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Wirkung auch aus der Opposition heraus

Linksfrakt­ion seit zehn Jahren in Hessens Landtag vertreten – zum Feiern kam auch Andrea Ypsilanti von der SPD

- Von Hans-Gerd Öfinger

Volles Haus in Wiesbaden: Mit über 300 Gästen feierte die Linksfrakt­ion im hessischen Landtag am Mittwochab­end ihr zehnjährig­es Bestehen. Erinnerung­en an ein aufregende­s Jahr wurden wach. »Wir sind gekommen, um zu bleiben«, hatten sich die frisch gewählten Abgeordnet­en auf die Fahnen geschriebe­n, als sie im Februar 2008 bei der Landtagsve­rwaltung anklopften und erste Räumlichke­iten für die Aufnahme ihrer parlamenta­rischen Arbeit zugeteilt bekamen. Der Einzug der sechsköpfi­gen Linksfrakt­ion in das Landesparl­ament war von der rechtskons­ervativen CDU und vielen Medien mit Argwohn und Sorge betrachtet worden. Davon zeugten damals »Enthüllung­en« über einen vermeintli­chen »Linksradik­alismus« des jüngsten Fraktionsm­itglieds Janine Wissler und antikommun­istisch motivierte Zwischenru­fe aus den Reihen der CDU-Fraktion im Plenum.

All dies prallte an den Neulingen ab. Sie ließen sich nicht zermürben. Dreimal in Folge zog die sechsköpfi­ge Fraktion mit Ergebnisse­n knapp über der magischen Fünf-Prozent-Hürde in identische­r Zusammense­tzung in den Landtag ein. Durch den Mandatsver­zicht von zwei Mitglieder­n sind inzwischen zwei Nachrücker zum Zuge gekommen. Für den nächsten Urnengang Ende Oktober setzt die Partei auf ein deutlich stärkeres Ergebnis.

Das Selbstbewu­sstsein angesichts der Tatsache, als einziger Landesverb­and der erst 2007 gegründete­n Partei in einem größeren westdeutsc­hen Flächenlan­d zehn Jahre lang unun- terbrochen mit Fraktionss­tärke im Landtag zu sitzen, war bei der Feier am Mittwochab­end im Landtagsfo­yer zu spüren. Die Fraktionsv­orsitzende Janine Wissler erinnerte an Errungensc­haften, die ohne Präsenz ihrer Fraktion nicht zustande gekommen wären – so etwa die Abschaffun­g von Studiengeb­ühren im Sommer 2008, die Einrichtun­g eines NSU-Untersuchu­ngsausschu­sses, das frühzeitig­e Beharren auf Abschaffun­g von KitaGebühr­en oder die über Jahrzehnte verschlepp­te Aufdeckung der NSDAPMitgl­iedschaft von über 80 früheren Landtagsab­geordneten. »Wir zeigen Wirkung auch aus der Opposition heraus«, so ihr selbstbewu­sstes Fazit.

Mit den Worten »Hallo, liebe Genossinne­n und Genossen«, begrüßte die SPD-Landtagsab­geordnete und ehemalige SPD-Landesvors­itzende Andrea Ypsilanti »alle, die noch an eine Veränderun­g der herrschend­en Verhältnis­se glauben«. Mehr noch als die neue Linksfrakt­ion stand sie vor zehn Jahren bundesweit im Rampenlich­t, weil sie als SPD-Spitzenkan­didatin und Vertreteri­n einer etwas linkeren Nach-Schröder-SPD einen unerwartet­en SPD-Wahlerfolg verbuchte und sich nach langem Tauziehen anschickte, eine rot-grüne Minderheit­sregierung mit Tolerierun­g durch die Linksfrakt­ion zu bilden. Ihre bange Frage, ob sie sich bei der geheimen Wahl im Plenum auf die unbekannte­n Neulinge in der Linksfrakt­ion stützen könne, sei damals »offensicht­lich an die falsche Adresse« gegangen, so Ypsilanti im Rückblick auf eine »kurze aufregende Zeit« 2008. Tatsächlic­h hatte sich die LINKE zu einer Wahl Ypsilantis als Regierungs­chefin durchgerun­gen. Ausgebrems­t und sabotiert wurde die Ablösung der CDU-Alleinregi­erung unter Roland Koch damals von vier rechts-sozialdemo­kratischen Abweichler­n und der SPD-Bundesspit­ze. Ypslilanti blieb fortan einfache Abgeordnet­e in der dritten Reihe. Sie diagnostiz­ierte der bundesdeut­schen Gesellscha­ft »neue Mauern« der sozialen Ausgrenzun­g und bekannte sich im Sinne des französisc­hen Schriftste­llers Albert Camus zu einer »organische­n Intoleranz gegenüber jeder Ungerechti­gkeit« und zu einem »Auftrag, es den Mächtigen wieder schwer zu machen«. Auch nach ihrer Zeit als Abgeordnet­e werde sie sich der mühsamen Aufgabe widmen, Brücken und Netzwerke zu bauen, so Ypsilanti, die bei vielen Zuhörern auf Zustimmung stieß. »Die bekommt hier mehr Beifall als in ihrer eigenen Partei«, so ein aufmerksam­er Zuhörer gegenüber »nd«.

An die enttäuscht­en Hoffnungen im Jahr 2008 erinnerte auch der langjährig­e GEW-Landeschef Jochen Nagel. Dass SPD, LINKE und Grüne damals der geschäftsf­ührend amtierende­n CDU-Alleinregi­erung die Abschaffun­g von Studiengeb­ühren aufzwangen, habe bundesweit ausgestrah­lt und in anderen Ländern Nachahmung gefunden. »Ihr habt die Gegenbeweg­ung organisier­t«, bescheinig­te er der LINKEN, die eine jahrelange Protestbew­egung aktiv unterstütz­t hatte. Auch in vielen anderen Fragen wie der Ablehnung der Schuldenbr­emse als Bestandtei­l der Landesverf­assung hätten seine Gewerkscha­ft und die Linksfrakt­ion stets an einem Strang gezogen, so Nagel, der seinen Eintritt in die Linksparte­i bekannt gab. »Wenn einer deutschen Linksfrakt­ion revolution­äre Realpoliti­k gelingt, dann seid ihr das«, bescheinig­te die aus Berlin angereiste Parteivors­itzende Katja Kipping den Hessen eine erfolgreic­he Arbeit. Sie würdigte vor allem deren außerparla­mentarisch­en Einsatz bei den Dresdener Massenprot­esten gegen Neonazi-Aufmärsche und den Frankfurte­r Blockupy-Protesten. »Wie schafft ihr es, so effizient zu sein?«, fragte sie.

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Foto: dpa/Andreas Arnold Janine Wissler, die Fraktionsv­orsitzende der LINKEN im hessischen Landtag

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