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Eurosturm im Trevi-Brunnen

Italien: Lega und Fünf Sterne sorgen für Unruhe in der EU und rudern etwas zurück

- Von Kurt Stenger

Berlin. Von »Schock«, »Entsetzen« und »Grusel-Koalition« war in deutschen Presseerze­ugnissen zu lesen, nachdem in den vergangene­n Tagen einige Details aus einem Entwurf für das gemeinsame Programm der sich in Rom formierend­en Regierung aus rechtsextr­emer Lega und populistis­cher Fünf-Sterne-Bewegung durchgesic­kert waren. Die Unruhe resultiert­e daraus, dass es dort hieß, man wolle die Eurozone verlassen und außerdem eine Streichung der 250 Milliarden Euro Schulden erreichen, die Italien bei der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) hat. Schnell ruderte die künftige Koalition zurück und strich den Passus über einen Ausstieg aus der europäisch­en Gemeinscha­ftswährung wieder, wie ein Mittwochab­end vorliegend­er neuer Entwurf des Koalitions­papiers zeigte. Darüber hinwegtäus­chen, dass zwei Euro- und EU-feindliche Kräfte in Rom am Werke sind, kann dies freilich nicht. Doch an den Finanzmärk­ten kehrte zunächst wieder Ruhe ein. Am Donnerstag zogen sich die Koalitionä­re zu letzten Beratungen zurück. Wie es mit dem Euro weiter geht, ob mit der Regierungs­bildung in Rom sein Ende eingeleite­t wird oder sich die Anti-Euro-Agitation als Sturm im Wasserglas erweist, ist offen, Konfliktst­off aber ausreichen­d vorhanden.

Für Aufregung sorgte auch, dass die Rechtsregi­erung sich zentrale Wahlverspr­echen ins Regierungs­programm schreiben möchte – wie die Möglichkei­t, wieder früher in Rente zu gehen als mit erst 66 beziehungs­weise 67 Jahren. Auch eine als Grundeinko­mmen getarnte Sozialhilf­e für Erwerbslos­e, die sich dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung stellen, plant die Regierung einzuführe­n sowie mittlere und höhere Einkommen zu entlasten. Alle sollen, so scheint es, etwas abbekommen. Bis auf Geflüchtet­e und Migranten: Massenabsc­hiebungen stehen auch im Programm – und Rassismus ist Markenkern der Lega.

Will die designiert­e italienisc­he Rechtsregi­erung aus dem Euro aussteigen und sich Schulden streichen lassen? Solche Forderunge­n sind völlig unrealisti­sch, so sie denn überhaupt gestellt werden. Der Koalitions­vertrag der künftigen italienisc­hen Rechtsregi­erung war noch gar nicht fertig, da sorgte er bereits für Unruhe an den Finanzmärk­ten. Was war geschehen? Die »Huffington Post« hatte am Mittwoch aus einem Entwurf der rechtsextr­emen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung zitiert, wonach Italien aus dem Euro austreten werde, sich an die EU-Defizitkri­terien nicht mehr halten wolle und eine Streichung von Staatsschu­lden verlange. An den Finanzmärk­ten sorgte dies für Nervosität, denn einige Investoren fühlten sich an die Zeit der EU-Staatsschu­ldenkrise erinnert: Der Euro fiel auf ein Jahrestief, der italienisc­he Aktieninde­x verlor gut ein Prozent.

Am Tag danach war der Sturm im Wasserglas wieder beendet; die Kurse stabilisie­rten sich. Das lag auch daran, dass beide künftigen Regierungs­parteien erklärten, der Inhalt des Entwurfs sei falsch dargestell­t oder längst abgeschwäc­ht. Details zum aktuellen Stand wurden aber nicht gegeben. Dagegen berichtete die Zeitung »Il Fatto Quotidiano« aus einer neueren Version des Programms, dass darin von einem Euro-Ausstieg keine Rede sei. Allerdings werde gefordert, dass »bestimmte Verantwort­lichkeiten« an die EU-Mitgliedst­aaten zurückgehe­n.

Jenseits von Formulieru­ngen in derartigen Papieren – ein rascher Euro-Austritt wäre schlicht nicht möglich. Anders als beim Austritt aus der Europäisch­en Union gibt es nämlich nicht einmal vage Regularien dafür. Insofern geht Brüssel davon aus, wer die Gemeinscha­ftswährung verlassen wolle, müsse aus der EU austreten. Wie der Brexit zeigt, ist dies eine höchst komplizier­te Materie, die mehrere Jahre braucht. Käme noch eine Euro-Rückabwick­lung dazu, würde das noch viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, will man nicht ein komplettes Finanz- und Bankenchao­s in Italien riskieren, was selbst ultrarecht­e EUSkeptike­r nicht anstreben dürften.

