äthiopisch­er Nationaltr­ainer Abraham Mebratu

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