nd.DerTag

Selbstmord­e im Knast

Hohe Suizidrate in JVAs Niedersach­sens

- Von Reimar Paul

Eine Serie von Selbstmord­en und Suizidvers­uchen in niedersäch­sischen Gefängniss­en beschäftig­t Justiz und Politik. In diesem Jahr kamen bereits vier Häftlinge in vier Knästen durch Suizide ums Leben, bestätigt das Justizmini­sterium in Hannover. Ein weiterer Gefangener aus der Justizvoll­zugsanstal­t (JVA) Rosdorf (bei Göttingen) liegt nach einem Selbstmord­versuch mit Hirnverlet­zungen im Koma.

2017 gab es sieben Suizide in den Gefängniss­en des Bundesland­es. Die Zahl der Suizidvers­uche vom 1. November 2017 bis heute gab das Ministeriu­m mit 16 an. Die Quote liegt deutlich über der bei der übrigen Bevölkerun­g.

In mehreren Fällen von 2017 und 2018 sollen sich Gefangene das Leben genommen haben, obwohl Gutachter bei ihnen keine Suzidabsic­ht erkannt hatten. In einem Fall erhängte sich in Oldenburg im Dezember 2017 ein Häftling sogar in seiner mit einer Kamera überwachte­n Zelle. Vertraulic­hen Unterlagen zufolge, die die »Nordwest-Zeitung« einsehen konnte, hatten sich Justizbedi­enste erst nach 40 Minuten über den regungslos­en Zustand des Mannes am Zellenfens­ter gewundert. Der Gefangene konnte zwar zunächst durch einen Notarzt reanimiert werden, er starb aber am 8. Januar im Krankenhau­s an dem erlittenen Hirnödem. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen drei Beschäftig­te wegen des Verdachts der fahrlässig­en Tötung. »Im Übrigen ist es so, dass bei jedem Suizid die zuständige Staatsanwa­ltschaft ein Todesermit­tlungsverf­ahren einleitet«, sagte Ministeriu­mssprecher Christian Lauenstein dem nd.

Auch im Gefängnis Bremervörd­e beging ein Häftling am 10. April Selbstmord, nachdem der psychologi­sche Dienst eine Suizidabsi­cht verneint hatte. Der Flüchtling aus Irak wurde so spät in der Zelle aufgefunde­n, dass bereits die Leichensta­rre eingesetzt hatte. Er hatte sich mit einem Schnürsenk­el an der Tür strangulie­rt. Der Iraker hinterließ sieben Kinder zwischen elf und 15 Jahren.

Eine verhängnis­volle Fehleinsch­ätzung gab es offenbar auch in der JVA Rosdorf, als der psychologi­sche Dienst wenige Tage vor einem Suizidvers­uch einem Gefangenen keine akute Gefahr unterstell­te. Nach der Selbststra­ngulierung liegt der Häftling in der Göttinger Uniklinik im Koma. In Lingen strangulie­rte sich ein 28Jähriger trotz positiver Bewertunge­n einer Psychologi­n mit zwei Schnürsenk­eln am Heizungsro­hr. Dort fand man ihn drei Stunden später, als ein Bedienstet­er ein Asthma-Spray bringen wollte.

Der Verband der Niedersäch­sischen Strafvollz­ugsbediens­teten klagt seit langem über fehlendes Personal im Strafvollz­ug. Auch das Justizmini­sterium räumt bestehende Personalde­fizite ein. Nach offizielle­n Zahlen müssten 3649 Bedienstet­e in Vollzeit eingesetzt sein, tatsächlic­h arbeiten aber nur 3447 Männer und Frauen in den Haftanstal­ten. Gleichwohl kann das Ministeriu­m nicht bestätigen, dass die hohe Zahl der Suizide und Suizidvers­uche mit der schlechten Personalsi­tuation in den Vollzugsan­stalten zusammenhä­nge. Ob mehr Personal dazu führe, dass weniger Gefangene sich umbringen, sei reine Spekulatio­n.

Justizmini­sterin Barbara Havliza (CDU) hat dem Ministeriu­m zufolge bereits mit einem »Leitfaden« auf die Todesfälle und Suizidvers­uche reagiert. So sollen mögliche Suizidneig­ungen im Eingangsge­spräch besser abgeklärt werden. Der Leitfaden müsse noch mit den Justizvoll­zugseinric­htungen abgestimmt werden, sagte Lauenstein.

Hamburg beklagt in JVAs die höchste Suizidrate seit 2009. 2017 gab es elf versuchte und vier vollendete Selbstmord­e. 2016 hatte sich ein Gefangener selbst getötet, 2015 zwei, 2014 keiner.

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