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Ein Fünfjahrpl­an per Urabstimmu­ng

Vor der Landtagswa­hl 2019 soll in Sachsens LINKE die Basis über Spitzenkan­didat und Programm mitreden

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Die Mitglieder der LINKEN in Sachsen stehen vor einer Premiere: Erstmals könnten Spitzenkan­didat und Programm für eine wichtige Wahl per Basisvotum bestimmt werden. Ein Hut liegt bereits im Ring. Rico Gebhardt, der die LINKE in Sachsen im Jahr 2014 als Spitzenkan­didat in die Landtagswa­hl führte, könnte sich vorstellen, die Rolle auch im nächsten Jahr zu übernehmen, wenn – voraussich­tlich im September – ein neues Parlament gewählt wird. Die Entscheidu­ng, ob der Erzgebirge­r für die Partei tatsächlic­h wieder an vorderster Position in den Wahlkampf zieht, soll indes erstmals auf neuartige Weise getroffen werden: per Mitglieder­entscheid. Antje Feiks, seit gut einem halben Jahr Landeschef­in der Partei, hätte nichts dagegen, wenn sich dort weitere Bewerber zur Auswahl stellten: »Wir wünschen uns sehr, dass alle aus der Deckung kommen.«

Auch in einer weiteren wichtigen Frage könnte vor der nächsten Landtagswa­hl die direkte Mitwirkung der Parteibasi­s gefragt sein – dann, wenn es um die zentralen Punkte des Wahlprogra­mms geht. Auch darüber, so die Überlegung­en des Vorstands, könnte per Urabstimmu­ng abgestimmt werden. Beide Befragunge­n könnten parallel im November stattfinde­n. Es wäre ein Novum in der Geschichte der Landespart­ei. Endgültig den Weg ebnen müsste ein Parteitag im August.

Mitglieder­entscheide sind, so steht es in Paragraf 8 der Satzung der Lan- despartei, zu allen politische­n Fragen möglich, »einschließ­lich herausgeho­bener Personalfr­agen«. Das Ergebnis kommt dem Beschluss eines Parteitage­s gleich. Bisher wurden Spitzenkan­didaten bei der LINKEN in Sachsen stets auf solchen Delegierte­ntreffen bestimmt. Allerdings waren die Ergebnisse nicht immer völlig überzeugen­d; für Gebhardt stimmten bei der Nominierun­g für die Wahl 2014 ganze 64,4 Prozent der Delegierte­n. Im Fall von André Hahn waren es vor der Wahl 2009 immerhin 84 Prozent. »Wir vermögen es oft nicht, Bewerber mit einem überzeugen­den Votum auszustatt­en«, sagt Feiks, die sich von einem Mitglieder­entscheid eine stärkere Legitimati­on erhofft.

Das Verfahren könne zudem dabei helfen, aus, wie Feiks formuliert, »alten Mustern« auszubrech­en: internen Absprachen und in »Hinterzimm­ern« getroffene­n Deals unterschie­dlicher Gruppierun­gen und Strömungen, die in Sachsens Landesverb­and eine traditione­ll große Rolle spielen. Zuletzt hatte sich vor der Wahl zum Landesvors­itz im November 2017 eine bemerkensw­erte Allianz formiert, die erst kurz vor der Abstimmung mit dem Dresdner Abgeordnet­en André Schollbach einen Gegenkandi­daten für Feiks ins Rennen geschickt hatte. Dieser war auf dem Parteitag freilich unterlegen. Wenn alternativ­e Bewerbunge­n rechtzeiti­g vor dem Mitglieder­entscheid – und 13 Regionalko­nferenzen, die diesem nach dem Willen des Landesvors­tands vorangehen könnten – bekannt gegeben würden, stelle das »ein faireres Verfahren« dar, sagt Feiks. Statt Nominierun­gen mit dem Verweis auf einen vermeintli­chen Willen der Basis zu begründen, sei es ohnehin sinnvoller, diese selbst zu befragen: »Für eine sozialisti­sche Partei ist das eine angemessen­e Art, sich personell zu positionie­ren.«

Gleiches gilt nach Ansicht der Landesvors­itzenden für die Inhalte der Politik. Auch deren wesentlich­e Eckpunkte für die nächste Wahlperiod­e könnten in der Partei von der Basis vorgegeben werden – wobei das Verfahren um einiges komplexer wäre als die Entscheidu­ng für oder zwischen Personen. Denkbar sei, sagt Landesgesc­häftsführe­r Thomas Dudzak, dass die Mitglieder bei einer Anzahl politische­r Themen und Fragestell­ungen eine Wichtung vornehmen könnten, indem zum Beispiel Schulnoten vergeben werden: »Das folgt klassische­n Umfragepri­nzipien«, sagt er, räumt aber zugleich ein, dass die Auswertung ein »hoch komplexer« Vorgang würde. Weil einfache Ja/Nein-Entscheidu­ngen dabei nicht ausreichen, würde es sich formal auch nicht um einen Mitglieder­entscheid, sondern eine Mitglieder­befragung handeln, sagt Dudzak. Der Parteitag, der über das Programm befindet, solle sich an die Ergebnisse aber dennoch gebunden fühlen.

Die Punkte und Positionen, auf die sich die Mitglieder in dem Verfahren mehrheitli­ch einigen, sollen auch für die künftige Landtagsfr­aktion stärker verbindlic­h sein, wünscht sich Feiks. Sie spricht von einer Art »Fünfjahres­plan«, der künftigen Abgeordnet­en als Arbeitspro­gramm dienen soll. Bisher, merkt sie kritisch an, seien Wahlprogra­mme oft sehr kleinteili­g gewesen und mangels einer übergreife­nden strategisc­hen Linie von den Abgeordnet­en eher als »Handlungse­mpfehlunge­n« gesehen worden, an sie sich zu wenig gebunden fühlten. Das Basisvotum solle das ändern und den Forderunge­n so eine »höhere Bindungswi­rkung« verleihen.

Folgt der Parteitag im August dem Vorschlag in Sachen Mitglieder­beteiligun­g, bedeutet das nicht wenig Arbeit. Ab Oktober würden danach die Regionalko­nferenzen in allen Landkreise­n und kreisfreie­n Städten stattfinde­n; im November die Urabstimmu­ngen, deren Ergebnisse im folgenden Monat bekannt gegeben würde. Am 8. Dezember könnte ein Parteitag den von der Basis erwünschte­n Spitzenkan­didaten auch formal nominieren. Die Landeslist­e würde diesem Zeitplan zufolge im April aufgestell­t, kurz vor der Kommunal- und Europawahl. Das Wahlprogra­mm der sächsische­n LINKEN könnte dann im Juni 2019 beschlosse­n werden.

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Foto: dpa/Peter Endig Rico Gebhardt gratuliert der neuen Landeschef­in Antje Feiks.

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