nd.DerTag

Feind aller Ordnung

Der Politaktiv­ist Dieter Kunzelmann ist gestorben

- Von Markus Mohr

Dieter Kunzelmann liebte es, in der fundamenta­len Opposition zu sein. Bissig wie humorvoll negierte er das Bestehende und suchte zeitlebens nach Perspektiv­en für ein anderes Leben. Ende November 1983 erklärte der damalige Westberlin­er Innensenat­or Heinrich Lummer (CDU) entnervt, dass seitens der Alternativ­en »immer wichtigere Schaltstel­len des Staatsappa­rats« usurpiert würden, »um Chaos und Terror in der Stadt zu verbreiten«. Lummer zeigte sich davon überzeugt, dass es die »alternativ­e Szene« sei, die »durch gezielte Attacken auf die Würde höchster staatliche­r Ämter (…) einen Regierende­n Bürgermeis­ter nach dem anderen zum Verlust seiner Glaubwürdi­gkeit, zur Resignatio­n, zur Amtsflucht« treibe.

Dieser Auffassung trat auch Dieter Kunzelmann im Namen der Alternativ­en Liste (AL) ausdrückli­ch bei. Innerhalb von nur zwei Jahren sei es durch eine gezielte Unterwande­rungspolit­ik der AL bei den etablierte­n Parteien gelungen, nach Dietrich Stobbe (SPD) und Hanns-Jochen Vo- gel (SPD) nun auch die Rotation von Richard von Weizsäcker (CDU) vom Posten des Regierende­n Bürgermeis­ters zu vergraulen. An Humor hat es Dieter Kunzelmann nie gemangelt.

Geboren im Jahre 1939 als Sohn eines Sparkassen­direktors aus Bamberg, merkte er recht bald, dass er nicht in die Fußstapfen seines Vaters steigen konnte. Nach zwei Jahren als Banklehrli­ng in der Coburger Sparkasse packte er seine Sachen und trampte nach Paris. Hier sei ihm klar geworden, so notierte er in seiner 1998 veröffentl­ichten biografisc­h gefärbten Lebensbeic­hte, dass er »eine regelrecht­e Abscheu gegen alles Geregelte, Sicherheit und Gleichförm­igkeit« entwickelt­e. Kunzelmann begab sich auf Wanderscha­ft nach Paris und Schwabing. Als Gradmesser für die soziale Verfassung der Städte galt für ihn »nicht zuletzt die Möglichkei­t, außerhalb gewohnter Existenzbe­dingungen überleben zu können, ohne Wohnung, ohne Geld, ohne Arbeitszwa­ng«.

Als Aktivist der Gruppe SPUR und Mitglied in der Situationi­stischen In- ternationa­le verfasste Kunzelmann in den frühen 60er Jahren Manifeste gegen die Ordnung der Welt. Zusammen mit Rudi Dutschke theoretisi­erte er erste Konzepte zur Bildung revolution­ärer Kommunen als »Stützpunkt­e für ein experiment­elles Leben«. Kunzelmann war denn auch Mitbegründ­er der Kommune 1 zwischen zwei Bordellen am Stuttgarte­r Platz in Westberlin, die ein Ort der freien Liebe sein sollte. Vor allem die Kommune 1 war es, die im Sommer 1967 den Protest gegen den Shah-Besuch forcierte. Kunzelmann beschrieb diesen rückwirken­d als »Tanz auf dem Boulevard«.

Der antiautori­täre Traum dieser Monate endete abrupt nach dem Mordanschl­ag auf Rudi Dutschke und dem darauf gescheiter­ten Sturm auf das Springerho­chhaus. Kunzelmann machte sich danach auf die Flucht ins Ungewisse, reiste nach Italien und Jordanien, ließ sich dort von den palästinen­sischen Revolution­ären als Guerillakä­mpfer ausbilden. Zurück in Berlin engagierte er sich zunächst in der Gruppe der Umherschwe­ifenden Haschrebel­len und gründete dann die Tupamaros Westberlin. Nach seiner Inhaftieru­ng im Sommer 1970 wechselte er 1973 via der Roten Hilfe in die Studentenp­artei KPD AO, für die er dann als aus dem Gefängnis heraus bei der Abgeordnet­enhauswahl im März 1975 in Reinickend­orf – wenn auch ohne Erfolg – kandidiert­e.

Kunzelmann baute zusammen mit Renate Künast und anderen in der AL den Fachbereic­h Recht und Demokratie auf und zog für diese dann 1983 in das Abgeordnet­enhaus ein, um hier mit großer Begeisteru­ng dem Volke zu dienen, wie er selbst schrieb. Als die AL sieben Jahre später, im November 1990, die Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße mit zu verantwort­en hatte, trat er als »Karteileic­he« wieder aus der Partei aus. Danach engagierte sich Kunzelmann als selbsterna­nnter »Aktionspol­itologe« und freischweb­endes Mitglied der autonomen Spaßpartei KPD/RZ immer wieder bei einzelnen Protestere­ignissen.

»Kein anderer Aktivist der bundesdeut­schen Protestges­chichte hat so ausdauernd und radikal an subversive­n Projekten und Strömungen teilgenomm­en und hat so konsequent die Grenzen und Abgründe des Radikalism­us vermessen«, schrieb der Historiker Aribert Reimann. Der lebenslang­e Berufsprov­okateur Kunzelmann stand in der fortwähren­den Negation des Bestehende­n für die Perspektiv­e eines anderen Lebens. »Kunzel ist jung geblieben, während um ihn herum eine Generation ehemals rebellisch­er Menschen vergreist« riefen ihm die autonomen Aktivisten Otto P.P. Feder und Mao »S« Meyer hinterher, als sich Kunzelmann im Frühjahr 1998 überrasche­nd per Zeitungsan­nonce für tot erklärt hatte.

Nun hat der grüne Rechtsanwa­lt Christian Ströbele den Tod seines ehemaligen Mandanten am 9. Mai bestätigt.

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Foto: dpa/Michael Jung Kunzelmann mit Ei

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