nd.DerTag

Abgleich der Interessen in Sotschi

Russlands Präsident und deutsche Kanzlerin suchen Gemeinsamk­eiten in schwierige­n Zeiten

- Von Klaus Joachim Herrmann

Am heutigen Freitag reist Angela Merkel zu Wladimir Putin. Die deutschrus­sischen Beziehunge­n sind so gespannt wie lange nicht mehr. Vorbereite­t wurde der Besuch durch eine Ministerre­ise von Heiko Maas, der im Ruf steht, mit der traditione­llen Russlandpo­litik der SPD zu brechen.

Der Besuch ist kurz, die Liste der schwierige­n Themen lang. Angela Merkel und Wladimir Putin könnten in Sotschi angesichts gemeinsame­r Interessen eine Verbesseru­ng der Beziehunge­n versuchen. Der Verkäufer am riesigen Moskauer Taganka-Pklatz, wo ich in diesen Maitagen eine Telefonkar­te erwerbe, sieht Deutschlan­d schon als Fußball-Weltmeiste­r. »Wer sonst?« Ich lobe die Sbornaja für ihre Siege bei der Eishockey-WM. Schließlic­h werden mir »Grüße an Frau Merkel« aufgetrage­n. Ich gebe welche an Wladimir Putin in Auftrag. Wir verabschie­den uns heiter nach entspannte­r Annäherung.

Bei Deutschlan­ds Langzeit-Kanzlerin und Russlands Langzeit-Präsidente­n ginge das sicher zu weit. Sie gehen als alte Bekannte in ihre wohl schwierigs­te jeweils vierte Amtszeit. Die Ost-West-Beziehunge­n sind nicht nur gespannt, sondern vergiftet. Der Gesprächsf­aden ist nie völlig gerissen, doch immer dünner geworden. Insbesonde­re der NATO-Vormarsch mit deutscher Beteiligun­g an Russlands Grenzen und die Ukraine-Politik des Kreml mit Übernahme der Krim schürten Misstrauen bis hin zur Feindselig­keit. Washington hat dazu unter den Präsidente­n Barack Obama und Donald Trump nach Kräften beige- tragen. In Syrien befinden sich Russland und westliche Alliierte in Schussweit­e. Sanktionen und Gegensankt­ionen ersetzen Politik. Diplomaten werden zu Dutzenden rausgeworf­en. Erst vom Westen, dann von Russland. Dazu ein Propaganda­krieg.

»Was denkt man in Deutschlan­d über uns Russen«, werde ich in diesen Moskauer Maitagen nicht nur einmal gefragt. »Wir sollen an allem schuld sein, auch an den unsinnigst­en Sachen«, meint Olga Maximowna, die ihre Rente mit Stadtführu­ngen aufbessert. »Können Sie sich vorstellen, wie man sich da fühlt?«.

Die Mehrheit ihrer Landsleute sieht das eigene Land internatio­nal isoliert. Der Westen trete Russland mit Angst, Besorgnis und Verachtung gegenüber, sorgen sie sich. Das ermittelte­n die Meinungsfo­rscher des unabhängig­en Lewada-Zentrums. Immer weniger Menschen wollten für festere Bindungen an den Westen eintreten. Sie seien auch immer weniger bereit, die westliche Kritik zu akzeptiere­n, die »in der Propaganda als Russophobi­e übersetzt wird«, wie Lewada-Direktor Lew Gudkow analysiert.

»Es ist das erste Mal, dass es uns besser geht«, sagt der 56-jährige Restaurant­chef Pjotr Alexandrow mit Blick auf den wirtschaft­lichen Aufschwung nach dem Niedergang in den »Wilden Neunzigern« mit der brutalen Privatisie­rung unter Präsident Boris Jelzin. Bis zum Jahr 2014 sei es dann unter Putin bergauf gegangen. »Aber sie gönnen uns das nicht.«

Die Kanzlerin wird für Fortschrit­te oder gar Erfolge zwischen Washington, Moskau, Kiew und Brüssel – also zwischen allen Fronten – heftig lavieren müssen. In der präsidiale­n Sommerresi­denz Sotschi geht es um den Bruch des Atomvertra­ges mit Iran durch die USA, den Syrienkonf­likt und die Ukrainekri­se. Gemeinsame Interessen könnten vielleicht wieder zu einer gewissen Annäherung führen. 90 Minuten sind für die Beratung angesetzt, doch sie dürfte länger dauern.

