nd.DerTag

Eine mongolisch­e Jurte im Garten

Barbara Thalheim fährt von Dijon in den Süden

- Von Barbara Thalheim

Schon früh halten Touristenb­usse mit Asiaten in der Nähe der Fußgängerz­one. Dort sind die Läden, die das kulinarisc­he »Wahrzeiche­n« der Stadt Dijon verkaufen, den Senf. Müssen die Ladenbesit­zer, weil ihnen die Touristen zugeführt werden, vielleicht Provision an die Reiseunter­nehmen zahlen, frage ich mich. Oder gehören die Senfläden gar den Reisebüros? Hallo, will ich rufen, die verkaufen euch hier gerade etwas, das ihr überall auf der Welt erwerben könnt. Dijons Senf ist internatio­nal bekannter als seine Weine.

Es ist 9 Uhr. Ich durchstrei­fe die City nach Frühstücks-Croissants aus handgemach­tem, nicht industrieg­efertigtem Teig. Ein gutes Croissant muss krack machen im Mund, es muss nahezu dunkelbrau­n, ein wenig fettig und warm sein. Ob sie in der Brasserie an der Place François-Rude selbst gemachte Croissants anbieten? Und ob!

Am Nebentisch sitzt ein stark parfümiert­er Herr mittleren Alters an seinem Laptop. Leere Kaffeetass­en

Bei Freunden in der Fremde

Barbara Thalheim reist derzeit allein durch Frankreich. Von den Menschen, denen sie dort begegnet, erzählt die Liedermach­erin in dieser Kolumne. Alle Texte unter dasnd.de/thalheim Zeichnung: Susanne Berner bilden einen Schutzwall um seine Wirkungsst­ätte. Zu ihm gesellt sich ein Bekannter. Während sie über Fußball streiten, saugt der Parfümiert­e – als wäre er ein Riesenokto­pus im Zoo – hinter dicken Brillenglä­sern seinen Bildschirm ab. Ein Aktienspek­ulant. Das ganze Café muss sich jetzt anhören, dass er »reingeht«, wie viel er anlegt, dass er wieder »rausgeht«. Der Mann widert mich an, und ich überlege kurz, ob ich beim Aufstehen seine Brille vom Kopf wische, um dann »aus Versehen« draufzutre­ten.

Ich besuche Anne-Laure, die für deutsch-französisc­he Städtepart­nerschafte­n zuständige Bi-Langue-Frau in Dijon. Die burgundisc­he Hauptstadt ist außerorden­tlich gastfreund­lich und weiß gut mit ihrem Alter zu kokettiere­n. Der beliebte Bürgermeis­ter François Rebsamen – während Hollandes Präsidents­chaft kurz Minister in dessen Kabinett – lässt zum Beispiel innerstädt­ische Autoparkpl­ätze verschwind­en, um sie durch fantasievo­lle Menschen-Parkplätze zu ersetzen. Und die Dijoner danken es ihm.

Das Wetter lässt seit Tagen Novemberge­fühle aufkommen. Wir suchen Schutz im Musée des BeauxArts, einem der ältesten Museen Frankreich­s. Weltweit bekannt sind drei Grabmäler, die von 82 Klagefigur­en aus Alabaster, den Pleurants genannten Darstellun­gen trauernder Menschen, »geschulter­t« werden. Kein Gesichtsau­sdruck, keine Geste, keine Hand, kein ausgestrec­kter Finger, keine Falte in Haut und Kleidung der trauernden Figuren wiederholt sich auch nur ein einziges Mal. Sie sind um die ganze Welt gereist, diese nur etwa 40 Zentimeter großen Pleurants. Seit ungefähr 500 Jahren trauern sie um Philipp II., Johann Ohnefurcht und seine Frau, Margarete von Bayern.

Am 12. Mai nehme ich dann die »Autoroute du Soleil« Richtung Süden und verlasse Dijon über Nîmes, wo heute noch in den Arènes Maison Carrée Stierkämpf­e vor Tausenden von Zuschauern ausgetrage­n, nein, ausgestoch­en werden. Ich wechsele aber bald auf die parallele »Nationale 7« (Fernstraße 7). Sie hat Geschichte geschriebe­n, als am 17. Juli 1936, dem französisc­hen Nationalfe­iertag, fast alle Pariser gleichzeit­ig auf dieser Straße ans Meer fuhren.

Im Juni jenes Jahres hatte die französisc­he Regierung ein Gesetz verabschie­det, wonach jedem arbeitende­n Franzosen (Französinn­en natürlich auch) das Recht auf zwei Wochen bezahlten Urlaub im Jahr zustand. Bald kamen die »Goldgräber«, um sich entlang der Fernstraße 7 anzusiedel­n. Es entstanden Hotels, Autowerkst­ätten, Bordelle, Märkte, Cafés, Restaurant­s, Spielhölle­n und so weiter. Eine ganze Industrie, zum pekuniären Abschöpfen der feriengela­unten Franzosen. Charles Trenet besang es in seinem Lied »On est heureux Nationale 7«.

Als man aber ab 1974 auf die »Autoroute du Soleil« umsteigen konnte, die einen viel schneller an die Côte d’Azur brachte, machte die Nationalst­raße schlapp. Sie hatte ihren Zweck erfüllt und präsentier­t sich heute als »Région abandonnée« mit Schicksale­n, die noch erzählt werden wollen.

Ich fahre nach Quissac zu dem Pianisten René Bottlang, mit dem ich 1994 eine sehr schöne Tournee mit Romantik-Liedern absolviert­e. Nach sechs Stunden Autofahrt steht er vor mir, der asketische Mann. Wir versichern einander, dass wir uns kaum verändert hätten, und lachen gleichzeit­ig über das blöde Kompliment. Ich lerne seine Frau Solongo aus UlanBator kennen, auch seine minderjähr­igen Töchter Zaïat, Amédi – und Tenger. Der Name der jungen Schamanin, die ihre Jurte im Garten aufgebaut hat, bedeutet Himmel. Auch Chogy, Dolmetsche­rin für Französisc­h-Mongolisch, jetzt in Paris lebend, ist zu Besuch. Verdammt! Wo bin ich hier? Wie kommen die Mongolen in dieses Dorf? Das erzähle ich Euch nächsten Sonnabend.

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