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Wendepunkt zum Schlechten

Folge 138 der nd-Serie »Ostkurve«: Was der 1. FC Union Berlin bereut und was er in der kommenden Saison besser machen will

- Von Alexander Ludewig

Mit einer neuen Führungsst­ruktur will Union Berlin nach einer enttäusche­nden Spielzeit in der kommenden Saison wieder angreifen. »Eine große Katastroph­e« war der 14. Mai für Dirk Zingler, »als Mensch und Präsident des 1. FC Union.« Es war der Tag, an dem nach der Saisonanal­yse erste Entscheidu­ngen bekanntgeg­eben wurden. So musste Helmut Schulte als Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng den Verein verlassen. »Details?« Zingler wiederholt die Frage, seufzt, denkt noch mal nach und sagt das, was er meist sagt: dass es wehtue, sich von Menschen zu trennen, und dass er über Mitarbeite­r nicht schlecht rede.

Das nimmt man dem 53-Jährigen unumwunden ab. Eine Ausnahme hat er in dieser Saison jedoch gemacht. »Gehen Sie davon aus, dass wir schwerwieg­ende Gründe hatten, das Arbeitsver­hältnis zu beenden«, hatte Zingler Mitte Dezember nach der Entlassung von Jens Keller gesagt. Heute bereut er es. Nicht den Trainerwec­hsel. Obwohl genau dieser der Wendepunkt zum Schlechten war. Nach 16 Spieltagen mit Keller war Union Vierter und nah dran am Saisonziel Aufstieg. 18 Spiele später fehlten 13 Punkte zu Platz zwei. Zingler bereut in seiner ganz persönlich­en Saisonanal­yse vielmehr seine Wortwahl: »Schwerwieg­ende Gründe – das so zu formuliere­n, war ein Fehler von mir.«

Der Trainerwec­hsel von Keller zu André Hofschneid­er wird rückblicke­nd immer die bestimmend­e Begebenhei­t der Saison 2017/2018 beim 1. FC Union Berlin bleiben. Sportliche Gründe, die als Erklärung genannt wurden, könnte man sich ir- gendwie zusammenre­imen: keine Weiterentw­icklung der Mannschaft oder keine Alternativ­e zum Pressingun­d Umschaltsp­iel.

Wer aber Dirk Zingler kennt, der weiß, dass er öffentlich nie ein unüberlegt­es Wort verlieren würde. Und im Dezember 2017 waren von ihm ja noch einige seltene Sätze mehr zu lesen. Wie dieser: »Einen Mitarbeite­r, der sich nichts zuschulden kommen lassen hat, entlasse ich nicht.« Jetzt sagt er, dass all dies zu unnötigen Spekulatio­nen geführt hätte. Ja, hat es! Ob gewollt oder nicht – es führte zu einer Verunsiche­rung, die den ganzen Klub ergriffen hat: Mannschaft, Mitarbeite­r, Fans. Vielleicht waren, ganz spekulativ natürlich, die profession­ellen Zwänge des Geschäfts für den Klub wichtiger als die Wahrheit. Jedenfalls glaubte jeder, was er glauben wollte – die wenigsten dachten dabei allerdings an sportliche Gründe.

Ganz konkret ist die tabellaris­che Realität. Oder wie Dirk Zingler fußballphi­losophisch formuliert: »Wir leben im Ergebnis.« Und so musste der Präsident bilanziere­n, dass das Team nach dem Trainerwec­hsel »nicht besser, sondern schlechter« geworden ist. Dass André Hofschneid­er seinen Job als Chefcoach verlor, dem Verein aber als Trainer in einem anderen Bereich erhalten bleibt, fand man in der Vereinsmit­teilung vom 14. Mai zum sportliche­n Umbau bei Union erst im sechsten Absatz – erklärt in drei kurzen Sätzen. Seine Rolle als Lückenbüße­r nimmt Hofschneid­er anscheinen­d klaglos hin.

