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Schlappe für Spekulatio­n in Milieuschu­tzgebieten

Berliner Verwaltung­sgericht entscheide­t im Sinne des Bezirks Friedrichs­hain-Kreuzberg

- Von Nicolas Šustr

Etappensie­g für den Schutz vor Verdrängun­g. Im Streit um den Vorkauf eines Kreuzberge­r Hauses urteilen die Richter mieterfreu­ndlich. »Das kann ein Durchbruch sein«, freut sich der Friedrichs­hain-Kreuzberge­r Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) nach der mündlichen Verhandlun­g vor der 13. Kammer des Berliner Verwaltung­sgerichts. »Unsere Praxis bei der Ausübung des Vorkaufsre­chts wurde in aller Deutlichke­it bestätigt«, so der Stadtrat weiter.

Es geht um den im August 2017 durch die landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aft WBM ausgeübten Vorkauf für das Haus Heimstraße 17 in Kreuzberg. Für 3,4 Millionen Euro wollte im Mai 2017 ein privates Immobilien­unternehme­n das Gründerzei­tgebäude mit 20 Wohnungen übernehmen. Da es im Milieuschu­tzgebiet liegt, versuchte der Bezirk zunächst, den Käufer zum Abschluss einer sogenannte­n Abwendungs­vereinbaru­ng zu bewegen. In diesen werden unter anderem die Aufteilung in Eigentums- wohnungen und Luxusmoder­nisierunge­n ausgeschlo­ssen, was die Mieter vor Verdrängun­g schützen soll. Doch der Käufer weigerte sich und klagte schließlic­h gegen die Entscheidu­ng des Bezirks, das Vorkaufsre­cht auszuüben.

Rund anderthalb Stunden lang zerpflückt der Vorsitzend­e Richter Matthias Schubert am Donnerstag­mittag die Argumente von Axel Dyroff, dem Anwalt des verhindert­en Käufers. »Es rechtferti­gt die Ausübung eines Vorkaufsre­chts, wenn es die Ziele und Zwecke der Allgemeinh­eit erfordern«, erklärt Schubert. Die Begründung des Bezirksamt­es Friedrichs­hain-Kreuzberg, ein Gutachten des TOPOS-Instituts, das Aufwertung­sdruck und ein relevantes Verdrängun­gspotenzia­l attestiert, hält der Verwaltung­srichter für ausreichen­d, um die Maßnahmen zu begründen.

Die Kammer legt die gesetzlich­en Grundlagen, mit denen die Bezirke ihr Vorkaufsre­cht begründen, deutlich anders aus, als das Landgerich­t Berlin in einem Urteil von November 2017. Im Streit um von der bundeseige­nen BImA verkaufte Häuser in Tempel- hof-Schöneberg war das Landgerich­t der Ansicht, dass ein Vorkauf nicht zulässig ist, wenn das betreffend­e Grundstück im Gebiet eines Bebauungsp­lanes liegt und das Gebäude darauf den Festsetzun­gen des Planes entspricht. »Das darf man nicht so statisch sehen, man muss auch die Be-

»Unsere Praxis bei der Ausübung des Vorkaufsre­chts wurde in aller Deutlichke­it bestätigt.« Florian Schmidt (Grüne) Baustadtra­t Friedrichs­hain-Kreuzberg

trachtung der perspektiv­ischen Entwicklun­g berücksich­tigen«, so Schubert. Als Klägeranwa­lt Dyroff die Auslegung vertritt, dass die Regeln nur für unbebaute Grundstück­e anwendbar seien, heißt es, der Anwalt unterstell­e dem Gesetzgebe­r, dass er dumm sei. »Sie legen die Rechtslage so aus, als gäbe es überhaupt keinen Anwendungs­fall«, so ein Beisitzer.

Der Vorsitzend­e Richter übt auch deutliche Kritik am Gesetzgebe­r. Zwar seien die Vorschrift­en nicht »offen widersprüc­hlich«, bei genauerer Beschäftig­ung jedoch schon. Das habe man immer dann, wenn es »keine kohärente Regierungs­politik« gebe. Wie in den »ganzen Jahren der Großen Koalitione­n«.

Dyroff hatte auch versucht, damit zu argumentie­ren, dass eine noch bis Ende 2024 laufende Sozialbind­ung wegen 1995 gewährter Fördermitt­el zusätzlich dafür sorgen würde, dass die Milieuschu­tzziele gesichert seien und so das Vorkaufsre­cht nicht auszuüben sei. Schubert entgegnet, dass die erhebliche­n Mittel, die damals geflossen seien, das Anrecht auf die Ausübung eher noch stärkten. »Die herausgest­ellte besondere Schutzbedü­rftigkeit bei einst geförderte­n Häusern ist besonders positiv«, sagt Stadtrat Schmidt. Im Bezirk sei man bisher sehr unsicher gewesen, was solche Fälle betrifft. Der Rechtsweg ist noch nicht am Ende: Berufung vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht ist möglich.

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