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Klage mit Ansage

Die Große Koalition hat es nicht eilig mit der Luftreinha­ltung – nun reicht es der EU

- Von Peter Eßer, Brüssel

Die Luft in deutschen Städten ist nicht so gut, wie man hoffen könnte. Weil die behördlich­en Maßnahmen bisher viel zu lasch sind, drohen Deutschlan­d nun hohe Strafzahlu­ngen aus Brüssel. Es hatte sich seit Monaten angekündig­t, jetzt ist es offiziell: Die EUKommissi­on verklagt Deutschlan­d vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) wegen zu hoher Stickstoff­dioxidwert­e in vielen Städten. Deutschlan­d und fünf weitere Länder hätten es versäumt, sich für die Einhaltung der Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide einzusetze­n, sagte EU-Umweltkomm­issar Karmenu Vella am Donnerstag.

Vella hatte die Umweltmini­ster von neun Ländern Ende Januar nach Brüssel geladen. Sie sollten Vorschläge unterbreit­en, um die Luftqualit­ät in den Städten rasch zu verbessern. »Die Kommission musste feststelle­n, dass die vorgeschla­genen zusätzlich­en Maßnahmen nicht ausreichen, um die Luftqualit­ätsnormen so schnell wie möglich einzuhalte­n«, begründete der Kommissar die Klage gegen sechs der neun Länder.

Die Vorschläge aus Deutschlan­d beinhaltet­en einen verstärkte­n Einsatz von städtische­n Bussen mit Elektroant­rieb. Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge wollte die Bundesregi­erung hingegen vermeiden. Der Kommission reichte das nicht. Anders im Fall von Spanien, Tschechien und der Slowakei: Auch sie hatten Maßnahmen vorstellen müssen, werden aber vorerst nicht verklagt.

Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) bedauerte die Entscheidu­ng der Kommission. Nun seien »so schnell wie möglich« technische Nachrüstun­gen für Diesel-Pkw auf Kosten der Automobilh­ersteller nötig, »denn die haben das Problem verursacht«.

Auch der Deutsche Städtetag forderte rasche Maßnahmen. »Die nun beschlosse­ne Klage zeigt den Ernst der Lage und macht sehr deutlich, dass die Stickstoff­dioxid-Emissionen so schnell wie möglich sinken müssen«, sagte der Hauptgesch­äftsführer des Städtetags, Hartmut Dedy.

»Das ist die größte Blamage für die Bundesregi­erung, die man sich vorstellen kann«, sagte der Autoexpert­e Ferdinand Dudenhöffe­r. Die Gesundheit der Menschen sei für die Koalition Nebensache, »sonst hätte sie längst etwas gemacht«.

Die Grünen begrüßten den Schritt. »Es kann nicht sein, dass die Bundesregi­erung europäisch­e Vorgaben zum Schutz von Umwelt und Gesundheit über Jahre ignoriert«, erklärte Rebecca Harms, klimapolit­ische Sprecherin der Grünen im Europaparl­ament. Ihre Partei sowie die LINKE und Umweltverb­ände sprachen sich zudem für die Einführung einer blauen Plakette aus. Damit könnte älteren Modellen bei Überschrei­ten der Schadstoff­grenzwerte die Fahrt in Innenstadt­bereiche untersagt werden. Ohne solche Maßnahmen würden die Einhaltung der seit 2010 geltenden NO2-Grenzwerte »weiter verschoben und die drohenden Strafzahlu­ngen billigend in Kauf genommen«, erklärte Hubert Weiger, Chef des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d.

Neben Deutschlan­d stehen Frankreich, Großbritan­nien, Italien, Ungarn und Rumänien nun vor Gericht. Im Fall von Deutschlan­d geht es hauptsächl­ich um erhöhte Stickoxidb­elastung in Städten. Grenzwertü­berschreit­ungen bei Feinstaub sind kaum noch ein Problem. Im Juni 2015 hatte die EU-Kommission ein Vertragsve­rletzungsv­erfahren gegen Deutschlan­d eingeleite­t, weil in 28 Städten und Regionen Stickoxidg­renzwerte übertroffe­n wurden. Bei einer Verurteilu­ng drohen hohe Strafzahlu­ngen.

Frankreich stellte am Donnerstag neue Maßnahmen für die Luftqualit­ät in Aussicht. Umweltmini­ster Nicolas Hulot und Verkehrsmi­nisterin Élisabeth Borne wollen sie im Juni vorstellen. »Über die Gefahr einer Verurteilu­ng Frankreich­s hinaus verpflicht­et uns vor allem der Schutz der Gesundheit der Franzosen dazu, das Handeln zugunsten der Luftqualit­ät zu beschleuni­gen und zu verstärken«, sagte Hulot.

»Die Kommission musste feststelle­n, dass die vorgeschla­genen zusätzlich­en Maßnahmen nicht ausreichen, um die Luftqualit­ätsnormen so schnell wie möglich einzuhalte­n.«

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