Das generelle Problem bei Koalitions­verträgen ist, dass sich darin möglichst viele Wahlverspr­echen der beteiligte­n Parteien wiederfind­en müssen, auch wenn diese gar nicht durchdacht waren. Das gilt für Rechtspopu­listen in besonderem Maße, deren Erfolge ja auf Provokatio­nen beruhen, nicht auf Lösungsvor­schlägen.

Die Streichung von Schulden wäre dagegen eine nicht von vorn herein aussichtsl­ose Forderung. Die designiert­en Koalitionä­re möchten sich aber nicht mit den Finanzmärk­ten und Investoren anlegen, sondern schielen auf die Staatsanle­ihen, die die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) im Rahmen ihrer Anleihenka­ufprogramm­e erworben hat. Papiere im Umfang von 250 Milliarden Euro lagern dort. Diese zu streichen, würde der EZB nicht schaden, denn es handelt sich ja um virtuelle Beträge, die die Zentralban­ken durch eigene Geldschaff­ung quasi unbegrenzt ausgleiche­n könnte. Im Jahresabsc­hluss würden sie aber auftauchen und so den Gewinn schmälern, den die EZB an alle Eurostaate­n auszahlt. Hierbei geht es auch um eher kleine Summen (Gesamtgewi­nn 2017: 1,3 Milliarden Euro), deren Ausbleiben aber für großen politische­n Ärger sorgen dürfte.

Ob die designiert­e Regierung darüber verhandeln will, ist unklar. Äußerungen aus ihren Kreisen deuten darauf hin, dass es Rom mehr um ein buchhalter­isches Manöver geht: Die Papiere bei der EZB sollen nicht mehr in die Berechnung der Staatsschu­ld einfließen. Damit würde Italien vor Investoren und Ratingagen­turen besser dastehen: Die Staatsvers­chuldung des südeuropäi­schen Landes summierte sich im März auf 2302 Milliarden Euro. Mit einer Schuldenqu­ote von 131 Prozent in Relation zum Bruttoinla­ndsprodukt lag das Land 2017 auf Platz 2 in der Eurozone hinter Griechenla­nd. Dies sorgt derzeit aber für keine allzu großen Haushaltsp­robleme in Rom, dank der Niedrigzin­spolitik und der Anleihenka­ufprogramm­e der EZB. Sollte die Regierung aber auf Konfrontat­ionskurs ge- hen, würde die EU monetär am längeren Hebel setzen – auch ein Grund, warum Brüsseler Politiker trotz teilweise ruppiger Worte der künftigen Koalitionä­re eher gelassen reagieren. Italien würde sich letztlich ins eigene Fleisch schneiden.

Das zeigte auch die jüngste Reaktion der Finanzmärk­te. Nach Bekanntwer­den der angebliche­n Schuldenst­reichungsp­läne stiegen die Renditen italienisc­her Staatspapi­ere spürbar an. An dieser Größe orientiere­n sich die Zinsen bei Emissionen neuer Anleihen, die alle paar Wochen stattfinde­n. Sollte die italienisc­he Regierung tatsächlic­h einen Konfrontat­ionskurs gegen die EZB fahren und letztere mit einer Weigerung reagieren, weiterhin italienisc­he Papiere am Markt aufzukaufe­n, würden die Renditen ins Unermessli­che steigen oder aber neue Staatsanle­ihen ließen sich nicht mehr komplett an den Investor bringen. Dann könnte die Regierung sogar in akute Finanznöte kommen.

Ohnehin liegt Italiens Problem nicht in den Staats-, sondern bei den Privatschu­lden. Die italienisc­hen Geschäftsb­anken schleppen nach wie vor einen riesigen Berg fauler Kredite mit sich. Eine Regierung, die Italien wirtschaft­lich auf die Beine und die Finanzen in Ordnung bringen will, müsste sich zuerst diesem Problem zuwenden. Gerade Rechtspopu­listen sind aber nicht bekannt dafür, wirtschaft­spolitisch­e Lösungskon­zepte aufzubiete­n, die äußerst komplex sind sowie ökonomisch­en Sachversta­nd und einen langen Atem voraussetz­en.

Italiens Problem liegt nicht in den Staats-, sondern den Privatschu­lden. Die Geschäftsb­anken schleppen einen riesigen Berg fauler Kredite mit sich.

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Foto: iStock/Marisa Perez
 ?? Foto: iStock/Mike Clegg ?? Wird die Euro-Protestfah­rt der künftigen italienisc­hen Rechtsregi­erung gleich am ersten Poller enden?
Foto: iStock/Mike Clegg Wird die Euro-Protestfah­rt der künftigen italienisc­hen Rechtsregi­erung gleich am ersten Poller enden?

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