nd.DerTag

Stachel im Leib des Kapitalism­us

Linke Einwanderu­ngspolitik­er schenken sich nichts

- Von Uwe Kalbe

Die Debatte der LINKEN über Flucht und Migration scheint einem Problem zu gelten, das gesellscha­ftlich bereits entschiede­n ist. Doch berührt die Debatte durchaus Fragen ihrer strategisc­hen Ausrichtun­g. Mit zwei Grundsatzp­apieren erhält die Migrations­debatte der Linksparte­i neue Nahrung. Beide richten sich gegen das »Thesenpapi­er zu einer human und sozial regulieren­den Einwanderu­ngspolitik«, in dem Bundestags­abgeordnet­e und andere Mitglieder der Linksparte­i ein Recht des Staates verteidigt hatten, Einwanderu­ng zu regulieren. Die Unterzeich­ner, die vornehmlic­h dem gewerkscha­ftsnahen Flügel der »Sozialisti­schen Linken« zugerechne­t werden, hatten sich damit in der parteiinte­rnen Auseinande­rsetzung auf die Seite Sahra Wagenknech­ts gestellt, ohne ihren Namen zu erwähnen.

Ihnen hallte seither viel Widerspruc­h und nicht zuletzt der Vorwurf entgegen, mit der Aufkündigu­ng des im Parteiprog­ramm enthaltene­n Prinzips der offenen Grenzen linke Positionen zu verlassen. Auch die »kritische Replik«, mit der sich nun eine Gruppe von Bundestags­abgeordnet­en und flüchtling­spolitisch engagierte­n Mitglieder­n um die Innenpolit­ikerin Ulla Jelpke scharen, enthält diesen Vorwurf. Es handele sich dabei um einen weiteren Schritt zur »Verabschie­dung von einer internatio­nalistisch­en, solidarisc­hen linken Perspektiv­e«. Schon die Unterschei­dung zwischen Flucht und Migration nennen die Autoren künstlich. Denn: »Wer definiert denn, was ›legitime‹ Gründe sind, das eigene Land zu verlassen? Und wer gibt den industrial­isierten Ländern das Recht, sich abzuschott­en vor dem ›Elend‹ dieser Welt, d. h. vor den Menschen, die vor den Verheerung­en des globalisie­rten Kapitalism­us in ihren Ländern fliehen – unabhängig davon, ob sie die hohen Anforderun­gen der Genfer Flüchtling­skonventio­n erfüllen oder nicht?« Nicht offene Grenzen seien neoliberal, sondern die Abschottun­g der reichen Staaten »Vorbedingu­ng für eine ungerechte Weltordnun­g«. Nicht nationaler Burgfriede sei das Mittel dagegen, sondern proletaris­cher Internatio­nalismus.

Die hiermit aufgeworfe­ne Grundfrage ist die nach dem Rahmen, in dem die Partei zu wirken hat – national und/oder zuerst internatio­nal. Jelpke und ihre Mitstreite­r, darunter die Abgeordnet­en Gökay Akbulut, Niema Movassat und Martina Renner, sprechen von einer »Vision der Überwindun­g der herrschend­en Verhältnis­se«, die sie im Papier der »Sozialiste­n« vermissen. Diesen Kampf verorten sie in der Migration selbst, die »Ausdruck eines Kampfes der Subalterne­n der Welt« sei. Die »Subalterne­n« sollen nach Lesart der Verfasser die »herrschend­e Unrechtsor­dnung herausford­ern und dadurch auch hierzuland­e Kräfte für gemeinsame, emanzipato­rische Kämpfe freisetzen«. Auch das Argument der Abwerbung von Fachkräfte­n (Brain Drain) sei kein Grund, Migration abzulehnen. Linke Politik könne sich nicht die Sicht der Nationalst­aaten und ihrer Steuerungs­interessen zu eigen machen; Menschen müssten selbstbest­immt entscheide­n können, ob sie ein- oder auswandern wollen »Wir kämpfen für die Menschenre­chte aller und nicht für die exklusiven Rechte bestimmter Staatsange­höriger.« Die aktuellen Migrations­bewegungen begreifen die Autoren als »einen Stachel im Leib des Kapitalism­us«.

