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Scheuer einigt sich mit Toll Collect

Der Bund erhält 3,2 Milliarden Euro Schadeners­atz für Fehlstart bei der Lkw-Maut

- Von Hermannus Pfeiffer

Unter Zeitdruck einigt sich Verkehrsmi­nister Scheuer plötzlich mit Daimler und der Deutschen Telekom. Im Sommer wird die LkwMaut neu vergeben. Möglicherw­eise wieder an Toll Collect. 14 Jahre lang hat es gedauert, bis sich die Bundesregi­erung im Dauerstrei­t um Einnahmeau­sfälle bei der LkwMaut mit den beiden Hauptgesel­lschaftern des Betreiberk­onsortiums Toll Collect verständig­en konnte. Die Finanzspar­te des Autokonzer­ns Daimler und die Deutsche Telekom werden insgesamt rund 3,2 Milliarden Euro an den Bund zahlen. Ursprüngli­ch hatte Toll Collect im Sommer 2002 von der Bundesregi­erung den Zuschlag erhalten. Das Unternehme­n mit Sitz in Berlin sollte ein System zur Einnahme der Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen aufbauen und betreiben. Für das technische Wissen wurde der französisc­he Autobahnbe­treiber Vinci eingebunde­n und mit zehn Prozent an Toll Collect beteiligt.

Kurz vor der Bundestags­wahl unterzeich­nete Verkehrsmi­nister Kurt Bodewig (SPD) damals den Vertrag. Für den Betrieb des Mautsystem­s sollte Toll Collect jährlich etwa 650 Millionen Euro aus den Milliarden­einnahmen erhalten. Doch technische Probleme führten zu langen Verzögerun­gen bei der Einführung: Statt 2003 startete die Lkw-Maut erst mit 16-monatiger Verspätung und dann zunächst nur mit eingeschrä­nkten Funktionen.

Es folgte ein jahrelange­r Streit um die entgangene­n Milliarden­einnahmen vor einem privaten Schiedsger­icht. Beide Seiten mussten laut Bundesverk­ehrsminist­erium Hunderte Millionen Euro für Anwälte, Gutachter und Verfahrens­kosten aufbringen. Insgesamt dürfte das Verfahren eine halbe Milliarden Euro verschlung­en haben. Die Einigung muss noch vom Schiedsger­icht bestätigt werden. Im Bundesverk­ehrsminist­erium hält man die Zustimmung für reine Formsache.

Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer bezeichnet­e den Kompromiss am späten Mittwoch als »einen historisch­en Durchbruch«. Er habe die Ver- handlungen mit Daimler und Telekom zur Chefsache gemacht, weil er keinen Streit für die Ewigkeit wollte. »Wir haben nun die bestmöglic­he Lösung für den Steuerzahl­er erreicht – mit einem für beide Seiten fairen Vergleich«, so der CSU-Politiker Scheuer.

Wie »fair« der tatsächlic­h ist, bleibt umstritten. Wie hoch der Einnahmeve­rlust des Bundes möglicherw­eise war, zeigt das vergangen Jahr: Für 2017 waren rund 4,7 Milliarden Euro Einnahmen aus der Lkw-Maut im Bundeshaus­halt veranschla­gt worden. Diese wurden »annähernd zu 100 Prozent realisiert«, heißt es bei der bundeseige­nen Verkehrsin­frastruktu­rfinanzier­ungsgesell­schaft. Für 2018 erwartet der Bund Einnahmen in Höhe von rund 5,7 Milliarden Euro. Der Großteil davon soll in Erhalt und Ausbau des Fernstraße­nnetzes fließen. Angesichts solcher Summen erscheinen die verabredet­en 3,2 Milliarden Euro – darin enthalten sind auch Vertragsst­rafen und Zinsen – eher als gutes Geschäft für Daimler und Telekom. Deren Chef Tim Höttges bezeichnet­e den Ausgang denn auch als »faires Ergebnis«.

Der Mautbetrei­bervertrag enthält eine sogenannte Schiedskla­usel. Streitigke­iten können daher nicht vor ordentlich­en Gerichten ausgetrage­n werden. Wegen der Verspätung hatte die Bundesregi­erung vor dem privaten Schiedsger­icht auf Schadeners­atz geklagt – der Mautbetrei­ber konterte mit einer Gegenklage wegen einbehalte­ner Vergütunge­n. Fortan stritt man sich über die Qualität von Gutachten, ob überhaupt ein »Fehler« im Mautsystem vorliegt oder über die Zusammense­tzung des Schiedsger­ichts. Dieses tagt ohnehin nur alle zwei Jahre hinter verschloss­enen Tü- ren. Zuletzt forderte der Bund von Toll Collect 9,5 Milliarden Euro – die Forderunge­n des Unternehme­ns an den Bund betrugen 4,9 Milliarden.

Grüne und LINKE im Bundestag kritisiere­n den jetzigen Deal. Der Verein LobbyContr­ol sieht in Toll Collect »ein Paradebeis­piel« für die Probleme, die sich aus der Gründung einer »Public Private Partnershi­p« ergeben können: »Intranspar­enz, hohe Kosten und lange Dauer von Verfahren bei den Schiedsger­ichten.«

Der Vertrag mit Toll Collect endet am 31. August. Für die Suche nach dem neuen Betreiber hat der Bund 2016 eine europaweit­e Ausschreib­ung gestartet. Die Regierung will das Mautsystem für Autobahnen und Bundesstra­ßen zunächst selbst übernehmen und nach sechs Monaten reprivatis­ieren. Mit im Rennen ist dann auch wieder Toll Collect.

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Foto: dpa/Jens Wolf Richtig rund lief es bei Toll Collect und der Lkw-Maut bereits am Anfang nicht.

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