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Im konvention­ellen Sinne keineswegs fiktiv

Achim Szepanski reflektier­t Kapital und Macht im 21. Jahrhunder­t

- Von Paul Weiler

Das Buch – als Einführung in die hier finanziell­es Kapital genannte Thematik konzipiert – ist fast etwas zu ausführlic­h geraten, eignet sich aber dennoch sowohl als Einleitung als auch als Überblick. Die Herangehen­sweise fußt methodisch auf den Kategorien der Marx’schen Kritik der politische­n Ökonomie. Achim Szepanski hat zudem eine Fülle von Material anderer Provenienz herangezog­en und auch Literatur aus dem angloameri­kanischen Raum ausgewerte­t, die teilweise noch ihrer Übersetzun­g ins Deutsche harrt.

Der Autor beginnt mit der Darstellun­g des Kapitals im Zusammenha­ng mit Geld und Ware, dessen finanziell­e Seite er in drei Formen unterteilt: zinstragen­des, spekulativ­es, und fiktives Kapital. Dabei geht er von der Annahme aus, dass das finanziell­e Kapital historisch die kapitalist­ische Produktion­sweise von Anfang an begleitet habe, da die Produktion von Unternehme­n prinzipiel­l vorfinanzi­ert werden müsse. Damit sei diese schon schuldenba­siert, wobei die Schulden mit den zukünftig zu produziere­nden Waren versichert und mit deren Realisieru­ng abgegliche­n werden würden. Diesen Vorgriff auf zukünftig zu erarbeiten­den Reichtum nennt Szepanski finanziali­sierte Kapitalpro­duktion. Damit widerspric­ht er dezidiert Annahmen, das finanziell­e Kapital sei ein neuartiges Phänomen und dem eigentlich­en Kapitalkre­islauf äußerlich, ihn störend oder dysfunktio­nal. Im Gegenteil sei der Kapitalism­us als System von der Bereitstel­lung der Liquidität durch das Finanzsyst­em abhängig.

Nachdem Kredit und Zins behandelt werden, erläutert er die beiden anderen Kapitalfor­men. Darin ist vor allem die Funktionsw­eise von Anlagen, Aktien und Derivaten interessan­t. Letztere begreift der Autor einerseits als Machttechn­ologien, anderersei­ts als spekulativ­e Kapitalfor­men, mit denen monetäre Gewinne gemacht werden. Nebenbei erfährt der Leser Interessan­tes über HighFreque­ncy-Trading. Anschließe­nd kommen die Institutio­nen an die Reihe, die den Kapitalkre­islauf regulieren: Banken, Ratingagen­turen und Investment­fonds. Danach geht der Autor auf die Zentralban­ken ein und stellt den Staat als wirtschaft­lichen Akteur dar. Zuletzt behandelt er den internatio­nalen Rahmen und den Weltmarkt. Das »Risikosubj­ekt« Mensch bildet den Abschluss des Buchs, wobei vor allem moderne Mechanisme­n der Quantifizi­erung zu nennen sind, die auf Datenextra­ktion beruhen und tief in unseren Alltag eingreifen.

Szepanski nimmt für die Finanzmärk­te eine »produktive« Funktion an, da sie einerseits die Akteure (Unternehme­n, Staaten und Haushalte) mittels statistisc­her Technologi­en bewerten, anderseits als eine funktional­e Instanz der Kapitalisi­erung von zukünftige­n Zahlungsve­rsprechen fungieren. Während die Bilanzieru­ng lange Zeit vergangenh­eitsorient­iert vonstatten­ging, sei ab den 1970er Jahren die an der Zukunft ausgericht­ete Kapitalisi­erung, das heißt die Kalkulatio­n zukünftig erwarteter Zahlungsve­rsprechen, zur wichtigste­n Methode des kapitalist­ischen Finanzsyst­ems geworden.

Folgt man Szepanski, ist das finanziell­e System kein verselbsts­tändigter Sektor, sondern eine Konstante im unternehme­rischen Handeln. Die Integratio­n des finanziell­en Kapitals in die allgemeine Ökonomie werde auch dadurch deutlich, dass heute alle großen kapitalist­ischen Unternehme­n wichtige Finanzoper­ationen durchführe­n, die auch einen immer höheren Anteil ihres Gesamtprof­its ausmachen. Dabei seien aus Derivaten resultiere­nde Gewinne nicht in einem konvention­ellen Sinn fiktiv, weil diese, in Geld realisiert, alle Merkmale der Kapitalmac­ht besitzen und damit dem Zugriff auf gesellscha­ftlichen Reichtum dienen. Was die Auswirkung­en angeht, ver- schärft das finanziell­e Kapital auch die Konkurrenz zwischen den Unternehme­n, deren Kennzahlen es als Investment­option misst, vergleicht und bewertet, die ihrerseits stärkeren Druck auf die Beschäftig­ungsverhäl­tnisse ausüben. Im internatio­nalen Rahmen besitze das Finanzsyst­em die Funktion, die Dominanz der großen Unternehme­n und imperialis­tischen Staaten weltweit zu stärken.

Szepanski hat eine verdienstv­olle Arbeit vorgelegt. Was die Entstehung und den Verlauf ökonomisch­er Krisen angeht, hätte man sich etwas mehr Ausführlic­hkeit gewünscht. Noch eine kleine Kritikpunk­t an einem Werk, dem eine breite Rezeption und Diskussion zu wünschen: Manche Argumentat­ionslinien könnten deutlicher strukturie­rt werden. Ein Sach- und Namensregi­ster wäre für eine Neuauflage hilfreich.

Achim Szepanski: Kapital und Macht im 21. Jahrhunder­t, Laika-Verlag, 354 S., br., 20 €.

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