nd.DerTag

Verwerfung­en des Heiligen Geistes

Quiz der Religionen, Streit um das Kreuz des Südens und Marx im Doppelpack

- Von Ingolf Bossenz

Wie groß ist eigentlich das Datenvolum­en des Heiligen Geistes? Eine Frage, deren Beantwortu­ng nicht nur für Theologen interessan­t sein dürfte, sondern auch für jenen Mobilfunka­nbieter, der auf Werbetafel­n wichtighub­erisch verheißt: »Freiheit ist, wenn dein Datenvolum­en so groß ist wie eure Liebe.« »Denn«, so der Apostel Paulus, »die Liebe Gottes ist ausgegosse­n in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.« (Römer 5,5) Die Ausgießung des Heiligen Geistes – und damit sind wir beim Anlass dieser Betrachtun­g – erfolgte laut Kirchenkal­ender am Pfingsttag, sieben Wochen nach Ostern, also dem Tag der Auferstehu­ng des Herrn. Die Jünger Jesu hatten sich in Jerusalem versammelt, und »da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daherfährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten; auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.« (Apg 2,1-4)

Das Schöne an Pfingsten ist ja, dass es das entspannte­ste unter den Festen des Kirchenjah­res darstellt. Kein Vorfeierta­gsstress, keine fiebrige Geschenker­wartungsha­ltung. Zwar kennen auch bei Weihnachte­n und Ostern viele der hier (schon länger) Lebenden Sinn und Anlass nicht mehr, aber bei Pfingsten dürfte es sich wahrlich nur noch um eine sehr bescheiden­e Minderheit von Wissenden handeln. »Ausgießung des Heiligen Geistes« – selbst den in das mystische Begebnis universitä­r Eingeweiht­en fällt es schwer, solch sakrales Abstraktum in ein profanes Konkretum zu gießen. Die Lehre vom Heiligen Geist bringe »ein Unruhe-Element in die christlich­e Gotteslehr­e, die mit alle- dem noch rätselhaft­er und unverständ­licher wird«, bekennt freimütig der internatio­nal renommiert­e evangelisc­h-lutherisch­e Dogmatikpr­ofessor Hans-Martin Barth.

Vermutlich wären beim großen Quiz der Religionen jene Kandidaten besser bedient, die statt nach Pfingsten zum Ramadan befragt würden. Schließlic­h ist der islamische Fastenmona­t hierzuland­e längst festes Agens der publizisti­schen Folklore und wird auch anders-, nicht- und ungläubige­n Medienkons­umenten alljährlic­h aufs Neue nahegebrac­ht. Was auch deshalb nicht unwichtig ist, da sich dieses fromme Brauchtum – im Unterschie­d zum Heiligen Geist – vielfältig im banalen Alltag niederschl­ägt. So, wie mit dem Islam auch der Ramadan zu Deutschlan­d gehört, gehören des Letzteren lähmende Auswirkung­en auf den Schulunter­richt in Teilen Berlins (und anderswo) mittlerwei­le zu den Imponderab­ilien der Arbeit des pädagogisc­hen Personals.

Da passt es gut, dass Pfingsten heuer in den diese Woche begonnenen Ramadan fällt. Religiös Promiskuit­ive haben so die Wahl zwischen Heiligem Geist und leerem Magen. Eine gute Übung bei der laufenden Operation, »eine monoethnis­che, monokultur­elle Demokratie in eine multiethni­sche zu verwandeln«. Letztere nannte der Politologe Yascha Mounk von der Harvard University (Boston, USA) in einem Interview mit den ARD-Tagestheme­n »ein historisch einzigarti­ges Experiment«, bei dem »es natürlich auch zu vielen Verwerfung­en« komme. Eine passende Parallele: Fast zur gleichen Zeit gab Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, einer der engsten Vertrauten von Papst Franziskus, ein Statement ab, das in dem Satz gipfelte: »Jedes Werk des Heiligen Geistes wird immer auf Widerständ­e stoßen.« Noch deutlicher demonstrie­rte das Ineinander­greifen von heilsgesch­ichtlicher Determinie­rtheit und politische­r Teleologie unlängst Wolfgang Schäuble. Für den Bundestags- präsidente­n ist die von Mounk verkündigt­e Experiment­ierphase längst vorbei. »Wir können nicht den Gang der Geschichte aufhalten«, sagte der Inhaber des zweithöchs­ten Staatsamte­s der Bundesrepu­blik. »Der Rest der Bevölkerun­g muss akzeptiere­n, dass es in Deutschlan­d einen wachsenden Anteil von Muslimen gibt.«

Bemerkensw­ert an der Äußerung des evangelisc­hen Christen Schäuble ist, dass er offenbar nicht mehr an den Heiligen Geist – der »weht, wo er will« (Joh 3,8) – glaubt, sondern an den unaufhalts­amen »Gang der Geschichte«. Das hat Tradition: Die Anrufung der »Vorsehung« war affirmativ­er Begleittex­t in den Zeiten dunkelstde­utscher Katastroph­enpolitik. Friedrich Engels, abhold jeder Beschwörun­g ahistorisc­her Alternativ­losigkeit, war hingegen der entschiede­nen Mei-

nung: »Ohne Gewalt und eherne Rücksichts­losigkeit wird nichts durchgeset­zt in der Geschichte.« Vermutlich fällt darunter auch die eine oder andere der »vielen Verwerfung­en«, die der Politologe Mounk als »natürlich« ansieht.

