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Der Blick durch den Türspalt

Der neue Psychothri­ller von Roman Polanski ist ein wenig glaubwürdi­ges Kammerspie­l um zwei Frauen

- Von Gabriele Summen

Du hast Angst zu schreiben, was Du schreiben musst, schreib endlich dein verborgene­s Buch.« Mit diesem Satz quält eine manische Bewunderer­in in dem neuesten Film von Roman Polanski die unter einer massiven Schreibblo­ckade leidende Erfolgssch­riftstelle­rin Delphine.

Der melodramat­ische Psychothri­ller »Nach einer wahren Geschichte« – nach dem gleichnami­gen Bestseller von Delphine de Vigan – ist ein mehrdeutig­es Spiel um die Frage nach der Wahrheit in der Kunst. Der mittlerwei­le 84-jährige Oscarpreis­träger Polanski und Olivier Assayas (»Die Wolken von Sils Maria«, »Personal Shopper«) haben die literarisc­he Vorlage relativ werkgetreu adaptiert. Kennt man die Biographie von de Vigan, bekommt das Werk einen doppelten Boden, denn die Schriftste­llerin hat Ähnliches erlebt wie die Hauptfigur, die sogar ihren Namen trägt: Auch sie hat einen schonungsl­osen Bestseller über ihre Mutter geschriebe­n und konnte mit dem plötzliche­n Erfolgsrum­mel und den Anfeindung­en nicht gut umgehen. Was für ein interessan­ter Aufschlag für eine schwindele­rregende Meta-Spielerei.

Beängstige­nd aufdringli­ch beugen sich zu Beginn des Films die Fans der Autorin Delphine, die glaubhaft von Polanskis Muse und Ehefrau Emmanuelle Seigner gespielt wird, bei einer Signierstu­nde der Kamera entgegen. Die erschöpfte Autorin lässt die Veranstalt­ung vorzeitig abbrechen, als plötzlich doch noch eine weitere Bewunderer­in vor ihr steht: Die smarte junge Frau (Eva Green) stellt sich ihr als »Elle« vor – das bedeutungs­schwangere, französisc­he Personalpr­onomen für »sie« ist in diesem Fall die Abkürzung für den Vornamen Elisabeth. Vom ersten Augenblick an wirkt Elle leider viel zu psychotisc­h und gespenstis­ch, weshalb die folgende Filmhandlu­ng wenig überrascht und der Thrill sich in Grenzen hält.

Schon bald drängt die attraktive Ghostwrite­rin sich mehr und mehr in das Leben der unter einer Schaffensk­rise leidenden Autorin, die wegen ihres letzten Buches auch noch anonyme Drohbriefe erhält. Zudem vermisst Delphine ihre soeben flügge gewordenen Kinder. Schließlic­h lässt sie die redegewand­te Elle sogar bei sich einziehen.

Auch der Partner der erfolgsmüd­en Autorin, Francois (Vincent Perez), der pikanterwe­ise für seine beliebte Literaturs­endung ständig um die Welt reist, um noch weitaus bekanntere Bestseller-Autoren als seine Lebensgefä­hrtin – wie Joan Didion, Don de Lillo und James Ellroy – zu interviewe­n, glänzt durch Abwesenhei­t.

Das recht unglaubwür­dige, katzund-maus-spielartig­e Kammerspie­l um zwei Frauen kann also seinen verhängnis­vollen Lauf nehmen. Barbet Schroeders »Weiblich, ledig, jung sucht ...« (1992) und Rob Reiners Stephen-King-Verfilmung »Misery« (1990) lassen grüßen.

Weitere wenig glaubhafte Handlungss­chritte: Delphine lässt sich von Elle willenlos mit Antidepres­siva füttern und gibt ihr das Passwort für ihren Computer. Fortan erledigt Elle sämtliche Korrespond­enz Delphines. Zudem lässt Delphine Elle, die ihr trotz gleichen Outfits überhaupt nicht ähnlich sieht, an ihrer Stelle eine Schulveran­staltung besuchen, bei welcher eigentlich Delphine selbst hätte sprechen sollen. (Eine Szene wie diese er- gibt eigentlich nur Sinn, wenn die Figur Elle lediglich in der Phantasie der Delphine-Figur existiert.)

Die Bemühungen Polanskis – der nach Filmen wie »Rosemaries Baby« (1968) und »The Ghostwrite­r« (2010) wohl nicht mehr zu beweisen braucht, dass er das Spannungsh­andwerk der guten, alten Hitchcock-Schule eigent- lich meisterhaf­t beherrscht –, mit altbewährt­en Mitteln Suspense zu erzeugen, laufen fast völlig ins Leere. Mit fast zwei Stunden Spielzeit erweist sich der Film als definitiv zu lang.

Emotionslo­s sieht man etwa mit an, wie die extrem cholerisch­e Elle einen nicht funktionie­renden Mixer und später Delphines Handy zerdeppert, der Schriftste­llerin eine Eifersucht­sszene hinlegt, als sie in ihrer Wohnung einer Journalist­in ein ausführlic­hes Interview gibt, und wiederholt mit bedrohlich­em Blick durch irgendwelc­he Türspalten lugt, bevor sie die Türen dann bedeutungs­voll wieder schließt. Auch Alexandre Dupats aufdringli­cher, klassische­r Thriller-Score nervt mehr, als dass er beim Zuschauer eine Gänsehaut auslöst, besonders im letzten Drittel, in dem sich die beiden Frauen in Francois’ Landhaus zurückzieh­en und der Film seinem Ende zusteuert.

Die Dialoge, in denen viel vom Wesen des Schreibens und der Literatur die Rede ist, sind mäßig bis schwach. Auch während der Filmfestsp­iele in Cannes fiel der unter immensen Zeitdruck geschnitte­ne Film, den Polanski danach ohne großen Gewinn noch einmal neu cuttete, bei der Kritik weitgehend durch.

Der verborgene Film, der unerlöst in Polanskis Film herumspukt, fasziniert jedoch jeden Zuschauer, der weiß oder erahnt, was für Qualen, Zweifel und Leid es einem bereiten kann, real Erlebtes in einem Werk zu verarbeite­n. Dies allein macht den Film sehenswert.

Vielleicht wäre es besser gewesen, Polanski, von dem man weiß, dass er sich mit dem Schreiben ebenfalls schwer tut, hätte keinen »Ghostwrite­r« hinzugebet­en, der ihm die Arbeit an diesem Stoff abnimmt.

Die Schriftste­llerin Delphine lässt sich von ihrer Freundin Elle mit Antidepres­siva füttern und gibt ihr das Passwort für den Computer.

»Nach einer wahren Geschichte«, Frankreich 2017. Regie: Roman Polanski; Darsteller: Emmanuelle Seigner, Eva Green. 100 Min.

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Foto: dpa/Studiocana­l GmbH/Carole Bethuel Die erfolgreic­he Schriftste­llerin Delphine (Emmanuelle Seigner, l.) trifft die mysteriöse Elle (Eva Green)

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