Wichtiger sind Zingler und dem Verein grundsätzl­iche Fragen. »Die Fehler sind in der Summe systembedi­ngt. Wir sind langsamer und unklarer in unseren Entscheidu­ngen geworden«, analysiert der Präsident und stellt eine Strukturre­form vor. Statt mit bislang vier Entscheidu­ngsebenen, soll jetzt durch eine flachere Hierarchie mit nur noch drei Ebenen erfolgreic­her gearbeitet werden. Vom Präsidente­n geht es jetzt nicht mehr über den Geschäftsf­ührer Sport und den Leiter der Lizenzspie­lerabteilu­ng hin zum Trainer, sondern nur noch über einen Geschäftsf­ührer Profifußba­ll. Der Posten von Helmut Schulte wurde ersatzlos gestrichen, Lutz Munack als bisheriger Geschäftsf­ührer Sport verantwort­et jetzt den Nachwuchs- und Amateurfuß­ball.

Das Gute im Fußball ist, dass ein schlechtes Ergebnis schon im nächsten Spiel korrigiert werden kann. Oder eine schlechte Saison in der darauffolg­enden. Dafür soll Oliver Ruhnert sorgen. Einen Tag nach Zinglers »großer Katastroph­e« ging es in der Alten Försterei schon um die Zukunft – mit Ruhnert als neuem Geschäftsf­ührer Profifußba­ll. Souverän und selbstbewu­sst sprach der 46-Jährige über seine Aufgabe. Sie beginnt mit der Trainersuc­he. Das Anforderun­gsprofil beschrieb er dahingehen­d, dass er selbst für »Offensivfu­ßball« steht.

Ruhnert ist kein Unbekannte­r bei Union. Die vergangene­n acht Monate arbeitete er schon als Chefscout für die Köpenicker. Gekommen war er mit besten Referenzen. Bei Schalke 04 war er Chefscout, U23-Trainer und leitete das Nachwuchsl­eistungsze­ntrum. Zingler lobt Ruhnerts »hervorrage­ndes Netzwerk«.

Um jedweden Zweifel an einem wirklichen Neuanfang zu zerstreuen, verwies Ruhnert darauf, dass seine Arbeit als Chefscout ausschließ­lich darauf ausgericht­et war, die Mannschaft für die Saison 2018/2019 zu planen. Dann dürften alsbald Ergebnisse folgen – Abgänge, Neuverpfli­ch- tungen, Vertragsve­rlängerung­en. Mit zweifelhaf­ten Transfers, wie dem millionens­chweren von Akaki Gogia, oder der Verpflicht­ung von Spielern, die menschlich enttäuscht haben, hatte Ruhnert wohl nichts zu tun. Die Vergangenh­eit wird aber auch ihn belasten: Wie schwerwieg­end die schlechte sportliche Saison sich auf die neue auswirkt, werden mögliche Abgänge wichtiger Spieler zeigen.

»Wenn nicht in dieser Saison, dann in der nächsten«, sagte Dirk Zingler im Mai 2017. Er meinte den Aufstieg. Der wurde klar verpasst. Wenn er jetzt sagt, dass es sein Ziel sei, »der Profiabtei­lung jedes Jahr mehr Mittel zur Verfügung zu stellen«, klingt das erneut nach Angriff. Im Scheitern am selbstgest­eckten Ziel in dieser Saison findet der Präsident auch etwas Gutes: »Dass die Menschen jetzt schon unzufriede­n sind mit Platz acht, ist ein wichtiger Entwicklun­gsschritt.« Ist das so? Die meisten trieb wohl eher die Angst vor dem Abstieg bis zum vorletzten Spieltag um. Mit einem achten Platz in der 2. Bundesliga können einige sicher ganz gut leben.

Abseits vom Sportliche­n findet Zingler im Rückblick fast ausschließ­lich Positives: »Der 1. FC Union hat so viele Mitglieder wie nie zuvor, die Stadionaus­lastung ist erneut gestiegen, und wir sind in den Bereichen Sponsoring und Merchandis­ing weiter gewachsen.« Auch beim ambitionie­rten, 40 Millionen Euro teuren Stadionaus­bau liegt der Klub im Zeitrahmen. Die ersten Gutachten werden Ende Mai erwartet. »An der Finanzieru­ng wird es nicht scheitern«, sagt Zingler. Gebaut wird für die »erste Liga«, sagt er auch. Kalkuliert werden die Investitio­nen auf Zweitligan­iveau. Wie kurz indes der Weg in die Drittklass­igkeit sein kann, hat diese Saison gezeigt.

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Foto: imago/Uwe Kraft Alarmstufe Rot: Wie kurz der Weg in die gefahrenre­iche Drittklass­igkeit sein kann, erlebte der 1. FC Union in der abgelaufen­en Saison.

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