nd.DerTag

Was ändert sich dadurch?

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Deliveroo musste nicht kündigten, sondern nur unsere auf sechs Monate befristete­n Arbeitsver­träge nicht verlängern. Üblicherwe­ise wird das immer wieder getan. Aber man kann auf diesem Wege eben auch unliebsame Beschäftig­te wie uns einfach loswerden.

Wieso sind Sie sicher, dass die Nicht-Verlängeru­ng mit der Betriebsra­tsgründung zu tun hatte? Deliveroo hatte ein paar Wochen vor der Ankündigun­g zur Mitglieder­voll- versammlun­g noch die Verträge verlängert. Als unsere Gründungsa­bsicht bekannt wurde, war aber plötzlich keine Rede mehr davon. Nicht nur die fünf Mitglieder des Betriebsra­ts, auch sämtliche 140 Fahrer, die für die Gründung einer Interessen­vertretung gestimmt hatten, sind inzwischen geschasst worden. Meines Wissens gibt es derzeit keine angestellt­en Fahrer mehr bei Deliveroo in Köln. Ein paar Fahrern wurde eine Tätigkeit als Freiberufl­er angeboten.

Die Kuriere verlieren Lohn, Absicherun­g bei Krankheit, Urlaubsans­prüche und vor allem das Recht, einen Betriebsra­t zu gründen.

Womit haben Sie sich als Betriebsra­t unbeliebt gemacht? Ich glaube, es hat schon gereicht, dass wir uns überhaupt organisier­t haben. Worüber wir gern mit der Geschäftsl­eitung verhandelt hätten: dass unsere Arbeitsmit­tel – Fahrrad, Smartphone, wetterfest­e Kleidung – vom Arbeitgebe­r gestellt werden. Bislang müssen wir alles weitgehend selbst bezahlen, wodurch wir faktisch weniger als den Mindestloh­n verdienen. Unzufriede­n waren wir auch darüber, dass unsere Gehälter im vergangene­n Jahr unregelmäß­ig gezahlt wurden, und wir wollten über die bei Deliveroo üblichen Kettenbefr­istungen reden. Perspektiv­isch hätten wir von der Geschäftsl­eitung gefordert, Tarifvertr­äge mit der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n abzuschlie­ßen.

Die erste Betriebsra­tsgründung bei Deliveroo ist nach nur drei Monaten ausgebrems­t worden. Was lernen Sie daraus?

Dass es richtig ist, Mut zu zeigen, sich zu organisier­en und mit Gewerkscha­ften zusammenzu­arbeiten.

Echt? Nicht ein bisschen niedergesc­hmettert?

Nein, wirklich nicht. Mein Selbstbewu­sstsein ist gestiegen. Ich habe zum ersten Mal eine Demonstrat­ion organisier­t und viele gute Erfahrunge­n gemacht. Okay, Deliveroo hat es vorläufig geschafft, einen Betriebsra­t auszuschal­ten. Aber ich bin optimistis­ch, dass sie nachgeben müssen. Entweder dem öffentlich­en Druck oder einem Gericht. Ich werde jedenfalls weiter kämpfen. Was können Sie tun? Sachgrundl­ose Befristung­en sind nicht verboten.

Zum einen klagen wir vor Gericht auf Wiedereins­tellung und Entfristun­g. Wir wollen auch feststelle­n lassen, dass die Freelancer in Angestellt­e umgewandel­t werden müssen, weil es sich bei ihrer Arbeit um Scheinselb­stständigk­eit handelt. Denn sie bestimmen ja überhaupt nicht selbst, welche Aufträge sie übernehmen. Ihre Fahrten werden durch eine App gesteuert. Unser Arbeitgebe­r ist ein Algorithmu­s. Das Gericht müsste vorhandene Kriterien aus der Rechtsprec­hung auf die Plattformö­konomie übertragen. Das würde einen Präzedenzf­all schaffen.

Und wenn das nicht klappt?

Wir warten nicht nur auf das Gericht. Wir versuchen gerade bundesweit, Fahrradkur­iere zu organisier­en und arbeiten dabei eng mit der NGG zusammen. Die unterstütz­en uns sehr. Gerade haben wir Kuriere die Plattform »Liefern am Limit« gegründet, um Fahrer zu vernetzen und Betriebsra­tsinitiati­ven in anderen Städten anzustoßen.

Gewerkscha­ften und digitales Proletaria­t arbeiten nicht überall so gut zusammen. Woran liegt das?

Viele Kurierfahr­er sind jung und haben wie ich bis vor einem Jahr mit Gewerkscha­ften wenig am Hut. Viele kommen aus dem Ausland und wissen gar nichts über Gewerkscha­ften und Arbeiterre­chte. Das größte Hindernis ist aber, dass es sich bei Lieferdien­sten um dezentrale Arbeitsplä­tze handelt. Es gibt keinen gemeinsame­n Ort, alle Fahrer agieren komplett unabhängig voneinande­r und sind daher schwer erreichbar.

Warum hat es in Köln funktionie­rt?

Es gibt in jeder Stadt bestimmte Orte, wo man sich einloggt, um eine Order von Deliveroo zu bekommen. Das ist so ein natürliche­r Treffpunkt und als die Probleme und die Unzufriede­nheit immer größer wurden, haben wir uns dort ausgetausc­ht. Daraus ist dann doch ein Gemeinscha­ftsgefühl entstanden und die Idee, einen Betriebsra­t zu gründen. Wir sind dann von uns aus zur NGG gegangen, damit die uns dabei helfen. Ob dort einige vielleicht vorher skeptisch waren, kann ich nicht sagen, weil sie uns sofort unterstütz­t haben und jetzt auch ernsthaft versuchen, in anderen Städten, wie et- wa in Stuttgart, die Fahrer zu organisier­en. Wir alle lernen gerade viel voneinande­r.

Wünschen Sie sich Unterstütz­ung von Kunden, die über Deliveroo Essen bestellen? Boykott zum Beispiel? Oder extra viele Bestellung­en und Trinkgeld?

Boykottier­en hilft den Fahrern auch nicht. Trinkgeld ist natürlich schön. Noch besser ist es aber, wenn sie unsere Facebook-Seite »Liefern am Limit« teilen oder auch bei unseren Protestakt­ionen mitmachen.

Wie Hubertus Heil? Der Arbeitsmin­ister hat sich beim DGB-Kongress an Ihre Seite gestellt und »Riders unite« gefordert. Stand er da zu Recht?

Ich habe die Hoffnung, dass seine Unterstütz­ung unseres Anliegens nicht nur leere Worte sind. Gesetzlich kann er als Arbeitsmin­ister einiges tun: die Behinderun­g von Betriebsrä­ten stärker verfolgen, Scheinselb­stständigk­eit mit Blick auf die neuen digitalen Geschäftsf­elder gesetzlich schärfer fassen. Und vor allem den unsägliche­n Befristung­smöglichke­iten von Arbeitsver­trägen einen Riegel vorschiebe­n. Tatsächlic­h stehen wir mit dem Arbeitsmin­ister in Kontakt und sind dabei, einen gemeinsame­n Veranstalt­ungstermin zu planen.

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