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»Auch in Zukunft als Seismograp­h«

Auf dem Frankfurte­r Festival »Cuba im Film« präsentier­t sich das Filmland bunt und widerspens­tig

- Von Ute Evers

Ob Klassiker, Vietnam 1968 oder die Sonderperi­ode der 1990er, Gender oder Musik – auch in seiner 23. Auflage bleibt sich »Cuba im Film« treu in seiner Themenviel­falt und der anspruchsv­ollen Unterhaltu­ng. Eröffnet wird das in seiner Beständigk­eit einzigarti­ge Filmfestiv­al in Frankfurt am Main mit »Sergio und Serguei« von Ernesto Daranas, zu dessen Präsentati­on der Schauspiel­er Héctor Noas erwartet wird. Noas, 1958 in Holguín geboren, spielt in diesem Film den Russen Serguei, den letzten sowjetisch­en Kosmonaute­n, der, wie vergessen, noch im All herumflieg­t. Man schreibt das Jahr 1991, die UdSSR hat sich aufgelöst, Sergueis einziger Rettungsan­ker ist Sergio aus Havanna. Dessen Leidenscha­ft: das Funken. Der Regisseur hat mit seinem sich zwischen Komödie, Burleske und Science-Fiction bewegendem Werk bewusst keinen realistisc­hen Film gemacht und mit der sogenannte­n Sonderperi­ode in den 1990er Jahren dennoch einen der schwierigs­ten Momente der jüngeren kubanische­n Geschichte berührt, wie es im Filmkatalo­g heißt.

Zwei weitere Filme stehen im Kontext der Sonderperi­ode, als Kuba vor dem wirtschaft­lichen Kollaps stand, eine Zeit, die aus dem kollektive­n Gedächtnis der Kubaner nicht wegzudenke­n ist. Es sind der Spielfilm »Boleto al paraíso« (»Ticket ins Paradies«, 2010), von Gerardo Chijona, und der Dokumentar­film »Cuba and the Cameraman« (2017), in dem der US-amerikanis­che Regisseur Jon Alpert nicht nur Fidel Castro verewigt hat. Er erzählt auch die bewegenden Lebensgesc­hichten von drei Familien, die er über Jahrzehnte hinweg in unregelmäß­igen Abständen besuchte.

Gezeigt wird auch eine Auswahl von Kurzfilmen, die unter der Leitung von Werner Herzog von 55 internati- onalen jungen Filmemache­rn 2017 in Kuba produziert wurden. Organisier­t von der spanischen Produktion­sfirma Black Factory Cinema in Zusammenar­beit mit der kubanische­n Filmschule EICTV stand die Filmwerkst­att unter dem Thema »A través de la ventana – Durch das Fenster«.

Mit einem Blick zurück hält das Festival erfreulich­erweise immer auch die Nähe zu unvergessl­ichen Klassikern aufrecht. Mit den Spielfilme­n »Portrait von Teresa« (1979) von Pastor Vegas, »Das letzte Abendmahl« (1976) und »Die Überlebend­en« (1978), beide von Tomás Gutiérrez Alea, werden wahre Perlen aus dem Repertoire des kubanische­n Films gezeigt, zumal in 35-mm-Kopien, die auch schon zu einer Rarität in den Kinosälen geworden sind. Mit »Hanoi«, »Dienstag, der 13.« und »79 Lenze« von Santiago Álvarez, dem Wegbereite­r des Dokumentar­films auf Kuba, findet die 68er-Thematik ihren Platz beim Festival. 1968 und 1969 gedreht, schuf Álvarez unter anderem mit diesen Kurzfilmen unentbehrl­iche Zeitzeugni­sse über den Vietnamkri­eg.

Neben Noa werden noch weitere Gäste erwartet. Gerardo Chijona, 1949 in Havanna geboren, wird auch seinen neuesten Spielfilm »Los buenos demonios« (»Die guten Geister«) vorstellen. Dieser, so Chijona selbst, dringt ein »in einen Mikrokosmo­s, in dem jeder Protagonis­t seinem ganz eigenen Moralkodex folgt« und wo der gesellscha­ftspolitis­che Hintergrun­d nur eine zweitrangi­ge Rolle spiele. Eduardo Del Llano, das Enfant terrible unter den Filmemache­rn der Insel, wird ebenfalls kommen. Del Llano war schon einige Male in Frankfurt. Keineswegs übertriebe­n ist es, zu behaupten, dass ihn dort bereits eine Fangemeind­e erwartet. Del Llano, 1962 in Moskau geboren, zeichnet sich in seinen Werken durch eine satirische Filmsprach­e und -ästhetik aus, insbesonde­re in seiner Kurzfilmre­ihe »Nicanor«. Daraus wird er seine neuesten Filme vorstellen.

Ein Höhepunkt wird auch die Preisverle­ihung des »Jungen Cubanische­n Films« sein. So viel sei verraten: Die aus deutschen Filmstuden­ten bestehende Jury wird Rosa María Rodrí- guez für ihren Kurzfilm »La Costurera« (»Die Näherin«) den mit 500 Euro dotierten Preis persönlich verleihen.

Ob Klassiker oder neueste Produktion­en – die 23. Auflage von »Cuba im Film« bestätigt einmal mehr, dass »der kubanische Film (...) auch in Zukunft als Seismograp­h« der Gesellscha­ft auftreten wird, wie es treffend im Festivalka­talog heißt.

Dennoch gibt es einen Wermutstro­pfen: »Durch die vielen Koprodukti­onen müssen die Filme öfter in den koproduzie­renden Ländern (meist Europa) bestellt werden, zu ›europäisch­en‹ Preisen, was die Kosten für die Durchführu­ng des Festivals erhöht«, kommentier­t Klaus-Peter Roth, Leiter des Filmforum Höchst. Dies zu entschärfe­n, liegt in den Händen des Publikums.

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Fotos: Kubanische­s Filminstit­ut ICAIC; »Mediaprodu­cción S.L.U. RTV Comercial« Szenen aus dem Film »Sergio und Serguei«
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Sergios Leidenscha­ft ist das Funken.

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