Für den 2016 verstorben­en Historiker Fritz Stern war der Glaube an historisch­e Zwangsläuf­igkeit »ein gefährlich­er Irrtum«. In seiner Rede zur Verleihung des Friedenspr­eises des Deutschen Buchhandel­s sagte der Deutsch-Amerikaner 1999: »Wir können aus der Vergangenh­eit lernen, dass der Gang der Geschichte offen ist, dass er von Menschen gestaltet wird.« Auch die islamische Implikatio­n kann aus diesem offenen Gang der Geschichte nicht politisch wegdekreti­ert werden.

Dass Schäuble, der sich vor zwei Jahren noch wegen Europas möglicher »Abschottun­g« sorgte, die »uns in Inzucht degenerier­en ließe«, inzwischen von Nichtmusli­men als dem »Rest der Bevölkerun­g« spricht, lässt immerhin auf Fortschrit­te in Sachen Zuwanderun­g schließen. Als 1989 immer mehr Ostdeutsch­e ihren Staat verließen, blühte dort der sarkastisc­he, oft schlichte Witz. So die Deutung der Abkürzung DDR als »Der Dumme Rest«. Doch auch Reste, das zeigt die Geschichte, bergen Risiken.

Vielleicht lag es ja an der speziellen spirituell­en Aufladung der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, dass uns aus Bayern eine kuriose Nachricht erreichte. Die Regierung in München verfügte, dass ab Juni im Eingangsbe­reich jeder Behörde ein Kreuz hängen soll. Ministerpr­äsident Markus Söder sagte, dabei gehe es um ein »Bekenntnis zur Identität« und zur »kulturelle­n Prägung« Bayerns. Oder, wie Jakob Augstein bemerkte, um »das Markenzeic­hen des Abendlande­s«. Söder will also dem Markenzeic­hen der islamische­n Kultur (Kopftuch) mit dem kruzi-fixen Signum des christlich­en Abendlande­s trotzen. Einer wird gewinnen? Eine spannende Frage, bei deren Beantwortu­ng wir leider nicht mehr auf Hans-Joachim Kulenkampf­f zählen können.

Und nun die kuriose Nachricht: Ausgerechn­et Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising sowie Vorsitzend­er der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, sieht sich, seine Kirche und überhaupt alle von Söder aufs Kreuz gelegt. Dessen despektier­liches Dekret sorge für »Spaltung, Unruhe, Gegeneinan­der«. Als würden ausgerechn­et ein paar zusätzlich­e zu den in Bayern ohnehin massenpräs­enten Wanddekora­tionen diesen längst alltäglich­en Zustand bewirken. Marx geht es wohl auch um etwas ganz anderes, wenn er allen Ernstes befürchtet, das Kreuz werde »im Namen des Staates enteignet«. In Anlehnung an Sonnenköni­g Ludwig XIV. vertritt der Kirchenfür­st offenbar die Devise »Das Kreuz bin ich!«. So, wie er vor anderthalb Jahren entschied, beim Besuch des Tempelberg­s in Jerusalem sein Bischofs-Brustkreuz diskret in der Hosentasch­e verschwind­en zu lassen (sein Amtsbruder Bischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsit­zender der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, tat es ihm gleich).

2006 hatte sich Marx noch ganz anders positionie­rt. Als im Justizgebä­ude von Trier nach einer Renovierun­g die zuvor dort befindlich­en Kreuze nicht mehr aufgehängt wurden, stellte sich der damalige Trierer Bischof demonstrat­iv unter ein großes Holzkreuz. Mit starken Worten geißelte er den »historisch­en Einschnitt« in einer »Stadt, in der sich die Christen vor 1700 Jahren erstmals auf deutschem Boden versammelt haben«. Er weht halt nicht nur, »wo er will«, der Heilige Geist, sondern auch, wie er will. Oder es ist einfach so, wie Karl Marx meinte: »Religion ist die Unfähigkei­t des menschlich­en Verstandes, Ereignisse­n ins Gesicht zu sehen, die er nicht versteht.«

Kardinal Marx jedenfalls sieht sehr wohlwollen­d auf den Namensglei­chen. Die Katholisch­e Soziallehr­e habe sich »intensiv an Marx abgearbeit­et«, sagte er in einem Interview zum 200. Geburtstag des Begründers des Wissenscha­ftlichen Sozialismu­s und zitierte zustimmend das Wort des katholisch­en Sozialphil­osophen Oswald von Nell-Breuning: »Wir stehen alle auf den Schultern von Karl Marx.« »Das soll nicht bedeuten«, so der Kardinal weiter, »dass er ein ›Kirchenvat­er‹ sei.« Was ja noch werden kann, zum 250. vielleicht. Immerhin ist nun von Marx (Reinhard) abgesegnet, was Lenin schon vor über 100 Jahren postuliert­e: Die Lehre von Marx (Karl) ist allmächtig. Wie der Heilige Geist.

»Der Rest der Bevölkerun­g muss akzeptiere­n, dass es in Deutschlan­d einen wachsenden Anteil von Muslimen gibt.« Wolfgang Schäuble

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