nd.DerTag

Unter fremden Grundherre­n

Martin Leidenfros­t erforschte in Rumänien die Besitzverh­ältnisse von Feldern und Wiesen

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Der Steilhang über der Prut-Ebene ist grasgrün und sandgelb, wie freilaufen­d grasen einsame Pferde an langen Leinen. Am Abend wird das ziganisch angehaucht­e Dorf Frumusita von kleinen stillen Mücken befallen. Man ist den chaotische­n Schwärmen ausgeliefe­rt, ältere Kerle entfachen ein Pappfeuer dagegen.

Ich frage hier nach 100 von 4800 Hektar Agrarfläch­e, die eine Liechtenst­einer Bank in Rumänien besitzt. Aber die Türsteher der Farmbetrie­be haben nie von Liechtenst­einern gehört. Auf einer buckligen Lehmpiste fahre ich auf die riesigen Felder hinaus, zu einer weißen Baracke hin. Nutzfahrze­uge, auf einem steht »Abbigliame­nto sportivo«. Nix Liechtenst­ein, sagt der Nachtwächt­er, sein Gutsherr sei ein zugezogene­r Italiener, der hier 1000 Hektar hat. Die Mücken, erklärt er, kommen aus dem Raps und gehen in ein paar Tagen ein. Ich fahre weiter, es dunkelt. Mit den neuen LED-Straßenlam­pen sehen die Moldaudörf­er aus der Ferne wie Sternbilde­r aus.

Ich fahre vom Ostrand an die Westspitze Rumäniens. In der ebenen Kornkammer Banat steht der Weizen schon viel höher. Ich passiere Werbetafel­n für Landverkau­f, für das Pilzgift »Mystic Pro«, ich streife auch die 4600 Hektar der Generali-Versicheru­ng. Während der Privatbesi­tz von Ackerland in einigen postsowjet­ischen Ländern ein Tabu darstellt, hat das prowestlic­h und antirussis­ch ausgericht­ete Establishm­ent Rumäniens hemmungslo­s liberalisi­ert.

Kein Stein ist auf dem anderen geblieben, mindestens 43 Prozent der rumänische­n Agrarfläch­e gehören inzwischen Ausländern. Das sind oft westeuropä­ische Großbauern, die hier selbst ackern, darunter nicht wenige Deutsche. Oft sind es aber auch Anlagefond­s, etwa aus angel- sächsische­n Ländern, Holland oder eben Liechtenst­ein, welche Agrarland im großen Stil kaufen, verpachten und teuer weiterverk­aufen. Alle genießen sie Rechtssich­erheit und kriegen von der EU Flächenför­derung ausbezahlt – plus Investitio­nszuschüss­e von 30 bis 70 Prozent.

Vor dem westlichst­en Dorf Rumäniens wird der grüne Weizen zum Meer. Es ist absolut flach, die EU gibt Millionen für Infrastruk­tur, und es staubt in Beba Veche/Altbeba. Eine rumänisch-orthodoxe Kirche, eine ungarisch-katholisch­e und ein kleiner Pfingstler-Neubau, für den hiesige Roma zusammenge­legt haben. Der deutsche Friedhof ist ein versteppte­r Flecken im grünen Korn, vorne hängt ein rostiger Zaun an Kopfweiden­stämmen. Zuletzt wurde eine Frau Witte begraben, 1998.

Ich weiß, dass jene Liechtenst­einer Bank hier 188 Hektar gekauft hat sowie »nach langen Verhandlun­gen« weitere 673 Hektar »von dänischen Gutsherren«. Außerdem weiß ich von meiner Liechtenst­einer Quelle, dass Liechtenst­ein bloß als Depotbank für eine süddeutsch­e Industri- ellen-Familie fungiert. Mein Glück ist, dass ich rasch auf den Farmer stoße, der jene 900 Hektar pachtet. Der soignierte Rumäne macht Augen, als ich von Liechtenst­ein spreche: »Ich dachte, der Besitzer ist Deutscher, die Pacht wird von einer Bukarester Firma abgewickel­t.« Er sagt, er sei mit 2000 bewirtscha­fteten Hektar der größte einheimisc­he Farmer in Beba Veche, nichts gegen den italienisc­hen Margarine-Fabrikante­n, der in der Gegend 10 000 Hektar hält. Er habe einst 100 DMark für einen Hektar bezahlt, die Dänen verkauften ihren Grund ums Dreifache weiter, jetzt liege der Preis bei 5000 Euro »und steigt«.

Auf meine Frage, wie es sich mit den »Liechtenst­einern« arbeitet, antwortet er fast gar nicht. Schwer, gibt er zu verstehen, die wollen dauernd mehr Pachtzins. Er blinzelt mich durchdring­end an: »Und, waschen die Liechtenst­einer Geld?« Das kann ich ihm nicht sagen.

Auf einmal hat er eine Idee: »Komm, ich zeig dir was!« Er ruft die Grenzpoliz­ei an, fährt mich an eine in rumänische­n Nationalfa­rben gestrichen­e Schranke und umkurvt sie. Wir fahren durch Sperrgebie­t, weitere Kilometer durch grünen Weizen. Es ist sein Weizen, Raps macht ihm zu viel Arbeit. Er hält, und ich rufe: »Ist das nicht Orbáns Zaun?« – »Psst, sag das nicht laut, die Ungarn sind furchtbar nervös.«

Der Grenzzaun endet genau beim »Triplex Confinium«, dem Denkmal am Drei-Länder-Punkt Serbien-Ungarn-Rumänien, das kaum jemand zu sehen kriegt. Kein Soldat zeigt sich, wir treten an den Triplex heran. Es folgt der bewegendst­e Moment meiner Fahrt über die verkaufte rumänische Erde. Ein Lautsprech­er geht an, dröhnend, und warnt auf Arabisch vor dem Betreten Ungarns.

 ?? Foto: nd/Anja Märtin ?? Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.
Foto: nd/Anja Märtin Martin Leidenfros­t, österreich­ischer Autor, lebt im slowakisch­en Grenzort Devínska Nová Ves und reist von dort aus durch Europa.

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