nd.DerTag

Bibi mit Bombe

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Was sollte eine gute Karikatur leisten? Zuspitzen, mehrere Inhaltsebe­nen ansprechen, zu Interpreta­tionen anregen, übertreibe­n, aber keine Vorurteile bedienen. Insofern ist es bemerkensw­ert, wie die »Süddeutsch­e Zeitung« zunächst auf die Kritik an einer Zeichnung des Karikaturi­sten Dieter Hanitzsch anlässlich des Eurovision Song Contest reagierte, die am Dienstag in der Tageszeitu­ng erschien. Der Karikaturi­st »sagt, er habe mit seiner Darstellun­g lediglich darauf hinweisen wollen, dass das nächste ESC-Fi- nale 2019 in Jerusalem stattfinde­n soll«, so »SZ«-Chefredakt­eur Wolf

gang Krach auf sueddeutsc­he.de. Für eine satirische Zeichnung wäre dies eine eher dürftige Aussage. Überzeugen­d wirkt die Begründung bei Betrachtun­g der Karikatur nicht.

Diese zeigt Israels Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu als ESC-Siegerin Netta verkleidet auf der Bühne des Musikwettb­ewerbs. In einer Sprechblas­e steht »Nächstes Jahr in Jerusalem!«, in der Hand hält der Politiker eine Rakete. Letztere ziert nicht etwa die Flagge Israels sondern ein Davidstern, selbiger ist auch im Schriftzug »Eurovision Song Contest« zu finden, wo er das »v« ersetzt. »Hier werden Assoziatio­nen an die unerträgli­chen Zeichnunge­n der nationalso­zialistisc­hen Propaganda geweckt«, kritisiert der Antisemiti­smusbeauf- tragte der Bundesregi­erung Felix Klein auf bild.de.

Auch die Jüdische Studierend­enunion Deutschlan­d äußerte Kritik. Man sei entsetzt über die Karikatur, »welche sich bereits auf den ersten Blick erkennbar einer Vielzahl antisemiti­scher Klischees und Ressentime­nts bedient«. Anstatt als einflussre­iche Tageszeitu­ng den Bemühungen zur Völkervers­tändigung nachzugehe­n, würden die jüdische Religion, die jüdische Bevölkerun­g, israelisch­e Staatspoli­tik und Israels Sieg beim ESC zu Unrecht in einen Topf geworfen.

Im Umgang mit dem Eklat zeigte die »SZ« kein gutes Krisenmana­gement. Zwar räumt Chefredakt­eur Krach ein, die Zeichnung könne als antisemiti­sch aufgefasst werden und ihre Veröffentl­ichung sei ein Fehler gewesen, doch Hanitzsch selbst sieht das anders: »Der Vorwurf trifft mich nicht. Habe es so nicht gemeint. Die Politik Netanjahus möchte ich kritisiere­n können, auch als Deutscher«, so der Zeichner auf juedische-allgemeine.de. Aus mehreren Gründen sei es »berechtigt, die Karikatur als antisemiti­sch zu kritisiere­n«, befindet Frederik Schindler auf taz.de. »Wulstige Lippen und abstehende Ohren sind schon jahrhunder­telang in der judenfeind­lichen Bildsprach­e bekannt. Auch die Etikettier­ung des ESC als jüdisch und die Davidstern-Rakete« bedienten Ressentime­nts gegen Juden.

Hanitzsch war bereits in der Vergangenh­eit durch eine Karikatur in die Kritik geraten. 2016 veröffentl­ichte er eine Zeichnung zum Handelsabk­ommen TTIP, in der er die USA als gefräßige Krake darstellte. Seit ein ähnliches Motiv 1938 in der nationalso­zialistisc­hen antisemiti­schen Zeitung »Der Stürmer« erschien, sollte klar sein, dass das Krakenmoti­v für das vermeintli­ch Böse schlechthi­n steht und Tabu sein sollte. Am Donnerstag teilte die »SZ« mit, sie werde ihre jahrzehnte­lange Zusammenar­beit mit Hanitzsch beenden.

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Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche Foto: photocase/Thomas K.

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