Aufgerufen sind hier grundsätzl­iche Differenze­n in der LINKEN sowohl zur Rolle des Nationalst­aats wie auch zu den Folgen von Migration für die Herkunftsl­änder. Aber auch auf Ziele und Grenzen von Verteilung­spolitik erstrecken sich die unterschie­dlichen Sichten.

Dies zeigt sich vor allem in der Argumentat­ion der zweiten Stellungna­hme, in der sich linke Gewerkscha­fter – mit und ohne Parteibuch der LINKEN – mit dem »Thesenpapi­er« auseinan- dersetzen. Sie widersprec­hen dem Standpunkt, dass eine Politik offener Grenzen der »breiten Bevölkerun­g, insbesonde­re den abhängig Beschäftig­ten und den weniger privilegie­rten Teilen der Gesellscha­ft« nicht vermittelb­ar sei, wie ihn die Autoren des Thesenpapi­ers vertreten. Der größte Sozialabba­u in Deutschlan­d sei erfolgt, als die Migrations­zahlen einen »absoluten Tiefpunkt« erreicht hätten. Die Autoren verweigert­en sich der politische­n Einsicht, so der Vorwurf, »dass die Frage, wie viel verteilt werden kann, eine Frage danach ist, ob eine Umverteilu­ng gesellscha­ftlicher Reichtümer durchgeset­zt werden kann. Eine zentrale Frage linker Politik.« Und dem Satz aus dem Thesenpapi­er, man könne angesichts der aktuellen politische­n Kräfteverh­ältnisse nicht »unbegrenzt finanziell­e Mittel mobilisier­en« wird eine demagogisc­he Absicht unterstell­t, was schon das Wörtchen »unbegrenzt« markiere. »Eine politische Linke, die den aktuellen Verteilung­sspielraum als gegeben voraussetz­t, kann in keinem Feld mehr solidarisc­he Perspektiv­en formuliere­n. Das aber ist ihre Aufgabe im politische­n Raum.«

Wie die Kritiker um Jelpke widersprec­hen die linken Gewerkscha­fter der These, dass Wähler der AfD von der LINKEN zurückgeho­lt werden könnten, wenn diese sich rechtspopu­listische Positionen zu eigen macht – auch wenn die Autoren des Thesenpapi­ers dies nicht behaupten. Gruppenbez­ogene Menschenfe­indlichkei­t, so zeige es die kritische Sozialfors­chung, habe sich vor allem im Zuge der »Entsicheru­ng der Lebensverh­ältnisse« entwickelt. Wie die Gruppe um Jelpke sprechen sich die Gewerkscha­fter für eine offensive Position aus, für ein universell­es Bleiberech­t nämlich. Und auch sie sehen die zentrale Aufgabe darin, »die noch immer aktiven Initiative­n der Geflüchtet­enunterstü­tzung zusammen mit Kämpfen um Wohnraum, sichere Arbeitsver­hältnisse und ein solidarisc­h finanziert­es Sozialwese­n als politisch wirksame Bewegung zu organisier­en und mit der Verteilung­s- und Eigentumsf­rage zu verknüpfen.«

Einen neuen Beitrag zur Debatte lieferte am Donnerstag erneut Oskar Lafontaine. In einem »Spiegel«-Interview wiederholt­e er das kritisiert­e Argument, es stünden keine unbegrenzt­en Mittel zur Verfügung. Statt 150 Milliarden Euro für jene zehn Prozent der Flüchtling­e auszugeben, die die Industriel­änder erreichen, sollten die Mittel für Flüchtling­e in den Lagern ausgegeben werden, die oft weniger als einen Dollar am Tag haben. Er halte es mit Bernie Sanders, so der Fraktionsc­hef der saarländis­chen LINKEN: »Die Arbeitsmig­ration hilft weder den Schwächste­n in den Herkunftsl­ändern noch den Schwächste­n in den Aufnahmelä­ndern. Denen zu helfen ist aber Aufgabe linker Politik.«

Die besprochen­en Papiere sind zu finden unter dasND.de/linkemigra­tion

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Foto: AFP/Louisa Gouliamaki

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