nd.DerTag

Tore aus dem Abseits – gegen die Opposition

Yücel Özdemir über zwei deutsche Nationalsp­ieler, die öffentlich­keitswirks­am den türkischen Präsidente­n trafen

- Aus dem Türkischen von Nelli Tügel

Mit Recht haben das Treffen und die gemeinsame­n Fotos der deutschen Nationalsp­ieler Mesut Özil und Ilkay Gündoğan mit dem Präsidente­n der Türkei Kritik geerntet. Unter normalen Bedingunge­n kann jeder mit wem auch immer solche Treffen abhalten. Sind die Bedingunge­n jedoch nicht normal, dann ist es wichtig zu wissen, mit wem man sich zum Gespräch trifft. Nach den heftigen Reaktionen sagten Özil und Gündoğan, sie hätten mit dem Treffen keine politische Botschaft aussenden wollen. Sie hätten allerdings wissen müssen, dass ein Treffen mit Erdoğan eine Steilvorla­ge für ihn bedeuten würde.

Es war nicht das erste Mal, dass Özil mit Erdoğan zusammenka­m. Im November 2012 traf er sich schon einmal mit ihm in einem Hotel in Madrid. Dass das Treffen vor sechs Jahren keine Rolle in den Medien spielte, hängt nicht mit Özil, sondern mit der Position Erdoğans zusammen.

Der Hauptgrund für die Kontrovers­e, die in den vergangene­n Tagen stattfand, ist die Veränderun­g der politische­n Bedingunge­n im Vergleich zu damals. Erdoğans Staatsumba­u hin zu einem autoritäre­n Regime, der Druck auf diejenigen, die sich ihm widersetze­n sowie die Zerstörung der Pressefrei­heit, werden in Europa seit langem kritisiert. Es gibt niemanden, der das nicht mitbekomme­n hat.

Da das Gespräch zwischen den Fußballern und dem türkischen Präsidente­n mit dem Wahlkampf zusammenfi­el, soll es natürlich auch den Zweck erfüllen, bei in den europäisch­en Ländern ansässigen Türkeistäm­migen – vor allem in Deutschlan­d – Stimmen zu mobilisier­en. Die in Deutschlan­d geborenen, jungen Deutschtür­ken sind dafür bekannt, im Vergleich zu ande- ren Altersgrup­pen eher selten von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Mit dem Treffen in London wurde eine Botschaft an diese Jugendlich­en gesendet: Sie sollen bei den Wahlen Erdoğan ihre Stimme geben.

Özil und Gündoğan mögen sich selbst und ihren Auftritt zwar nicht für wesentlich für diesen Wahlkampf halten, aber diejenigen, die sie eingeladen und das Treffen organisier­t haben, haben natürlich den politische­n Nutzen berechnet. Dass es auch anders geht, zeigte der Nationalsp­ieler Emre Can, der in Liverpool spielt, und eine vorbildlic­he Haltung einnahm, indem er die Einladung ausschlug und sich nicht zum Instrument für diese Pläne machen ließ.

Nun. Ist dieser Plan aufgegange­n? Wenn man sich die Debatten in den deutschen Medien und die vielen rassistisc­hen Reaktionen anschaut, muss man sagen, dass Erdoğan bei der konservati­ven türkeistäm­migen Wählerscha­ft wohl Pluspunkte sammeln konnte. Kritische Reaktionen kamen eher von denjenigen, die Erdoğan ohnehin nicht leiden können! Das türkische Regime hat also – quasi aus dem Abseits – ein Tor gegen die Opposition geschossen.

Glückliche­rweise hat der deutsche Bundestrai­ner Joachim Löw das bemerkt und die zwei Fußballer nicht aus der Nationalma­nnschaft ausgeschlo­ssen. Wäre dies geschehen, hätte das Erdoğan am meisten genutzt.

Auch der Integratio­nsprozess hätte damit großen Schaden genommen. Besonders Özil spielt unter Einwandere­rn aus der Türkei eine wichtige Rolle dabei, dass sie sich der deutschen Nationalma­nnschaft verbunden fühlen. Özil, der die deutsche Nationalma­nnschaft der türkischen vorzog, war auch immer wieder Zielscheib­e türkischer Nationalis­ten, die ihn heute zwar loben, aber in der Vergangenh­eit als »Vaterlands­verräter« beschimpft­en.

Die Geschichte um Özil und Gündoğan erinnert zudem an die des kurdischen Fußballers Deniz Naki. Er wurde von der türkische Presse und von nationalis­tischen Fußballfan­s angegriffe­n, angeklagt und bekam lebensläng­lich Fußballver­bot, weil er Erdoğans Politik kritisiert hatte. Özil und Gündoğan haben damals mit keinem Wort ihren Kollegen unterstütz­t.

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Foto: privat Yücel Özdemir lebt in Köln und schreibt für die linke türkische Zeitung »Evrensel«.

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