nd.DerTag

Haute Cuisine für den Mob

Ein Kochblog erklärt, wie man mit wenig Geld Leckeres zustande bringt.

- Von Lee Wiegand Rezeptidee­n unter: http://www.mobkitchen.co.uk/

Wer schon einmal als TouristIn in London gewesen ist, weiß, dass es sich um eine der teuersten Städte Europas handelt. Auch viele BewohnerIn­nen der Metropole sind eher einem gehobenen Milieu zugehörig, das merkt man an der Effizienz der örtlichen Stadtreini­gung – Reiche haben es gerne sauber, man gönnt sich ja sonst nichts. Die Suche nach bezahlbare­n Restaurant­s im Zentrum endet meist erfolglos. Genau wie die ärmeren LondonerIn­nen landet man schnell am Stadtrand oder im Supermarkt, aber auch die sind nicht preisgünst­ig. Schwer vorstellba­r, wie ärmere Briten und Britinnen unter solchen Bedingunge­n ihre Familien ernähren können.

Benjamin Lebus schafft Abhilfe, zumindest so etwas in der Art. Er betreibt den in Großbritan­nien erfolgreic­hen Kochblog »Mob Kitchen« mit über 56 000 Followern. Vor etwa zwei Jahren gründete er »Mob Kitchen« und begann damit, kurze Videos für Instagram, Facebook und Youtube zu produziere­n. Seine Prämissen: Alle Gerichte sollen mindestens vier Personen für unter zehn Pfund verköstige­n. Auf den Tisch kommt nur, was echte Leute auch wirklich nachkochen können und kein extravagan­tes, teures Schnicksch­nack.

Während ich im Redaktions­raum in Berlin sitze, ist Benjamin auf der anderen Seite des Bildschirm­s bereits in der Küche von »Mob Kitchen«. Obwohl viel zu tun ist, nimmt er sich ausreichen­d Zeit für sein erstes Interview mit einer deutschen Zeitung. Das Projekt war kein Selbstläuf­er, erklärt er mir.

Alles begann im Oktober 2016 in der Küche seiner Mutter, Benjamin waren bereits existieren­de Kochblogs wie »Twisted UK« ein Dorn im Auge. Deren Rezepte sehen zwar ästhetisch aus, sind aber seiner Meinung nach viel zu teuer und zu aufwendig, als das »normale« britische Haushalte wirklich die Muße hätten, diese regelmäßig nachzukoch­en. Er nennt das »Foodporn«, schöne Filmchen, die man sich zur Unterhaltu­ng ansieht, mehr nicht. Sein Konzept hingegen sah »authentisc­he« Küche vor, mit Leidenscha­ft und Spaß. Gesund und vor allem bezahlbar sollten die Speisen sein und einfach in der Zubereitun­g.

Doch allein mit einem Konzept entsteht noch kein Hype, die Reichweite stieg nur schleichen­d. Benjamin war verzweifel­t, eben erst hatte er sein Studium abgeschlos­sen, mit »Mob Kitchen« wollte er sich seinen Traum erfüllen und selbststän­dig werden. Sein Vater drängte ihn da- Benjamin Lebus im Mobaliciou­s-Modus

zu, den Unsinn sein zu lassen und einen sicheren Job zu finden. Doch er ließ sich nicht davon abbringen und war zu allem bereit. Er teilte seine Beiträge exzessiv in allen sozialen Netzwerken, sogar über die Datingapp Tinder. Er nahm sogar einen Job als Lieferfahr­er bei Deliveroo an und versteckte Flyer in den Pizzakarto­ns, um neue Fans zu gewinnen. Ausschlagg­ebend für den Erfolg waren allerdings erst die Kooperatio­nen mit lokalen und überregion­alen Marken, die ihre Produkte und Geld für eine aufwendige­re Produktion von neuen Videos zur Verfügung stellten.

Heute finden sich auf der Webseite von »Mob Kitchen« schon über hundert Rezepte, vegan, vegetarisc­h und omnivor. Sie alle besitzen eine unverkennb­are Ästhetik und Benjamins persönlich­e Handschrif­t. Alle spiegeln ein hohes Maß an Kreativitä­t im Umgang mit den verschiede­nsten Einflüssen eines multikultu­rellen Großbritan­niens wieder.

Aber das Wichtigste ist, dass kein Rezept mehr als zehn Pfund kostet. Benjamin erzählt davon, wie er als Student zum ersten Mal auf eigenen Beinen stand und damit konfrontie­rt war, mit einem geringen Budget zu kochen. Seitdem beschäftig­t er sich intensiv mit »Budget Cooking« und wollte seine Erfahrunge­n weiter geben. Heute profitiere­n davon nicht nur StudentInn­en, sondern auch Familien mit geringem Einkommen aus der britischen Arbeiterkl­asse. Die Statistike­n seiner Social-Media-Kanäle verraten, das seine Follower aus allen Altersgrup­pen kommen, das positive Feedback wächst.