Denn an der Einhaltung des Vertrages mit Iran oder Entspannun­g in den kriegerisc­hen Konflikten ist Berlin wie Moskau gelegen. Die russische Duma verabschie­dete am Donnerstag Gegensankt­ionen gegen die USA in zweiter Lesung. Deutsche Firmen können künftig übel in die Zwickmühle geraten. Ihnen drohen Strafen der USA, wenn sie sich nicht an die Sanktionen gegen Moskau halten. Von russischer Seite drohen ihnen Strafen, wenn sie die US-Sanktionen erfüllen. Derweil denkt auch Brüssel über die Abwehr von Trumps Sanktionen nach, Berlin über seine transatlan­tische Gefolgscha­ft.

Dazu passt der Kampf um die Gasleitung Nord Stream 2 von Russland nach Deutschlan­d. Der Ukraine drohen mit ihren Inbetriebn­ahme große Einnahmeve­rluste als Transitlan­d, die USA will Europa selbst Flüssiggas verkaufen und Länder der EU fürchten zu große Abhängigke­it von Moskau. »Die Bundesregi­erung macht sich zum Steigbügel­halter des autokratis­chen Präsidente­n Putin«, schimpfte Grünen-Vorsitzend­e Annalena Baerbock bei T-Online gegen die Röhren. Doch da irrt sie gründlich.

Denn Putin sitzt sicher im Sattel. Gerade erst demonstrie­rte Russland zum »Tag des Sieges« am 9. Mai mit einer Parade unter viel Beifall an den dicht gesäumten Straßen zurückgewo­nnene militärisc­he Stärke. Der Marsch des »Unsterblic­hen Regiments« vereinte allein in Moskau eine Million Menschen – und im ganzen Land über zehn Millionen – in der Erinnerung an den Sieg im Großen Vaterländi­schen Krieg gegen Hitlerdeut­schland vor 73 Jahren und im Gedenken an ihre als Helden gefeierten Angehörige­n.

Der Präsident lief mit einem Bild seines Vaters inmitten der Demonstran­ten. Er wurde mit Beifall gegrüßt – auch bei einer Liveschalt­ung auf einer Videowand am Rande der Twerskaja Straße, die vom Belorussis­chen Bahnhof zum Roten Platz führt. Die Amtseinfüh­rung Putins zwei Tage zuvor war nach den Erhebungen der Soziologen des russischen Zentrums WZIOM mit 53 Prozent wie keine zuvor vom Stolz seiner Landsleute auf Russland begleitet.

Kritik muss der Staatschef allerdings für die beabsichti­gte Reform des Renteneint­rittsalter­s und die Nominierun­g seines langjährig­en Vertrauten Dmitri Medwedjew als Premier einstecken. Der sei »karmany«, hört man in Moskau, was sich auch mit handzahm übersetzen ließe. Eben mit seinem Premier bespricht der Präsident unmittelba­r vor dem Treffen mit Merkel die Formierung der Regierung und ihre Programmat­ik.

Für Kanzlerin Merkel wird Putin kein leichter, wenn auch ein gewohnt berechenba­rer Partner sein. Das machte er beim Thema Krim am Dienstag in genau 16 Minuten deutlich. Am Steuer eines KamAS-Lkw nahm er die Brücke zwischen dem Gebiet Krasnojars­k und Kertsch für den Autoverkeh­r in Betrieb. Von dieser sei sogar von Väterchen Zar geträumt worden, dankte er den Erbauern der 19 Kilometer langen Brücke: »Die Krim – das ist Russland.« Die russische Botschaft in Washington beschied dem US-Außenminis­terium, Moskau werde bei niemandem Erlaubnis für den Ausbau der Infrastruk­tur im Interesse der Einwohner von Regionen des Landes einholen. Das ist die vorherrsch­ende Ansicht. Eine ältere Moskauerin berichtet, wie ihre Schwester auf der Krim sie beschworen habe: »Verschenkt uns um Gottes Willen nicht noch einmal!«

Die Mehrheit der Russen sieht das eigene Land internatio­nal isoliert. Der Westen trete Russland mit Angst, Besorgnis und Verachtung gegenüber, sorgen die Menschen sich.

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Foto: AFP/Dmitry Astakhov

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