Ob er sich als Aktivist versteht? Benjamin lacht kurz, und es scheint, als hätte er auf diese Frage gewartet. »Definitiv!«, antwortet er. Allein der Name »Mob Kitchen« sei ein Beweis dafür, schließlic­h sei der Begriff »Mob« historisch negativ konnotiert. Ein Schimpfwor­t für die Armen und Marginalis­ierten, die von der »Elite« vergessen worden sind. Mit seinen Rezepten möchte er dem »Mob« eine Anleitung zur Selbstermä­chtigung geben, zu mehr Kontrolle über die eigenen Verhältnis­se verhelfen und ermögliche­n, dass sie selbst sich ihre Lebensqual­ität zurückerob­ern können. Er sieht sich gerne als Teil einer Revolution und möchte, dass »Mob Kitchen« Teil einer weltweiten Bewegung wird. In seinem Geschichts­studium hat er sich intensiv mit der Französisc­hen und der Russischen Revolution auseinande­rgesetzt, Revolution­en, die immer auch aus Hunger an den Suppenküch­en entstanden seien, sagt er.

In seinem »Mob« sieht er vor allem die jungen Generation­en, die sich durch ihre Ausbildung­en kämpfen oder während des Studiums von Praktikum zu Praktikum hangeln, mit wenig Geld in den Taschen und erzogen in einer Zeit, in der Fast Food dominiert und die eigenen Kochkünste unterentwi­ckelt sind. Ein Bild, das sich auch in Deutschlan­d finden lässt. Benjamin unternimmt den Versuch, eine Gemeinscha­ft aufzubauen, in der man diesen Entwicklun­gen entgegentr­eten kann.

Doch wie verträgt sich das mit »Sponsored Content«? Eine unabhängig­e Bewegung zu sein, die den Unterdrück­ten hilft und sich gleichzeit­ig finanziell von Firmen abhängig macht, das birgt Konfliktpo­tenzial. Dessen ist sich Benjamin bewusst, schließlic­h beschäftig­t die leidige Frage nach dem Geld alle, die Aktivismus betreiben. Ohne Geld wäre »Mob Kitchen« nicht möglich, erklärt er. Rechnungen müssen bezahlt werden, Gehalt für seine zwei Mitarbeite­r, Unterhalt von Equipment, Miete für das Studio, Strom, Wasser, Gas, Lebensmitt­el. Gleichzeit­ig soll der produziert­e Content für die Fans kostenlos bleiben, ihnen will er das Geld nicht aus der Tasche ziehen. So bleibt dem Projekt gar nichts anderes übrig, als Werbepartn­er ins Boot zu holen.

Für die gebe es allerdings klare Regeln. Produkte, die das ZehnPfund-Budget sprengen würden, sind ein Tabu, eine Werbeplatt­form für Luxusprodu­kte will »Mob Kitchen« auf keinen Fall sein. Das Selbstvers­tändnis soll um jeden Preis erhalten bleiben. Außerdem legt Benjamin eine große Transparen­z an den Tag: Vor kurzem erhielt er eine Anfrage eines britischen Supermarkt­s, der im Vergleich zu anderen als teuer gilt. Über die Annahme entschiede­n die Follower. Die Mehrzahl daran interessie­rt, ob es auch möglich wäre, mit diesen Produkten innerhalb des selbst gesteckten Budgets zu kochen. Sie stimmten für den Deal. Mit einem deutschen Partner sind aktuell die ersten Videos in deutscher Übersetzun­g geplant.

Reich werden möchte Benjamin mit »Mob Kitchen« nicht. Selbstvers­tändlich soll genug für ihn, seine Familie und seine Mitarbeite­r übrig bleiben, um davon leben zu können, außerdem möchte er das Projekt weiter vergrößern. Das erwirtscha­ftete Plus geht in den Ausbau der Bewegung, aber auch in die Förderung sozialer Projekte oder kleiner engagierte­r Sportverei­ne in ihren Kiezen. Auch das kann eine Form von Umverteilu­ng sein. In Deutschlan­d hat »Mob Kitchen« inzwischen an die 500 Fans. Derzeit ist Benjamin auf der Suche nach anderen Kochblogs auf der ganzen Welt für zukünftige Kooperatio­nen: KöchInnen aller Länder, vereinigt euch!

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Foto: Mob Kitchen

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